Homilie im Pontifikalamt bei der Wissenschaftlichen Sommertagung
zum Thema „Glaube und Vernunft“ in der Gustav Siewerth Akademie

(Weilheim Bierbronnen, Deutschland, 13. August 2021)

 

DEN GLAUBEN IN WORT UND LEBEN BEZEUGEN

 

Am heutigen Tag gedenkt die Kirche in ihrer Liturgie des heiligen Papstes Pontianus und des heiligen Priesters Hippolyt. Beide haben während den Christenverfolgungen im dritten Jahrhundert den Glauben an Jesus Christus mit ihrem Leben bezahlt und werden deshalb zu den frühen Märtyrern gezählt. Das Wort Märtyrer leitet sich vom griechischen „martys“ ab, was Zeuge bedeutet. Mit diesem Wort werden jene Christen bezeichnet, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden und für ihn ihr Leben hingeben. Da die Märtyrer nicht nur Wort-Zeugen, sondern Tat-Zeugen oder noch besser Lebens-Zeugen des Glaubens sind, werden sie als die glaubwürdigsten Glaubenszeugen verehrt. Im ursprünglichen Sinn werden mit dem Wort „martys“ alle Christen bezeichnet, die in Wort und Leben Zeugnis für ihren Glauben an den Dreieinen Gott und seine Selbstoffenbarung in Jesus Christus ablegen. Das Martyrium im Sinne des Blutzeugnisses erweist sich damit als Ernstfall dessen, wozu jeder Christ und jede Christin berufen ist, nämlich Zeuge für den Glauben an Jesus Christus zu sein. Der Gedenktag der heiligen Pontianus und Hippolyt lädt uns deshalb ein, uns darauf zu besinnen, dass wir alle gerufen und gesandt sind, beim grossen Werk der Neuen Evangelisierung mitzuwirken und zunächst danach zu fragen, was diese Mission beinhaltet und wie wir sie leben können.

 

Mission als logische Konsequenz des Glaubens

Einen ersten und wichtigen Hinweis kann uns der Volksmund geben, der das schöne Wort kennt: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Die Wahrheit, die hinter diesem Wort steht, kennen wir alle wohl aus eigener Erfahrung. Wenn Menschen etwas sehr Schönes erlebt haben, wenn sie beispielsweise von bereichernden Ferien nach Hause gekommen sind, dann braucht man sie nicht zuerst aufzufordern oder ihnen gar zu befehlen, davon zu erzählen, was sie erlebt haben. Sie werden es vielmehr von sich aus tun. Manchmal sprudeln dann die Worte aus ihrem Mund, so dass sie uns Anteil an dem geben, was erfahren worden ist. „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“: Diese Wahrheit gilt erst recht für den christlichen Glauben. Nur wenn der Glaube das Herz von uns Christen erfüllt, fangen wir von selbst an, zu anderen Menschen von Gott zu reden und die Freude weiterzugeben, von der wir selbst erfüllt sind. Wenn bei uns Christen heute umgekehrt der Mund so oft nicht übergeht, müssen wir uns selbst zurückfragen, ob unser Herz noch voll ist.

Die Wahrheit des Volksmundes besagt, dass man nur das bezeugen kann, was man selbst intensiv erfahren hat. Dies gilt erst recht von unserem Zeugnis von Jesus Christus. Wir können ihn nur glaubwürdig bezeugen, wenn wir mit ihm eng verbunden sind und in Freundschaft mit ihm leben. Wie menschliche Freundschaften nur gelingen und lebendig bleiben, wenn man sie pflegt, so braucht auch das Zeugnis von Jesus Christus vertrauten Umgang mit ihm. Wenn wir dies bedenken, dann erweist sich der Auftrag zur Mission nicht einfach als eine Pflicht, die wir als Christen auch noch zu erfüllen haben, sondern als eine Konsequenz, die sich von selbst aus dem Glauben ergibt, wie sie Papst Benedikt XVI. deutlich ausgesprochen hat: „Der Charakter der Mission ist nichts, was dem Glauben äusserlich hinzugefügt wäre, sondern die Dynamik des Glaubens selbst. Wer Jesus gesehen hat, wer ihm begegnet ist, muss zu den Freunden eilen und ihnen sagen: <Wir haben ihn gefunden, es ist Jesus, der für uns gekreuzigt worden ist>.“[1]

In dieser Dynamik des Glaubens liegt der innerste Antrieb der Mission des Christen und der Kirche. Sie ist sehr schön sichtbar in den biblischen Ostergeschichten, vor allem in der Erzählung von den zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Am Schluss der Erzählung heisst es von ihnen, dass sie nach der Begegnung mit dem auferstandenen Christus und nachdem er ihnen das Brot gebrochen hat, „noch in derselben Stunde“ aufbrachen, nach Jerusalem zurückkehrten und den anderen Jüngern erzählten, „was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach“ (Lk 24, 33-35). Die gleiche Dynamik gilt auch für uns Christen heute: Die Begegnung mit Jesus Christus im persönlichen Gebet, in der Meditation des Wortes Gottes und in den Sakramenten der Kirche, vor allem in der Feier der Eucharistie, weckt in jedem Christen den „Drang zum Zeugnisgeben und zur Evangelisierung“[2].

Hier leuchtet der tiefste Grund auf, dass wir Christen zu den Menschen gesandt sind. Denn wir dürfen mit der grossartigen Botschaft leben, dass Gott uns Menschen so sehr liebt, dass er für uns seinen eigenen Sohn am Kreuz hingegeben hat, um uns ewiges Leben zu schenken. Wer diese Botschaft empfängt und aus ihr lebt, der kann sie nicht selbstgenügsam für sich behalten. Denn Selbstgenügsamkeit verfehlt nicht etwas am Glauben, sondern verfehlt den Glauben. Wer hingegen sein eigenes Herz von dieser Botschaft erfüllen lässt, der lässt dann auch sein Herz überfliessen und will auch anderen Menschen an dieser Botschaft Anteil geben und den Duft der Liebe Gottes überall dort verbreiten, wo er lebt und wohin er kommt. Das „Für uns“ Gottes in der heutigen Welt präsent zu machen und den Menschen zuzusprechen, ist der innerste Kern des christlichen Zeugnisses.

Das Zeugnis-Geben ist in erster Linie eine Frage der Liebe, die das kostbare Geschenk, das uns anvertraut ist, als ein Geschenk zum Weitergeben versteht und dazu einlädt, es zu empfangen. Wenn es sich so verhält, dann ist christliche Mission ein sehr persönliches Geschehen. Sie verwirklicht sich heute nicht so sehr durch so genannte konsumfreundliche Werbung und durch die Verbreitung von viel Papier und auch nicht in den Medien. Das beste und entscheidende Medium der Ausstrahlung Gottes sind wir Christen und Christinnen selbst, die ihren Glauben glaubwürdig leben und so dem Evangelium ein persönliches Gesicht geben. Denn wenn uns Christus wirklich als Licht der Welt einleuchtet, werden wir von selbst ausstrahlen, Christen und Christinnen mit Ausstrahlung sein, die gleichsam wie finnische Kerzen leben, die bekanntlich von innen nach aussen brennen und so Licht geben. Ein missionarisches Christentum heute braucht vor allem getaufte Menschen, deren Herz von Gott geöffnet und deren Vernunft vom Licht Gottes erleuchtet ist, so dass ihr Herz die Herzen Anderer berühren und die Vernunft zur Vernunft Anderer sprechen können, und zwar in jener Überzeugung, von der der missionarische Elan von Papst Benedikt XVI. erfüllt gewesen ist: „Nur über Menschen, die von Gott berührt sind, kann Gott wieder zu den Menschen kommen.“[3]

 

Martyrologischer Ernstfall des Glaubenszeugnisses

Nur in dieser missionarischen Grundhaltung können wir Christen auch bereit werden, unseren Glauben mit dem Leben zu bezeugen, wie es die beiden Heiligen des heutigen Tages bewiesen haben. Denn Martyrien gehören nicht einfach der Vergangenheit an, sondern sind auch heute blutige Realität. Vor allem am Ende des zweiten und am Beginn des dritten Jahrtausends ist die Christenheit erneut Märtyrerkirche geworden. Heute müssen wir eine neue Generation von Märtyrern wahrnehmen, die ein solches Ausmass angenommen hat, dass man nicht um das Urteil herumkommt, dass es heute sogar mehr christliche Märtyrer gibt als während den Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten. Achtzig Prozent aller Menschen, die heute wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Der christliche Glaube ist in der heutigen Welt die am meisten verfolgte Religion. Diese Realität macht sichtbar, dass die Märtyrer keine Randerscheinung in der Kirche darstellen, sondern in ihre Mitte gehören und ein Wesensmerkmal des Christentums ausmachen.

Warum dies so ist und stets bleiben wird, führen uns die Lesungen in der Liturgie der Heiligen Messe mit einer elementaren Eindeutigkeit vor Augen, und zwar zunächst dadurch, dass sie Jesus Christus als den ersten und glaubwürdigsten Märtyrer bezeugen. Denn indem Jesus die von uns Menschen an ihm ausgeübte Gewalt in Liebe umgewandelt und am Kreuz sein Leben für uns Menschen hingegeben hat, erweist sich Jesus Christus als der Erzmärtyrer und sein Kreuz als seine Liebe in ihrer radikalsten Form.

Die Passion Jesu Christi ist das Ur-Martyrium und zugleich das Urbild des Martyriums der ihm Nachfolgenden, die Anteil erhalten am Paschageheimnis Jesu Christi, wie er selbst im heutigen Evangelium verheisst: „Der Sklave ist nicht grösser als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15, 20). Gemäss diesem klaren Wort Jesu kann es prinzipiell kein martyriumsfreies Christsein geben. Man muss realistischerweise vielmehr davon ausgehen, dass die Nachfolge Jesu Christi immer auch das Martyrium einschliessen kann. Denn christliches Martyrium ist immer Anteilhabe am Geheimnis von Jesus Christus und seiner Passion. Der christliche Märtyrer stirbt nicht einfach für eine Idee, und sei es auch die höchste Idee der Menschenwürde. Er wird vielmehr, wie der katholische Theologe Hans Urs von Balthasar formuliert hat, „mit Christus gekreuzigt“ und stirbt „mit jemandem, der schon vorweg für ihn gestorben ist“[4].

In dieser christologischen Konzentration besteht das unverwechselbare Erkennungszeichen des christlichen Martyriums. Wie Jesus sich ganz am Willen Gottes für das Leben von uns Menschen orientiert hat und wegen seiner Liebe zu uns Menschen gestorben ist, so zeichnet sich auch der christliche Märtyrer dadurch aus, dass er das Martyrium als Konsequenz seiner Treue zum Glauben auf sich nimmt. Die Tradition der Kirche hat deshalb das Martyrium nicht bereits im Getötetwerden gesehen. Denn nicht der Tod an sich macht einen Christen zu einem Märtyrer, sondern der innere Grund und seine Gesinnung, die nur in der Liebe bestehen kann. Da der Märtyrer den Sieg der Liebe über Hass und Tod mit der Hingabe seines Lebens bezeugt, erweist sich das christliche Martyrium als höchster Akt der Liebe zu Jesus Christus und zu den Brüdern und Schwestern, wie das Zweite Vatikanische Konzil hervorhebt: „Das Martyrium, das den Jünger dem Meister in der freien Annahme des Todes für das Heil der Welt ähnlich macht und im Vergiessen des Blutes gleichgestaltet, wertet die Kirche als hervorragendes Geschenk und als höchsten Erweis der Liebe.“[5]

In unseren Breitengraden sind wir Christen heute nicht zu solchem Blutzeugnis gerufen. Das Gedächtnis der beiden heiligen Märtyrer Pontianus und Hippolyt lädt uns aber ein, die Märtyrer in der heutigen Welt in unser Gebet zu schliessen und ihnen für ihr Glaubenszeugnis zu danken. Von ihnen lassen wir uns aber auch ermutigen, unsere Freundschaft mit Christus zu vertiefen, unseren Glauben an Jesus Christus zu erneuern und in und mit unserem Leben zu bezeugen. Glaubwürdig können wir den Glauben aber nur weitergeben, wenn die Menschen an unserem Leben spüren können, wie man mit diesem Glauben leben und, wenn es Zeit ist und sein muss, auch sterben kann. In diesem gelebten Zeugnis besteht das entscheidende Kriterium jeder echten Neuen Evangelisierung.

 

 

 

[1]. Benedikt XVI., Lectio Divina mit den Seminaristen beim Besuch des Päpstlichen Römischen Priestersemínars am 12. Februar 2010.
[2]. Johannes Paul II., Mane nobiscum Domine, Nr. 24.
[3]. J. Ratzinger, Europa in der Krise der Kulturen, in: Ders., Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen. Philosophische Vernunft – Kultur – Europa –Gesellschaft. Zweiter Teilband = Gesammelte Schriften 3/2 (Freiburg i. Br.  2020) 765-777, zit. 777.
[4]. H. U. von Balthasar, Martyrium und Mission, in: Ders., Neue Klarstellungen (Einsiedeln 1979) 158-173, zit. 162.
[5]. Lumen gentium, Nr. 42.