Grusswort an die Freuden der Unità dei Cristiani

Rom, im Juni 2024

 

Liebe Freunde der Unità dei Cristiani

Wer die Entwicklungen in der heutigen Welt sensibel wahrnimmt, kommt nicht um die Feststellung herum, dass achtzig Prozent der Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, Christen sind und der christliche Glaube folglich die am meisten verfolgte Religion ist. Heute finden sogar mehr Christenverfolgungen als in den ersten Jahrhunderten statt. Dabei haben alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ihre Märtyrer. Christen werden heute nicht verfolgt, weil sie einer bestimmten Glaubensgemeinschaft angehören, weil sie orthodox oder lutherisch, anglikanisch oder katholisch sind, sondern weil sie Christen sind. Das Martyrium ist heute ökumenisch, und man muss von einer eigentlichen Ökumene der Märtyrer sprechen.

Ihr hat der heilige Papst Johannes Paul II. in seiner bedeutenden Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene „Ut unum sint“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Trotz aller Tragik der Christenverfolgungen hat er in der Ökumene der Märtyrer auch eine positive Botschaft gesehen, in ihr bereits eine grundlegender Einheit unter den Christen wahrgenommen und gehofft, dass die Märtyrer uns helfen werden, die volle Gemeinschaft aller Christen wiederzufinden. Während wir Christen und Kirchen auf dieser Erde noch in einer unvollkommenen Gemeinschaft zu- und miteinander stehen, leben die Märtyrer in der himmlischen Herrlichkeit bereits jetzt in vollendeter Gemeinschaft.

Das Blut, das die Märtyrer heute für Christus vergiessen, trennt uns Christen nicht, sondern eint uns. In der Ökumene der Märtyrer begegnet uns deshalb eine grosse Verheissung: Die frühe Kirche ist überzeugt gewesen, dass das Blut der Märtyrer Same von neuen Christen ist. In der gleichen Weise dürfen wir auch heute hoffen, dass sich das Blut von so vielen Märtyrern einmal als Same der vollen ökumenischen Einheit des durch so viele Spaltungen verwundeten einen Leibes Christi erweisen wird. Und wir dürfen überzeugt sein, dass wir Christen im Blut der Märtyrer bereits eins geworden sind und das Leiden von so vielen Christen Einheit stiftet, die sich als stärker erweist als die Differenzen, die die christlichen Kirchen noch trennen.

In der Ökumene der Märtyrer nehme ich das überzeugendste Zeichen der Ökumene heute wahr. Es konfrontiert uns freilich mit der beunruhigenden Frage, die Papst Franziskus gestellt hat: „Wenn uns der Feind im Tod vereint, wie kommen wir dann dazu, uns im Leben zu trennen?“ Ist es in der Tat nicht beschämend, dass die Christenverfolger manchmal die bessere ökumenische Vision als wir Christen selbst haben? Denn diese wissen darum, dass wir Christen untrennbar zusammengehören.

Wir stehen heute aber vor einer nochmals arg beschämenden Situation, wenn wir in die Ukraine schauen. Denn dort führen Christen gegen Christen, ja sogar Orthodoxe gegen Orthodoxe Krieg. Diese Tatsache ist das strikte Gegenteil der Ökumene der Märtyrer und schadet der ganzen Christenheit und der Ökumene.

Nehmen wir diese Herausforderungen gemeinsam als Anruf wahr, uns entschieden für die Versöhnung unter den Christen und die Wiedergewinnung der Einheit der Kirche einzusetzen. Mit diesen nachdenklichen Gedanken danke ich Ihnen, liebe Freunde der Unità dei Cristiani, für Ihr ökumenisches Engagement und wünsche Ihnen eine fruchtbare Mitgliederversammlung und anschliessend eine frohe Feierstunde mit der Verleihung des 9. Ökumene-Preises. Ich bitte Sie, im Ökumenischen Gottesdienst besonders der heutigen Märtyrer zu gedenken und die heute verfolgten Christen in Ihr Gebet zu schliessen.

Mit besten Segenswünschen für einen besinnlichen Sommer und mit freundlichen Grüssen.