Requiem for Pope Benedict XVI in the church
of Campo Santo Teutonico on the feast day of St Scholastica

(10 February 2023)

 

EINTAUCHEN IN DAS EWIGE LEBEN DER LIEBE

 

 

Von Karsamstag auf Ostern hin

Der Evangelist Lukas schildert das ganze Leben Jesu als eine Wanderschaft von Galiläa durch Samaria hindurch nach Jerusalem und damit in jene Stadt, die für Jesus zum Ort seiner Kreuzigung, aber auch zum Ort seiner Auferstehung geworden ist. An diesem Weg erhalten auch wir Christen durch Taufe und Glauben Anteil. In besonderer Weise gilt dies für Papst Benedikt XVI., der im Jahre 1927 am Karsamstag geboren worden ist. Dass mit diesem Geburtsdatum sein Leben von Anfang an in das Ostergeheimnis eingetaucht gewesen ist, hat ihn stets mit tiefer Dankbarkeit erfüllt. Denn der Karsamstag entspricht dem Wesen des menschlichen Lebens, „das noch auf Ostern wartet, noch nicht im vollen Licht steht, aber doch vertrauensvoll darauf zugeht“[1].

Wenn wir für den heimgerufenen Papst Benedikt XVI. das Requiem feiern, dann tun wir dies in der Glaubensüberzeugung, dass er nun den Weg vom Karsamstag nach Ostern ganz zu Ende gegangen und endgültig in das Ostergeheimnis eingetaucht ist. Und wir feiern das Requiem mit der inständigen Gebetsbitte, Gott möge ihm das ewige Leben schenken, das er ein Leben lang verkündet und theologisch reflektiert hat. Er selbst hat seine „Eschatologie“, die christliche Botschaft vom Tod und vom ewigen Leben als sein „am meisten durchgearbeitetes Werk“ angesehen.[2] Denn auf die Hoffnung auf das ewige Leben kommt es im christlichen Glauben entscheidend an. Das Ziel, auf das sich alles Leben aus dem Glauben ausrichtet, ist das ewige Leben bei Gott.

Wie könnten wir deshalb den heimgegangenen Papst Benedikt XVI. besser ehren als dadurch, dass wir uns der lebenswichtigen Frage stellen, wie wir Christen zum ewigen Leben gelangen können? Suchen wir mit Joseph Ratzinger Antwort auf diese Frage im Wort der Heiligen Schrift, das ein Wort des ewigen Lebens ist. Das heutige Evangelium erzählt uns davon, dass Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem bei den Geschwistern von Bethanien einkehrt, bei den beiden Frauen Maria und Martha Halt macht und Herberge sucht. In diesem Evangelium sind uns wichtige Wegweiser auf unserer Pilgerschaft zum ewigen Leben geschenkt.

 

Dem Gottesdienst nichts vorziehen

Die Perikope im 10. Kapitel des Lukasevangeliums löst erfahrungsgemäss bei vielen Menschen allerdings nicht Freude am Glauben, sondern Irritation und Verstörung aus, da Jesus eindeutig für Maria, die ihm zu Füssen sitzt und seinen Worten zuhört, Partei ergreift und Martha, die sich um ihren Gast kümmert, tadelt. Wir jedoch würden erwarten, dass Jesus sich umgekehrt für Martha einsetzt und Maria bittet, sie solle doch ihrer Schwester bei der Arbeit behilflich sein.

Mit dieser Erwartung würden wir freilich die Sinnspitze des Verhaltens Jesu verfehlen. Denn Jesus stellt keineswegs in Frage, dass sich Martha um ihn als ihren Gast sorgt; er kritisiert vielmehr ihren Übereifer, mit dem sie dies tut. Bereits rein menschlich gesehen besteht wahre Gastfreundschaft nicht darin, dass man den Gast mit allerlei Gerichten und anderen Angeboten überschüttet. Auf diese Weise gerät leicht in Vergessenheit, dass man seinem Gast mehr Ehre entgegenbringt, wenn man für ihn selber da ist, wenn man ihm seine Zeit und damit ein Stück seiner selbst schenkt, so dass sich Gast und Gastgeber wirklich begegnen können.

Zu dieser Grundhaltung will uns die Evangelienperikope vor allem Gott gegenüber einladen, der auch heute bei uns Herberge sucht und Gast sein möchte. Zumal ihm gegenüber ist die Grundhaltung Marias angebracht, dass wir ihm zu Füssen sitzen und auf sein Wort hören, um seine Gegenwart und damit das Geschenk Seiner selbst empfangen zu können.

Der privilegierte Ort, an dem wir Christen diese marianische Grundhaltung pflegen, ist der Gottesdienst, in dem wir ganz Ohr für Gott sind und ihn absichtslos loben, wie wir dies vor allem mit dem Gloria in der Heiligen Messe zum Ausdruck bringen: „Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam“. Mit dem Gloria rufen wir uns singend in Erinnerung, dass wir Gott in erster Linie nicht dafür danken und loben, was er an uns getan hat und auch heute für uns tut. Wir danken Gott und loben ihn vielmehr einfach dafür, dass er ist und dass er schön ist. Christliche Liturgie muss deshalb wahrhaft marianisch sein und hat „ihrem Wesen nach den Charakter des Festes“[3]. In dieser Weise ist der christliche Gottesdienst nicht nur eine Vorerfahrung des ewigen Lebens, sondern auch die beste Vorbereitung auf das eigentliche Ziel unseres Lebens in der ewigen Gegenwart Gottes.

Von daher wird der tiefste Grund sichtbar, dass Joseph Ratzinger uns stets ans Herz gelegt hat, dass die Liturgie so sehr die innerste Herzkammer des christlichen Lebens und der kirchlichen Gemeinschaft ist, dass Kirche und Liturgie geradezu identisch sind. In der Zentralität des Gottesdienstes liegt ein grosses Erbe, das Papst Benedikt XVI. uns hinterlässt. Und es ist ein schönes Zeichen, dass wir das Requiem für ihn am Gedenktag der heiligen Scholastika feiern dürfen, der Schwester des heiligen Benedikt, der in seiner Regel hervorgehoben hat, dass dem Dienst an Gott nichts vorgehen dürfe[4]. Dieser Kernpunkt seiner Regel ist ein sprechendes Echo des Wortes Jesu im heutigen Evangelium: „Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ Papst Benedikt XVI. hat sich stets dafür stark gemacht, dass christliche Liturgie die Haltung Marias im heutigen Evangelium wiederholen und in diesem Sinn marianisch sein muss. Und er ist deshalb auch der berechtigten Überzeugung gewesen, dass alle gewiss notwendige Erneuerung in der Kirche von einer tiefgehenden geistlichen Erneuerung der Liturgie ausgehen muss.

 

Gesundes Gleichgewicht zwischen Maria und Martha

Mit der starken Betonung des Gottesdienstes im Leben des Christen und der Kirche ist allerdings kein Wort dagegen gesagt, dass wir im christlichen Glauben auch handeln müssen und dass vor allem Diakonie notwendig ist. Dies zeigt sich bereits daran, dass im zehnten Kapitel des Lukasevangeliums der Perikope von Maria und Martha die Geschichte vom barmherzigen Samariter vorausgeht, mit der uns nahegelegt wird, dass wir Gott auch und gerade im bedürftigen und Not leidenden Menschen begegnen können und sollen. Papst Benedikt XVI. seinerseits hat in seiner ersten Enzyklika über die christliche Liebe „Deus caritas est“ Diakonie und Caritas eine grosse lehramtliche Bedeutung zugesprochen und dabei betont, dass der Liebesdienst genau so zum Wesen der Kirche gehört wie der Dienst der Sakramente und die Verkündigung des Evangeliums: „Die Kirche kann den Liebesdienst so wenig ausfallen lassen wie Sakrament und Wort.“[5]

Was uns das heutige Evangelium und Papst Benedikt XVI. als sein authentischer Exeget ans Herz legen wollen, besteht darin, dass wir auch heute in der Kirche im Verhältnis zwischen Maria und Martha immer wieder das rechte Gleichgewicht suchen und Gottesliebe und Nächstenliebe nicht voneinander trennen. Sie müssen sich vielmehr gegenseitig durchdringen, so dass in der Liebe zum Nächsten immer auch die Liebe zu Gott durchscheint und in der Liebe zu Gott auch die Liebe zum Nächsten gegenwärtig ist. Denn auf der einen Seite dürfen wir dem Nächsten nicht nur materielle Dinge geben; wir müssen ihm vielmehr auch Gott geben: „Wer ihm nicht Gott gibt, gibt ihm zuwenig.“ Eine Nächstenliebe, die Gott vergessen würde, würde das „eine wirklich Notwendige“ vergessen. Auf der anderen Seite muss in der Liebe zu Gott auch der Nächste gegenwärtig sein. Denn es ist Jesus Christus selbst, der im Nächsten auf uns zukommt und um unsere Gastfreundschaft bittet.

Dass im christlichen Leben Maria und Martha je auf ihre Weise zu ihrem Recht kommen können, hat Joseph Ratzinger bereits in einem frühen Aufsatz aus den fünfziger Jahren mit der Feststellung betont, dass es keine letzte Grenze zwischen Liturgie und Leben geben könne, dass die Liturgie sich vielmehr ins Leben hinein fortsetzen wolle, wie Jesus selbst seine neue Liturgie der Eucharistie am Kreuz gestiftet hat. Und er hat diese Überzeugung mit der Kurzformel zum Ausdruck gebracht: „Christlicher Glaube bezieht alles auf Gottesverehrung, aber nicht anders als auf dem Weg der Menschenliebe.“[6]

 

Erlöst-Werden als Geliebt-Werden

Damit kommt die entscheidende Wegweisung zum ewigen Leben an den Tag. In seiner Theologie und Verkündigung ist es Papst Benedikt XVI. stets darum gegangen, Gott zu den Menschen zu tragen und Menschen in eine persönliche Beziehung zum lebendigen Gott hinein zu führen, der seinerseits in Beziehung zu uns Menschen stehen will. Denn als Christen glauben wir nicht an irgendeinen Gott im Sinne eines höchsten Wesens jenseits der Welt, sondern an den Schöpfer der Welt, der nicht stumm ist, sondern spricht, sich konkret offenbart und in seinem Sohn Jesus Christus sein wahres Gesicht gezeigt hat, der auch heute für uns Menschen da sein und uns ewiges Leben schenken will. Papst Benedikt XVI. hat seine Lebensaufgabe darin gesehen, den Menschen zu zeigen, „was Glaube in der heutigen Welt bedeutet, wieder die Zentralität des Glaubens an Gott herauszustellen und den Menschen Mut zum Glauben zu geben, Mut, ihn in dieser Welt konkret zu leben“[7].

Oder mit den Worten des heutigen Evangeliums gesagt: Es kommt entscheidend darauf an, Menschen gleichsam marianisch zu machen, so dass sie wie Maria im Evangelium dem Herrn zu Füssen sitzen und auf sein Wort hören. Genau diese Haltung heisst Glaube. Er ist ein personaler Akt des Vertrauens und bewirkt eine gegenseitige Bindung zwischen Gott und Mensch. Christlicher Glaube ist das Suchen und Finden eines personalen „Du“, weil er auf jene persönliche Liebe antwortet, die Gott uns Menschen schenkt und die Er selbst in Person ist. „Deus caritas ist“ – Gott ist Liebe: Dies ist die Kernbotschaft, die Papst Benedikt XVI. ein Leben lang verkündet und theologisch reflektiert hat und die er uns als sein kostbares Erbe und hilfreiche Wegweisung zum ewigen Leben hinterlässt.

In dieser Liebe Gottes sind wir erlöst. Denn das Erlöst-Werden besteht zutiefst im Geliebt-Werden. Dies gilt auch und vor allem von der Vollendung des menschlichen Lebens über den Tod hinaus. Diese Zuversicht schenkt der christliche Glaube uns Menschen, wenn wir in jener grossen Hoffnung leben, die nur Gott selbst sein kann, der uns schenkt, was wir aus uns allein nicht vermögen, nämlich ewiges Leben. Es kann nicht von uns Menschen erleistet werden, sondern ist das Geschenk des liebenden Gottes, wie Joseph Ratzinger bezeugt: „Der Mensch kann deshalb nicht mehr total untergehen, weil er von Gott gekannt und geliebt ist. Wenn alle Liebe Ewigkeit will – Gottes Liebe will sie nicht nur, sondern wirkt und ist sie.“[8] Ewiges Leben ist vor allem deshalb das Geschenk des lebendigen Gottes, weil Gott in sich selbst Unsterblichkeit ist, nämlich als Beziehungsgeschehen der Dreieinen Liebe. Gott ist in sich Beziehung, weil er jene Liebe ist, die in der heutigen Lesung aus dem Hohelied so kräftig besungen wird und in der die Frau des Hoheliedes im hingegebenen Hören auf den Herrn mit ihm eins wird und die ewige Vereinigung der Liebe erfährt.

 

Ewiges Fest des Lebens mit Gott

Was Papst Benedikt XVI. geglaubt und mit seinem Leben bezeugt hat, das darf er nun schauen und das ewige Fest des Lebens mit dem grenzenlos liebenden Gott geniessen. In unserem Requiem bitten wir Gott, dass Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. an jener „Pilgerfahrt nach Jerusalem“[9] Anteil erhält, als welche der Evangelist Lukas das ganze Leben Jesu schildert und auf dem er bei Maria und Martha Herberge gesucht hat. Denn diese Pilgerfahrt ist ein Weg zur Auferstehung, auf dem sich auch das Leben vollenden wird, das am Karsamstag im Jahre 1927 begonnen hat und am letzten Tag des Jahres 2022 ausgeatmet worden ist. Dass auch dieser Karsamstag ganz in das Ostergeheimnis des ewigen Lebens eingetaucht ist, ist unsere Hoffnung auf dem Fundament des Glaubens, dass der Karsamstag nicht das Ende, sondern Pascha, Übergang zu Ostern ist.

In dieser Zuversicht des Glaubens nehmen wir auch hier in der Kirche des Campo Santo Teutonico, mit dem Papst Benedikt XVI. als Ehrenmitglied der Erzbruderschaft in besonderer Weise verbunden gewesen ist, von ihm nochmals Abschied und danken ihm für all das, was er uns mit seiner Theologie und seinem Lehramt und mit seinem Leben geschenkt hat und was er uns bedeutet.

Unseren persönlichen Dank bringen wir dabei ein in das grosse Dankgebet der Kirche, in die Feier der Eucharistie, die wir für Josef Ratzinger – Papst Benedikt XVI. auf dieser Erde feiern und die er selbst nun in der Ewigkeit Gottes in der Gemeinschaft der Heiligen feiern darf, von der er sich stets getragen wusste und deren Fürbitte wir ihn jetzt im Requiem anempfehlen: Requiem aeternam dona ei, Domine et lux perpetua luceat ei. Requiescat in pace!

 

 

 

[1].       J. Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben. Erinnerungen (Stuttgart 1997) 8.
[2].       Ebda. 175. Vgl. J. Ratzinger, Eschatologie – Tod und ewiges Leben (Regensburg 1977).
[3].       J. Kardinal Ratzinger, Das Fest des Glaubens. Versuche zu einer Theologie des Gottesdienstes (Einsiedeln 1981) 56.
[4].       Regula Benedicti 43, 3.
[5].       Benedikt XVI., Deus caritas est, Nr. 22.
[6].       J. Ratzinger, Kirche und Liturgie (1958), in: Mitteilungen des Institut-Papst-Benedikt XVI. Jahrgang 1 (Regensburg 2008) 13-27, zit. 25.
[7].       Benedikt XVI., Letzte Gespräche. Mit Peter Seewald (München 2016) 28.
[8].       J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München 1968) 292, jetzt in: Gesammelte Schriften. Band 4 (Freiburg i. Br. 2014) 314.
[9].       J. Ratzinger, „Höre, Tochter, und neige dein Ohr“ (Psalm 45, 11). Äbtissinnenweihe von Muter Domitilla Veith OSB, Frauenwörth, 10. Februar 1980, in: Ders., Predigten = Gesammelte Schriften. Band 4/3 (Freiburg i. Br. 2019) 1358-1364, zit. 1359.