Grußwort an die Ratsversammlung 
DES LUTHERISCHEN WELTBUNDES 
(LWB)

9.-14. Juni 2022, Genf

P. Dr. Augustinus Sander OSB
(Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen)

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident Erzbischof Musa,
sehr geehrte Frau Generalsekretärin Pfarrerin Burghardt,
liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft aller Getauften,

 

zu Ihrer diesjährigen, erstmals wieder in Präsenz stattfindenden Ratsversammlung grüße ich Sie sehr herzlich und darf Ihnen allen, zugleich im Namen von Herrn Kardinal Kurt Koch, die Segenswünsche des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen übermitteln.

Ein besonderer Gruß gilt an dieser Stelle der neuen Generalsekretärin. Von katholischer Seite sind wir Ihnen, liebe Frau Pfarrerin Burghardt, dankbar für die vertrauensvolle Zusammenarbeit – ein erstes gemeinsames Treffen hat ja bereits Anfang Februar in Rom stattgefunden – und hoffen auf eine theologisch vertiefte Weiterführung unserer guten ökumenischen Beziehungen.

"In Christus hat alles Bestand" (Kol 1,17) - Ihre Ratsversammlung steht unter einem Leitwort aus dem Kolosserbrief (Kol 1,9-20), der hier bereits einen frühchristlichen Hymnus zitiert, der Christus als Schöpfungs- und Heilsmittler besingt. Das nizänische Glaubensbekenntnis wird diesen christologischen cantus firmus dann einige Jahrhunderte später in einzigartiger ökumenischer Klangfülle entfalten. Wenn wir im Jahr 2025 das 1700jährige Jubiläum des Konzils von Nizäa begehen werden, dann lassen Sie uns gemeinsam einladende Zeugen dieser klangvollen Christus-Ökumene sein, damit die Welt zum Glauben findet - zum Glauben an den, "in dem Gott mit seiner ganzen Fülle wohnt, um durch ihn alles zu versöhnen" (Kol 1,19f.), zum Glauben an den "einen Herrn Jesus Christus, [...] aus dem Vater geboren vor aller Zeit, [...] durch ihn ist alles geschaffen" (Nizänum).

Das uns gemeinsame Bekenntnis von Nizäa ist ein schönes Beispiel für die verbindende Kraft der doxologischen Ökumene. In der Gemeinschaft aller Getauften sind wir verbunden im gemeinsamen Lobpreis Gottes - viele Stimmen, aber ein Gesang! Vielleicht kann 2025 auch zu einer ökumenischen Statio auf dem gemeinsamen Weg "vom Konflikt zur Gemeinschaft" werden. Eine "Statio" ist ein Ort und eine Zeit des Innehaltens; es geht um geistliche Konzentration, um ein Verweilen vor Gott, um neue Kräfte zu sammeln für den Weg durch die Zeit. Der heilige Augustinus sagt es so: "Ein Stück des Weges liegt hinter dir, ein anderes Stück hast du noch vor dir. Wenn du verweilst, dann nur, um dich zu stärken, nicht aber um aufzugeben."

Der Weg "vom Konflikt zur Gemeinschaft" geht weiter. In der Rückschau wird mitunter erst deutlich, wieviele gemeinsame Schritte schon hinter uns liegen. In der ökumenischen Weggemeinschaft braucht es Begeisterung, aber auch Ausdauer und Geduld (vgl. Kol 1,11). Manchmal hätten wir gerne ein schnelleres Tempo, aber wir sind keine Kurzstrecken-, sondern Langstreckenläufer. Wir brauchen den langen Atem, um ans Ziel zu gelangen.

Zum Abschluß der Fünften Phase des katholisch-lutherischen Dialogs ist inzwischen das Dokument "Baptism and Growth in Communion (2021)" erschienen - für den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ein "open-ended study document, not yet ready for reception. Due to the lack of approval, the Report should only be made available to the public together with this preamble", eine Präambel, die vom damaligen Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, Pfr. Martin Junge, und Kardinal Kurt Koch gemeinsam unterzeichnet wurde.

Offene ekklesiologische und terminologische Fragen erfordern einen langen Atem. Ich denke, es ist ein Zeichen gewachsenen ökumenischen Vertrauens, daß wir uns gegenseitig ernstnehmen und wertschätzen, auch und gerade, wenn Unterschiede deutlich werden, die wir einander zumuten müssen. Eine katholisch-lutherische Vorbereitungsgruppe wird die in dem Studiendokument offen gebliebenen Fragen identifizieren und analysieren. Zugleich geht es um eine Evaluierung der bisherigen Ergebnisse unseres jahrzehntelang bewährten ökumenischen Dialogs. Wir sind zuversichtlich, daß damit dann die Aufgaben und Themen für die kommende "Sechste Internationale Dialogphase" klarer hervortreten. 

Liebe Schwestern und Brüder, "wir können die Trennungsgeschichte nicht ungeschehen machen, aber sie kann Teil unserer Versöhnungsgeschichte werden“ (Premessa zur italienischen Neuübersetzung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 2021). In dieser Gewißheit  geben wir unseren gemeinsamen ökumenischen Weg unter der Führung des Evangeliums unbeirrt und fröhlich weiter.

Für diese Ratsversammlung wünsche ich Ihnen bei allen Beratungen und Entscheidungen, um es mit den Worten des Kolosserbriefes zu sagen, "Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt" (Kol 1,9).