FREUDE - NOTENSCHLÜSSEL DER NEUEN EVANGELISIERUNG[1]

 

(Haus Sankt Ulrich, Augsburg, 16. Dezember 2023)

 

„Gaudete“ ist der Name des Dritten Adventssonntags. Er hat seinen Namen vom Einleitungsvers in der Heiligen Messe, der dem Philipperbrief entnommen ist: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit“; der Einleitungsvers gibt auch den entscheidenden Grund für diesen emphatischen Aufruf zur Freude an: „Denn der Herr ist nahe“ (Phil 4, 4-5). Mit dem Gaudete-Sonntag beginnt der zweite Teil der Adventszeit, der uns immer näher zum Weihnachtsfest hinführt, das das wahre Fest der Freude ist. So haben wir in der Tagesoration gebetet: „Mache unser Herz bereit für das Geschenk der Erlösung, damit Weihnachten für uns alle ein Tag der Freude und der Zuversicht werde.“ Damit wird der Grundton der Freude angestimmt, der in der alttestamentlichen Lesung zu vernehmen ist, indem der Prophet spricht: „Von Herzen freue ich mich am Herrn. Meine Seele jubelt über meinen Gott“ (Jes 61, 10). Und im Evangelium wird uns Johannes der Täufer vor Augen gestellt, der dem angekündigten Kommenden als dem wahren Grund der Freude den Weg bereitet.

Cantus firmus der Freude und trauriger Kontrapunkt

Alle Lesungen am Dritten Adventssonntag laden zur Freude ein. Diese Konzentration auf die Freude ist charakteristisch für die Adventszeit. Tiefer gesehen macht der Advent freilich nur sichtbar, was das innerste Wesen des christlichen Glaubens überhaupt ausmacht. Bereits das erste Wort, mit dem die neutestamentliche Heilsgeschichte beginnt, ist ein Wort der Freude, nämlich die Anrede Marias durch den Erzengel Gabriel: „Chaire – Freue dich!“ (Lk 1, 28) Freude ist der zentrale Inhalt der Botschaft Gottes für uns Menschen, die sich Evangelium nennt. Denn die Freude steckt im Wort „Evangelium“. Sie steckt aber nicht nur in diesem Wort, sondern sie steckt auch alle an, die auf das Evangelium hören, es verkünden und leben. Indem das Evangelium mit seinem ersten Wort der Freude beginnt, kommt zugleich an den Tag, dass das Christentum in seinem innersten Kern Freude, ja göttliche Ermächtigung zur Freude ist.

Freude ist der Cantus firmus des christlichen Glaubens besonders in der Adventszeit. Dieser Cantus firmus kann aber nur glaubwürdig zur Geltung gebracht werden, wenn auch der dunkle und traurige Kontrapunkt ernstgenommen wird. Dazu braucht es freilich keiner besonderen Anstrengung, wenn wir in die heutige Welt hineinblicken, in der Ungerechtigkeit und Missachtung der Menschenwürde herrschen, Terror und Krieg die Oberhand zu gewinnen scheinen und Streit und Hass eskalieren. In der heutigen Welt besteht wenig Anlass zur Freude, sondern vielmehr viel Anlass zu Angst und Trauer.

Und wir wollen es nicht verschweigen: Auch in der Kirche heute gibt es nicht wenige Vorkommnisse, die einem die Freude nehmen könnten. Doch die Freude, die uns dann abhanden käme, wäre gewiss nicht die Freude des Evangeliums, sondern die Freude, die wir uns selbst bereiten. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber, dass von uns selbst produzierte Freude es höchstens zur Fröhlichkeit bringt, die selten Bestand hat. Deshalb sind die Lesungen in der heutigen Heiligen Messe so sehr darum bemüht, dass wir uns auf den Grund unserer Freude als Christen zurückbesinnen. Oft genug gibt der Zustand der heutigen Welt und auch der Kirche wenig Anlass zur Freude. Und dieser Zustand kann in der Tat nicht der Grund unserer Freude sein. Der wahre Grund unserer Freude ist vielmehr der Herr, der nahe und im Kommen ist.

Die Freude, um die es im Evangelium geht, ist jene Freude, die Gott an uns Menschen hat, mit der er uns begegnet und die aus seiner Gnade kommt. Darauf weist bereits die Sprache hin; denn das griechische Wort für Gnade – charis – leitet sich vom gleichen Wortstamm her wie das Wort für Freude – chara. Wenn der Erzengel Gabriel Maria als „Du Begnadete“ begrüsst und sie damit zur Freude einlädt, bringt er zum Ausdruck, dass die Gnade Gottes die Quelle aller Freude ist und alle Freude aus der Gnade Gottes kommt. Damit ist vollends deutlich, dass das Christentum die Religion der Freude ist, weil sie in erster Linie Gottes Freude an uns Menschen und der ganzen Schöpfung verkündet. Daraus folgt jene Freude, die wir Christen an Gott haben.

Die Freude des Evangeliums weitergeben

Solche Freude an Gott zu verkünden, ist die wichtigste Sendung von uns Christen und der Kirche heute. Damit tritt das innerste Motiv der Neuen Evangelisierung vor Augen, über die wir an der heutigen Tagung nachgedacht haben. Sie kann nämlich nur in Fahrt kommen und wirksam werden, wenn sie aus Freude am Evangelium entsteht und davon Zeugnis gibt, und zwar aufgrund des Wunsches, das unschätzbare Geschenk, das Gott selbst uns mit der Menschwerdung seines Sohnes an Weihnachten macht, mit anderen Menschen zu teilen.

Die Freude am Evangelium ist der innerste Antrieb der Neuen Evangelisierung. Sie lässt sich am einfachsten mit einer Wahrheit der Volksweisheit verdeutlichen, die besagt: „Wes` das Herz voll ist, des` geht der Mund über.“ Diese Wahrheit kennen wohl wir alle aus eigener Erfahrung. Wenn Menschen etwas sehr Schönes erlebt haben, wenn sie beispielsweise von bereichernden Ferien nach Hause gekommen sind, dann braucht man sie nicht erst aufzufordern oder ihnen gar zu befehlen, davon zu erzählen, was sie erlebt haben. Sie werden es vielmehr von sich aus tun. Manchmal sprudeln dann die Worte aus ihrem Mund, so dass sie uns Anteil an dem geben, was erfahren worden ist.

„Wes` das Herz voll ist, des` geht der Mund über“: Diese Wahrheit gilt erst recht für den christlichen Glauben. Denn wenn das Herz der Christen mit der Freude des Glaubens erfüllt ist, werden sie von selbst beginnen, das Evangelium zu verkünden, zu anderen Menschen von Gott zu reden und die Freude in ihrem Herzen an andere Menschen weiter zu geben.

Solche Evangelisierung legt uns im heutigen Evangelium vor allem Johannes der Täufer nahe, der die erzadventliche Gestalt schlechthin ist. Er stellt sich vor als „die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!“ (Joh 1, 23) Johannes versteht sich als Stimme, während der Herr, für den er den Weg bereitet, in der Heiligen Schrift den Namen „das Wort“ trägt. In diesem Verhältnis von Stimme und Wort erschliessen sich auch die Aufgabe und der tiefe Sinn der Neuen Evangelisierung: Wie der sinnliche Klang, nämlich die Stimme, die das Wort von einem Menschen zu einem anderen trägt, vorübergeht, während das Wort bleibt, so hat auch bei der Evangelisierung die menschliche Stimme keinen anderen Sinn als den, das Wort Gottes zu vermitteln; danach kann und muss sie wieder zurücktreten, damit das Wort im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bleibt.

Die Evangelisierung besteht darin, sinnlich-lebendige Stimme für das Wort Gottes und damit  - wie Johannes der Täufer – Dienst an der Verkündigung  dieses Wortes zu sein, und zwar mit unserem ganzen Leben. Denn Evangelisierung geschieht heute nicht so sehr durch konsumfreundliche Werbung oder durch die Verbreitung von viel Papier und auch nicht in den Medien. Das entscheidende Medium der Ausstrahlung Gottes sind vielmehr wir Christen und Christinnen selbst, die den Glauben glaubwürdig leben und so dem Evangelium ein persönliches Gesicht geben. Wenn uns Christus wirklich als Licht der Welt einleuchtet, werden wir von selbst ausstrahlen, Christen und Christinnen mit Ausstrahlung sein, die gleichsam wie finnische Kerzen leben, die bekanntlich von innen nach aussen brennen und so Licht geben.

Evangelisierung als Konsequenz eines freudigen Herzens

Brennen und Licht geben können wir aber nur, wenn wir von jener Freude erfüllt sind und sie ausstrahlen, die uns im Evangelium geschenkt ist. Den Menschen heute an dieser Freude Anteil zu geben ist der elementarste Weg der Evangelisierung von uns Christen heute, wie ihn Papst Benedikt XVI. immer wieder in Erinnerung gerufen hat: „Die Freude an Gott, die Freude an Gottes Offenbarung, an der Freundschaft mit Gott wieder zu erwecken, scheint mir eine vordringliche Aufgabe der Kirche in unserem Jahrhundert. Gerade auch für uns gilt das Wort, das der Priester Esra dem ein wenig mutlos gewordenen Volk nach der Verbannung zurief: Die Freude am Herrn ist unsere Stärke“ (Neh 8, 10).“[1] Auch für Papst Franziskus ist Freude ein Schlüsselwort, das er bereits in seinem Ersten Apostolischen Schreiben zum Klingen hat bringen lassen: „Die Freude des Evangeliums“. Denn er ist überzeugt, dass mit Jesus Christus „immer – und immer wieder – die Freude“ kommt und dass wir deshalb eine „neue Etappe der Evangelisierung“ brauchen. „die von dieser Freude geprägt ist“[2].

Die Neue Evangelisierung braucht vor allem getaufte Menschen, deren Herz von Gott geöffnet und deren Vernunft vom Licht Gottes erleuchtet ist, so dass ihr Herz die Herzen von anderen Menschen berühren und ihre Vernunft zur Vernunft Anderer sprechen können. Nur über Menschen, die selbst von Gott berührt sind und in dieser Freude leben, kann Gott auch heute zu den Menschen kommen. So gesehen ist die Evangelisierung nicht einfach eine Pflicht, die man als Christ zu erfüllen hat, sondern vielmehr eine Konsequenz, die sich von selbst ergibt, wenn wir in der Freude an Gott leben und andere Menschen an dieser Freude Anteil geben. Denn wessen Herz von der Freude am Evangelium Jesu Christ erfüllt ist, wird von selbst zu den Menschen gehen und ihnen sagen, dass er den wahren Grund seiner Freude gefunden hat.

Solche Freude neu zu gewinnen, sind die besondere Einladung und der Anspruch der Adventszeit, die uns auf das grosse Fest der Menschwerdung Gottes auf unserer Erde an Weihnachten vorbereitet und hinführt. Der dritte Adventssonntag, der den schönen Namen „Gaudete“ trägt, legt uns ans Herz, neu zu entdecken, worin wahre Evangelisierung besteht, und zwar nicht nur in der Adventszeit, sondern „zu jeder Zeit“: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Denn der Herr ist nahe“ (Phil 4, 4-5). Amen.

 

[1]  J. Kardinal Ratzinger, Die Kirche an der Schwelle des 3. Jahrtausends, in: Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio (Augsburg 2002) 248-260, zit. 259.

[2]  Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 1.