Homélie durant la messe avec les participants de la Conférence
„Katholische und orthodoxe Theologie im Dialog mit der Medizin“

(Basilique Saint-Pierre, 28 septembre2023)

 

DAS MENSCHLICHE LEBEN ALS GABE DES LEBENDIGEN GOTTES

 

Nach dem Babylonischen Exil sind die Israeliten gewiss glücklich gewesen, dass sie wieder in ihr Land zurückkehren konnten. Auf der anderen Seite haben die Heimkehrer aber unter grosser Armut leiden müssen. Sie sind deshalb überzeugt gewesen, dass sie den Tempel noch nicht wiederaufbauen können, weil sie arm sind. In dieser Situation greift aber der Prophet Haggai ein und stellt die Prioritätenordnung der Israeliten auf den Kopf, indem er verkündet, dass die Israeliten deshalb arm sind, weil sie den Tempel nicht bauen, und er mutet ihnen zu: „Geht ins Gebirge, schafft Holz herbei und baut den Tempel wieder auf!“ Dahinter steht die tiefe Überzeugung des Propheten, dass man Ethik und Kult nicht voneinander trennen darf, dass die irdischen Verhältnisse zwischen den Menschen vielmehr nur dann im Lot sind, wenn auch und sogar zunächst das Verhältnis zu Gott recht ist. Denn die Ethik kommt nicht zu kurz, sondern kommt erst recht zur Geltung, wenn sie in der Erkenntnis, Anerkennung und kultischen Verehrung Gottes verwurzelt ist und sich von ihr inspirieren lässt. Diese Prioritätenordnung, die der Prophet Haggai Israel ans Herz gelegt hat, hat auch heute nichts an Aktualität eingebüsst, sondern zeigt seine Bedeutung auch und gerade im christlichen Einsatz für die Würde des menschlichen Lebens von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Die Lesung im heutigen Gottesdienst lädt uns deshalb ein, unser Denken und Handeln im Dienst am menschlichen Leben in der Lebenszusage Gottes zu verwurzeln und uns dabei von den tiefen Quellen des christlichen Glaubens inspirieren zu lassen.

 

Gottes Geist - Urgrund allen Lebens

Das Zweite Ökumenische Konzil von Konstantinopel hat im Jahre 381 bei der Erwähnung des Heiligen Geistes, auf die sich das Glaubensbekenntnis zu Nizäa im Jahre 325 beschränkt hatte, drei erläuternde Aussagen hinzugefügt. Der erste Zusatz besteht darin, dass das Konzil den Heiligen Geist als den Herrn bezeichnet, „der lebendig macht“: „Dominum vivificantem“. Dieser Zusatz erweist sich für unseren christlichen Glauben als fundamental: Der Heilige Geist ist der Ursprung und Urgrund des Lebens, sein lebenschöpferisches Prinzip. Der Geist Gottes ist vornehmlich in seinen Wirkungen zu erkennen, und deren elementarste ist das Leben. Das Leben hat Anteil an der Heiligkeit des Heiligen Geistes und ist deshalb selbst heilig.

Mit dem Bekenntnis zum Heiligen Geist als „Dominum vivificantem“ entspricht das Konzil der biblischen Sicht des Heiligen Geistes als des Lebensprinzips in der ganzen Schöpfung. Bereits auf der ersten Seite spricht die Heilige Schrift davon, dass der Geist Gottes die lebendige Schöpferkraft ist, indem sie sein Wirken bei der Entstehung der Schöpfung besingt. Denn es ist der Geist Gottes, der über den Wassern schwebte, als die „Erde noch wüst und leer war“ (Gen 1, 2). Gemäss dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht steht der Geist Gottes mit seinem Wirken hinter der Schöpfung. Er ist der verheissungsvolle Vorbote des Lebens. Der Geist bringt das Chaos, das vor dem Schöpfungsmorgen da gewesen ist, in Bewegung und überwindet es. Der jüdische Denker Martin Buber hat darauf hingewiesen, dass das Schweben des Geistes über dem Wasser jenes Fibrieren meint, das die Henne vollzieht, wenn sie über ihren Eiern brütet. Der Geist Gottes, im hebräischen „ruach“, erweist sich als Mutter allen Lebens in der Schöpfung; und sein Fibrieren über den Wassern ist gleichsam die verheissungsvolle Ouvertüre der Schöpfung, mit der der Frühling des Lebens angekündigt wird.

Am eindruckvollsten wird in der Heiligen Schrift das belebende Wirken des Geistes Gottes im Psalm 104 beschrieben, wo es von den Geschöpfen im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von ihrem Schöpfer heisst: „Verbirgst du dein Gesicht, sind sie verstört; nimmt du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist aus, werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104, 29-30). Was hier vom Leben in der Schöpfung allgemein gesagt wird, gilt erst recht im Hinblick auf das Leben des Menschen. Denn gemäss dem zweiten Schöpfungsbericht wird der aus Erde gebildete Mensch erst dadurch zum Leben erweckt, dass Gott ihn anhaucht und ihm seinen Geist als Lebensodem schenkt.

 

Der Mensch als Ebenbild Gottes

In der Überzeugung, dass das Leben uns Menschen von Gott gegeben ist, tritt die tiefste Würde des menschlichen Lebens ans Tageslicht. Die Heilige Schrift bezeichnet den Menschen deshalb als Ebenbild Gottes. In dieser Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet bereits das Alte Testament die Unverletzlichkeit des Menschen für den Menschen und damit das Verbot, Menschenblut zu vergiessen: „Wer Menschenblut vergiesst, dessen Blut wird durch Menschen vergossen. Denn: als Abbild Gottes hat er den Menschen gemacht“ (Gen 9, 6).

Im Neuen Testament wird in den Augen Jesu der arme und leidende Mensch im Weltgericht sogar der Richter, ja der Geschworene, jedenfalls der erste und entscheidende Zeuge des Evangeliums, mit dem sich Jesus Christus nicht nur solidarisiert, sondern geradezu identifiziert: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40). Wer das Leben eines Menschen antastet, der begeht zugleich ein Attentat auf Gott selbst. Denn der Mensch ist gleichsam der lebendige Tabernakel Gottes in der Welt, Darin liegt zutiefst die humane Würde des menschlichen Lebens begründet, das deshalb unantastbar und heilig ist.

Im Licht des christlichen Glaubens wird die alttestamentliche Überzeugung vom Menschen als dem unantastbaren Ebenbild Gottes radikal vertieft. Denn Paulus nennt Jesus Christus den „zweiten Adam“, den endzeitlich neuen Menschen, auf den der Geist Gottes endgültig herabgekommen ist. In Jesus Christus ist deshalb das wahre Wesen des Menschseins verwirklicht und erfüllt. Denn erst der „zweite Adam“, der mit Gott und seinem unsterblichen Leben ganz verbunden ist, bringt das Wesen des Menschen überhaupt zur Erfüllung. Jesus Christus ist deshalb das vollendete Ebenbild Gottes, und wir Menschen sind berufen, als Ebenbilder Jesu Christi zu leben.

 

Eucharistische Gegenwart des ewigen Lebens

Von Jesus Christus her können wir auch verstehen, dass die Heilige Schrift auch hinter dem Leben des Menschen über seinen Tod hinaus die Wirksamkeit des lebenschöpferischen Gottes wahrnimmt. Wie der Geist Gottes der Ursprung allen irdischen Lebens ist, so ist er auch und erst recht der Ursprung des neuen Lebens aus der Auferstehung der Toten (Röm 1, 4). Die Lebenskraft des Geistes Gottes hat freilich das neue Leben der Auferstehung nicht nur hervorgebracht, sondern er bleibt mit ihm auch unlösbar verbunden. Um diese Eigenart des Auferstehungslebens zu beschreiben, spricht Paulus von einem Geistleib. Gemeint ist damit ein Leben, das mit dem geistlichen Ursprung allen Lebens so sehr verbunden bleibt, dass es nicht mehr dem Tod verfallen kann, sondern unvergänglich und unzerstörbar ist.

Dieses vollendete Leben der Ewigkeit wird in der Feier der Eucharistie gegenwärtig. Sie ist das Heilmittel der Unsterblichkeit, pharmakon athanasias. Je mehr wir dieses ewige Leben in der Eucharistie vorweg erfahren dürfen, umso mehr werden wir bereit sein, uns für die Lebendigkeit und Menschlichkeit des menschlichen Lebens in der heutigen Welt einzusetzen, gegen die Tötung menschlichen Lebens im Kleinen wie im Grossen für das Evangelium des Lebens zu kämpfen und dem Aufbau einer neuen Kultur des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod zu denen.

In der Feier der Eucharistie erfüllt sich von daher die Überzeugung des alttestamentlichen Propheten Haggai, dass der Wiederaufbau des Tempels den Primat haben muss, dass nämlich der christliche Einsatz für das menschliche Leben eine Konsequenz der wahren Verehrung des lebendigen Gottes ist. Denn im Licht des christlichen Glaubens ist das grundlegende Menschenrecht auf Leben tiefer zu verstehen als Gottesrecht, genauer als Gottesrecht auf das Menschenleben. Diese Überzeugung angesichts der heutigen Herausforderungen durch die Lebenswissenschaften gelegen oder ungelegen zu verkünden, ist die undelegierbare Sendung von uns Christen heute; und wir sind eingeladen, sie ihn ökumenischer Gemeinschaft glaubwürdig wahrzunehmen.

Bitten wir den lebendigen Gott, den Schöpfer, Erhalter und Vollender allen Lebens, dass er die heutige ökumenische Fachkonferenz mit seinem Geist begleitet, unsere Überzeugung vom menschlichen Leben als dem kostbaren Geschenk Gottes vertieft und uns beim Einsatz für einen Humanismus vom befruchteten Ei an bis zum natürlichen Tod stärkt.