Laudatio bei der Verleihung des Klaus-Hemmerle Preises an Erzbischof Anastasios Yannoulatos, Metropolit der Autokephalen Orthodoxen Kirche von Albanien im Aachener Dom am 14. Februar 2020

 

 

Doxologischer Lehrer der Herrlichkeit des Dreieinen Gottes, 
pastoraler Zeuge der Auferstehung des Herrn und ökumenischer Missionar der christlichen Liebe 

Laudatio für Erzbischof Anastasios Yannoulatos

 

 

Es ist für mich eine hohe Ehre und eine grosse Freude, anlässlich der Verleihung des Klaus-Hemmerle Preises die Laudatio halten zu dürfen für einen doxologischen Lehrer der Herrlichkeit des Dreieinen Gottes, einen pastoralen Zeugen der Auferstehung des Herrn und einen ökumenischen Missionar der christlichen Liebe. Diese dreifache Charakterisierung ist notwendig, um die wissenschaftliche, theologische, pastorale, missionarische und geistliche Physiognomie des Metropoliten der Autokephalen Orthodoxen Kirche von Albanien, von Erzbischof Anastasios in einer Laudatio zu würdigen. Eine Laudatio verpflichtet zugleich dazu, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, was sich bei einem derart langen und intensiven Leben, wie es Erzbischof Anastasios geschenkt ist, ohnehin aufdrängt.

Beginnen wir bei dieser dreifachen Charakterisierung mit dem Mittelglied, wie es nicht nur gemäss dem Sprichwort „Nomen est omen“ der Name des zu Ehrenden nahelegt, der in sich einen Bezug zur Auferstehung enthält. Es ist gewiss auch kein Zufall, sondern enthält bereits eine wichtige Botschaft, dass die Hauptkirche in Tirana eine „Auferstehungskathedrale“ ist und dass die Orthodoxe Theologische Akademie, die Erzbischof Anastasios in Albanien gegründet hat, den Namen „Auferstehung Christi“ trägt. Dass in Albanien und damit in jenem Land, das von der kommunistischen Diktatur wohl am schmerzlichsten verwundet worden ist, die Orthodoxe Autokephale Kirche, die während 23 Jahren aufgelöst und zerstört worden ist, wieder belebt und neu aufgebaut werden konnte, wird Erzbischof Anastasios und mit ihm viele Glaubende als eine Antizipation von Auferstehung erfahren haben; und dazu hat er selbst als Erzbischof von Tirana, Durres und Ganz Albanien seit seinem Amtsantritt im Jahre 1992 sehr viel beigetragen. Von daher beginnt man zu verstehen, dass das Glaubensgeheimnis der Auferstehung des Herrn Jesus Christus und damit der endgültige Sieg des Lebens über den Tod im Mittelpunkt seines theologischen Denkens und seines pastoralen Wirkens steht.

Dies gilt in besonderer Weise von seinem missionarischen Denken und Handeln, das sich wie ein roter Faden durch seine Biographie hindurch zieht. Denn mit der Auferstehung Jesu Christi ist der Missionsauftrag der Kirche auf das Engste verbunden, wie uns das letzte Kapitel im Matthäusevangelium, auf das Erzbischof Anastasios in seinen theologischen Reflexionen immer wieder zurückkommt, deutlich vor Augen führt, wo die Jünger vom Auferstandenen gesandt werden, in alle Welt zu gehen und die Botschaft des Evangeliums zu verkünden. Die Auferstehung des Herrn ist der Ausgangspunkt für die Ausweitung der Mission von Israel auf die ganze Welt. Auf diese Universalität der Mission legt Erzbischof Anastasios dabei ganz besonderes Gewicht, und zwar in der Überzeugung, dass die Mission der Kirche eine globale Bewegung ist und der Christ stets die Evangelisierung der ganzen Welt, nämlich der Ökumene im ursprünglichen Sinn des Wortes vor Augen haben muss. Denn der Wille Gottes, wie er in Jesus Christus offenbart und erfüllt ist, muss an allen Enden der Erde, gleichsam in jedem Winkel der Welt verkündet werden, wie unser Preisträger eindringlich betont: „Die Mission der Kirche muss klar den Horizont für <alle Völker> ohne Ausnahme beibehalten.“[1]

Diese Überzeugung hat Erzbischof Anastasios nicht nur gelehrt und gepredigt, sondern vor allem auch gelebt. Er darf ohne Übertreibung als Pionier des Missionsgedankens in der Orthodoxen Kirche gelten. Seine missionarische Leidenschaft ist dabei bereits in den Jahren seines Studiums grundgelegt worden. Er hat an der Universität von Athen Theologie studiert und anschliessend in Deutschland, genauer an den Universitäten von Hamburg und Marburg seine Studien in Religionswissenschaft, Ethnologie. Afrikanistik und Missionswissenschaft fortgesetzt. Dabei hat er sich eine reiche Kenntnis anderer Religionen wie des Hinduismus, Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, Islam und afrikanischer Religionen erworben. Von daher erklärt sich auch sein lebenslanges Interesse an anderen Religionen, die er in einem positiven Sinn als „Lichtstrahlen“ würdigt, „die Menschen von Gottes universaler göttlicher Ausstrahlung aufgegriffen haben“[2]. Denn Religionen öffnen den Menschen den Horizont zu etwas oder Jemanden, der jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Welt existiert, genauer zu einer transzendenten Wirklichkeit.

Bei aller Offenheit für den interreligiösen Dialog versteht es sich für Erzbischof Anastasios jedoch von selbst, dass für uns Christen Jesus Christus, das Wort Gottes in Person, das Kriterium ist und bleibt, anhand dessen wir die verschiedenen religiösen Ideen und Prinzipien würdigen und bewerten. Denn das Spezifische des christlichen Glaubens ist die Fleischwerdung der Liebe des Dreieinen Gottes, und deshalb bietet der christliche Glaube, wie Erzbischof Anastasios überzeugt betont, „die würdevollste Anthropologie“ und überschreitet er „jede rein humanistische Theorie“[3]. Hier liegt es zutiefst begründet, dass interreligiöser Dialog und missionarisches Engagement keine Gegensätze darstellen, sondern sich wechselseitig befruchten, und dass Erzbischof Anastasios sich sehr intensiv der Erweckung und Vertiefung des Missionsgedankens gewidmet hat. Er ist nicht nur Generalsekretär des Exekutivausschusses für Äussere Mission von Syndesmos und Gründer und Präsident des Orthodoxen Missionszentrums Porefthentes gewesen. Er hat in den Jahren 1983 bis 1991 vielmehr auch als der erste Orthodoxe Vorsitzende der Kommission für Weltmission und Evangelisation des Ökumenischen Weltrates der Kirchen gewirkt. Als Professor für Religionsgeschichte an der Universität von Athen bereits ab dem Jahre 1972 hat er sein missionarisches Engagement in Lehre und Forschung reflektiert. Er hat das Zentrum für missionarische Studien an der Universität Athen und das Gesamtorthodoxe Zentrum der Kirche von Griechenland in Athen geleitet. In Anerkennung seiner theologischen Arbeit, vor allem auf dem Gebiet der Missiologie, ist er im Jahre 1972 zum Bischof geweiht worden.

Bei seinem missionarischen Denken und Handeln hat er seine Aufmerksamkeit vor allem auf Afrika konzentriert. Bereits als Generalsekretär der Apostoliki Diakonia hat er den Bereich der äusseren Mission zur Unterstützung für die Missionsgebiete in Afrika, aber auch Korea und Indien entwickelt. Von daher wird die Feststellung nicht überraschen, dass Erzbischof Anastasios gleich am Tag nach seiner Priesterweihe im Jahre 1964 nach Ostafrika verreist ist. Da er jedoch in lebensgefährlicher Weise an Malaria erkrankt war, musste er seine missionarische Sendung aufgeben und wieder nach Europa zurückkehren. Als freilich seine Gesundheit wieder hergestellt war, hat er Afrika erneut und verschiedentlich besucht. Und ab dem Jahre 1981 hat er als Locum tenens der Metropolie Irinoupolis in Ostafrika die Verantwortung für die Organisation und Entwicklung der Orthodoxen Missionen übernommen. Seine umfangreiche Tätigkeit, die vor allem in der Errichtung von verschiedenen Missionen, in der Gründung von Schulen und medizinischen Einrichtungen, im Bau von neuen Kirchen und in der Förderung der Übersetzung der Göttlichen Liturgie in verschiedene afrikanische Sprachen zum Ausdruck gekommen ist, ist auch dadurch gewürdigt worden, dass er den schönen Ehrentitel „Grosser Wohltäter des Patriarchats von Alexandrien und Ganz Afrika“ erhalten hat.

Doch auch Afrika sollte nicht die letzte Station auf dem reichen Lebensweg von Erzbischof Anastasios sein. Nachdem er nach zehn Jahren wieder an die Universität Athen zurückgekehrt war, hat der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. ihn nach Albanien mit dem Auftrag gesandt, zu überprüfen, wie es um die Orthodoxe Kirche in diesem vom Kommunismus arg zerrütteten Land steht, und um einen geeigneten Kandidaten für das Bischofsamt zu finden. Schliesslich ist die Wahl auf seine Person gefallen, so dass er am 4. Juli 1992 als Oberhaupt der Orthodoxen Autokephalen Kirche von Albanien eingesetzt worden ist. In dieser Verantwortung hat er sich um den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Orthodoxen Kirche in Albanien sehr verdient gemacht, indem er über 400 Pfarreien reorganisiert und sich gekümmert hat um die Gewinnung und Bildung von neuen Klerikern, um die Errichtung von kirchlichen Lehranstalten mit Internat, um die Gründung von Einrichtungen für die Berufsausbildung und der Logos-Universität, aber auch um die Einrichtung von Grundschulen und Kindergärten und um Jugendzentren in verschiedenen Städten, um die Übersetzung von liturgischen, katechetischen  und geistlichen Publikationen, um den Neubau von über 150 Kirchen und die Restaurierung von ebenso vielen alten und beschädigten Kirchen. Zusammen mit diesem grossen Werk der Wiederbelebung der Orthodoxen Kirche in Albanien hat er sich auch in kulturellen und pädagogischen, landwirtschaftlichen und ökologischen Bereichen engagiert. In diesem weiten Gebiet hat sich Erzbischof Anastasios für den Wiederaufbau des Landes Albanien eingesetzt, was mit der offiziellen Verleihung der Albanischen Staatsbürgerschaft am 24. Dezember 2017 gewürdigt worden ist. Darüber hinaus hat er sich um den Abbau der vielen und starken Spannungen auf dem Balkan verdient gemacht, so dass er von vielen Persönlichkeiten in Albanien im Jahre 2000 für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist. Sein Friedensengagement setzt er auch als Ehrenpräsident der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden fort.

Wenn wir im Leben von Erzbischof Anastasios auf seine reiche Tätigkeit, von der nur einige Stichwörter genannt werden konnten, zurückblicken, steht vor uns ein orthodoxer Glaubenszeuge, der sich für die Versöhnung unter den Christen, im interreligiösen Dialog und für die friedliche Koexistenz der Völker engagiert und der in seiner Person solides theologisches Wissen, kundige Forschung in der Religionsgeschichte, missionarisches und pastorales Engagement und hohe soziale Sensibilität vereint. Verstehen kann man seine breite Wirksamkeit aber nur, wenn man feststellt, dass sein Herz für die missionarische Verantwortung der Kirche schlägt, auf die ich deshalb nochmals etwas eingehender zurückkommen möchte.

Für Erzbischof Anastasios steht fest, dass die Mission zu den Kernaufgaben der christlichen Kirche gehört und dass es deshalb notwendig ist, die Mission als Verpflichtung der Kirche zu erkennen und bei ihr im Blick auf die gesamte Menschheit mitzuwirken, wie er eingehend betont: „Mission ist die Weitergabe des Wortes und der Gnade Gottes und die Kundgabe von Gottes Herrlichkeit, die <in Christus> offenbart und erwartet wird <bis an das Ende der Erde> und das Ende der Zeit – und deshalb ist sie für die Kirche eine tiefe innere Notwendigkeit.“[4] Wenn die Mission so elementar nicht nur zur Sendung, sondern auch zum Wesen der Kirche gehört, dann ist eine Kirche ohne Mission ein Widerspruch in sich, mit der Konsequenz, dass eine Kirche, die nicht missioniert, bereits demissioniert hat. Die Mission ist deshalb auch ein glaubwürdiger Ausdruck der Vitalität der Kirche und eine lebendige Quelle ihrer Erneuerung. Dort hingegen, wo das missionarische Bewusstsein nicht mehr lebt, kommt es zu einer geistlichen Verwelkung der Kirche, wie Erzbischof Anastasios bildhaft zum Ausdruck bringt: „Wenn eine Diözese oder Gemeinde ausschliesslich um ihre Eigeninteressen kreist, beginnt sie geistlich zu verwelken.“[5]. Der Erzbischof erblickt denn auch die grössten Hindernisse für die Mission in der spirituellen Trägheit und in der „Schläfrigkeit, die in Trägheit und Passivität endet“[6] Und deshalb erwartet er vom Missionar Umkehr und Erneuerung in seinem eigenen Leben: „Die wahre Eigenschaft des Missionars ist das verwandelte Leben der ganzen Existenz in Christus.“[7]

Die Kirche ist berufen, das was sie empfangen hat, weiterzugeben und um der ganzen Welt willen auszustrahlen und darzubieten. Das innerste Motiv der Mission ist deshalb die Liebe. Die Liebe Gottes ist das Spezifische des christlichen Glaubens, und zwar so sehr, dass Liebe Gott nicht einfach zukommt als eine der vielen Eigenschaften wie Barmherzigkeit und Güte, sondern dass Gott selbst Liebe ist, wie er sich in seinem Sohn Jesus Christus offenbart hat. Die Mission ist von Erzbischof Anastasios ganz trinitarisch gesehen, denn sie kommt von der Dreieinigkeit Gottes her und strömt zu ihrer Herrlichkeit hin. Das Ziel der Mission besteht in der Verwirklichung der Gegenwart Gottes, der die Liebe ist, in der ganzen Welt, wie Erzbischof Anastasios betont: „Mission hat das grundlegende Ziel, eine Bewegung auszulösen, (a) in der die ganze Menschheit sich die Herrlichkeit Gottes zu eigen macht und sie ausstrahlt, und (b) für einen gemeinsamen Weg in den Bereich, der von Gottes Herrlichkeit erleuchtet wird, um zur Rückkehr der ganzen Schöpfung zum doxologischen Rhythmus beizutragen.“[8]

Es ist beeindruckend zu sehen, wie sehr Erzbischof Anastasios sein Denken auf die Herrlichkeit Gottes als Ziel der Mission und deshalb auf die Doxologie fokussiert. Denn Mission ist „eine globale Bewegung für die alles umfassende Doxologie des Universums“[9], so dass ihr Ziel in der Anakephalaiosis, in der Zusammenführung aller Wirklichkeiten in der Herrlichkeit Gottes liegt. Hier wird in besonderer Weise die orthodoxe Prägung des theologischen Denkens von Erzbischof Anastasios sichtbar, der den Kern des christlichen Glaubens mit den Worten zusammenfasst: „Der Inhalt des Glaubens und das Zentrum unseres Lebens ist Gott – als Heilige Dreieinigkeit, als Liebe.“[10]

Wenn Ursprung, Motiv und Ziel aller Mission in der Liebe Gottes gesehen werden, versteht es sich von selbst, dass man niemandem den Glauben aufzwingen darf und dass jeder Proselytismus dem Christlichen von Grund auf zuwider ist. Das Christliche wird aber auch verraten, wenn man den christlichen Glauben in der Begegnung mit anderen Menschen verschweigt und auf Mission verzichtet. Diesen beiden Extremformen gegenüber beschreitet Erzbischof Anastasios einen gesunden Mittelweg: „Einerseits ist es unannehmbar und von jeher antichristlich, anderen den Glauben aufzuzwingen; doch wenn wir anderseits unseren Glauben bewusst verschweigen oder mindern, machen wir uns eines doppelten Verrats schuldig: an unserem Glauben wie auch an dem Recht anderer, die ganze Wahrheit zu kennen.“[11]

Ich hoffe, dass mit diesen wenigen Streiflichtern auf das theologische Denken und Wirken von Erzbischof Anastasios deutlich werden kann, wie umfassend sein Engagement und wie reich seine Reflexionskraft sind. Sie haben ihren Niederschlag gefunden in einer umfassenden Bibliographie, aus der zusammen mit über zweihundert Studien und Artikeln vor allem über zwanzig Buchpublikationen zu sehr verschiedenen Themenbereichen zu erwähnen sind. Darunter finden sich Publikationen zu religionswissenschaftlichen Fragestellungen wie zur Frage nach der Transzendenz oder zur Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur in den Weltreligionen, Publikationen zum interreligiösen Dialog wie vor allem mit dem Islam oder zur Beziehung des christlichen Glaubens zu anderen Religionen, Publikationen zum religiösen Leben in Afrika, Publikationen zur Geschichte der Mission in der Orthodoxie und zur Theologie der Mission, Publikationen zu Herausforderungen, vor denen die Orthodoxie heute und in Zukunft steht, und zur orthodoxen Spiritualität und Publikationen zur Situation der Christen in Europa und Publikationen zur Orthodoxen Kirche in Albanien.

Angesichts dieses weiten Spektrums kann es nicht erstaunen, dass das Lebenswerk von Erzbischof Anastasios mit vielen Ehrendoktoraten und anderen Ehrungen gewürdigt worden ist. In dieser Reihe ist auch die heutige Ehrung mit der Verleihung des Klaus-Hemmerle-Preises zu sehen. Diese Preisverleihung findet ihren tiefen Sinn auch darin, dass Erzbischof Anastasios mit dem verstorbenen Religionsphilosophen und Theologen und späteren Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, eine tiefe Geistesverwandtschaft verbindet. Denn auch in seinem Denken steht der Gedanke der Mission im Vordergrund. Für Klaus Hemmerle ist die Kirche in ihrem innersten Kern Communio, freilich in keiner Weise als Selbstzweck, sondern als Missio, als Sendung, damit die Welt glaubt. In dieser Sinnrichtung hat Klaus Hemmerle sein Denken mit den Worten zusammenfassen können: „Diese Missio besteht gerade darin, dass das entscheidende Zeugnis der Kirche die Liebe ist. Immer und überall wird deutlich, dass ohne die Liebe alles Stroh wäre… Die einzige Realität, der es verheissen ist, dass an ihr die Welt Jesus Christus erkennen kann, ist unser gegenseitiges Einssein. Das Wort sagen, aber so, dass sich darin die Liebe sagt. Die Liebe, die der Inhalt dieses Wortes ist, aber auch die Kraft dieses Wortes, die sich darin bewährt, dass sie uns in sich verwandelt: das ist das Entscheidende.“[12]

Dieses längere Zitat stammt aus dem Buch von Klaus Hemmerle mit dem Titel: „Leben aus der Einheit“. Einheit, Liebe, Mission sind die entscheidenden Stichworte in seinem theologischen Denken. Sie sind auch jene Pole, um die das Denken und Wirken von Erzbischof Anastasios kreist. Damit wird auch die ökumenische Dimension seines Lebenswerkes sichtbar, die ich besonders dankbar hervorheben möchte. Sie zeigt sich nicht nur darin, dass Erzbischof Anastasios Vize-Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen und einer der Präsidenten des Weltrates der Kirchen gewesen ist, sondern auch darin, dass sein missionstheologisches Denken mit demjenigen des Zweiten Vatikanischen Konzils kongenial ist, das einen entschiedenen Übergang von einer konservierenden zu einer missionarischen Grundhaltung markiert und mit seinem Dekret „Ad gentes“ in Erinnerung ruft, dass die Kirche „ihrem Wesen nach <missionarisch>“ ist, und die Mission der Kirche trinitätstheologisch fundiert, indem es sie jener „quellhaften Liebe“ entspringen sieht, in der uns das „Liebeswollen Gottes des Vaters“ am authentischsten begegnet[13]. In dieser ökumenischen Sinnrichtung stellt auch Erzbischof Anastasios sein Leben in den Dienst an der Einheit: an der Einheit der eigenen Kirche, an der Einheit unter den Christen und an der Einheit der ganzen Menschheit. Dies zeigt sich auch daran, dass in seinem Lebenswerk jene vier elementaren Dimensionen durchscheinen, die die Ökumenische Bewegung seit ihrem Beginn geprägt haben:

Die Ökumenische Bewegung ist erstens eine Gebetsbewegung gewesen. Denn ohne eine intensive Gebetsströmung hätte das ökumenische Schiff den Hafen nie verlassen. Mit dem Gebet in der Ökumene bekennen wir, dass wir Menschen die Einheit nicht schaffen und auch nicht über den Zeitpunkt und die Weise der Einheit verfügen, sondern sie nur empfangen können. Wir Menschen können Spaltungen produzieren, wie die Geschichte und auch die Gegenwart zeigen. Die Einheit ist immer ein Geschenk des Heiligen Geistes; und die beste Vorbereitung, dieses Geschenk empfangen zu können, ist das Gebet. Die Suche nach der Einheit der Christen und der Einheit der Menschheit braucht eine tiefe Spiritualität, die wir im Lebenswerk von Erzbischof Anastasios vorfinden und die orthodox imprägniert und vor allem tief biblisch fundiert ist.

Die Ökumenische Bewegung ist zweitens eine Umkehrbewegung gewesen. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Umkehr der Anderen, sondern um die eigene Umkehr, die auch die Bereitschaft einschliesst, eigene Schwächen und Fehler einzugestehen. Die Suche nach der Einheit der Christen braucht vor allem die gemeinsame Umkehr zu Jesus Christus. Solche Umkehr erweist sich als ein dynamischer Beweggrund im Lebenswerk von Erzbischof Anastasios, der seiner eigenen Kirche, aber auch der ganzen Christenheit die Umkehr zu Jesus Christus und deshalb zur Mission zumutet, da die Mission der Kirche in der Sendung des Sohnes im innergöttlichen Leben begründet ist und dem Willen des Herrn entspricht.

Damit kommen wir wiederum auf das entscheidende Leitmotiv im Lebenswerk von Erzbischof Anastasios zurück, das sich auch am Beginn der Ökumenischen Bewegung findet, die eine Missionsbewegung gewesen ist, und zwar in der Überzeugung, dass das grösste Hindernis für die Weltmission die Gespaltenheit der Christenheit ist und dass eine glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi die Überwindung der Spaltungen und das Leben in der wiedergefundenen Einheit voraussetzt.

Dort, wo die Kirche ihre Mission im Bewusstsein, dass sich der Wille Gottes auf die ganze Welt, ja auf das ganze Universum richtet, engagiert vollzieht, dort lebt jener Friede, den nur Gott geben kann, den wir uns im Gottesdienst, zuhöchst in der Göttlichen Liturgie der Eucharistie schenken lassen dürfen und dem wir in der alltäglichen Sendung, die Erzbischof Anastasios sehr schön als „Liturgie nach der Liturgie“ bezeichnet, zu dienen  haben. Diese Überzeugung findet sich auch in der Ökumenischen Bewegung, die von allem Anfang an eine Friedensbewegung gewesen ist.

Die Ökumenische Bewegung ist seit ihrem Beginn eine Gebetsbewegung, eine Umkehrbewegung, eine Missionsbewegung und eine Friedensbewegung gewesen. Sie kann nur glaubwürdig den Weg in die Zukunft gehen, wenn sie von diesen vier Dimensionen geprägt bleibt. Dazu leistet das Lebenswerk von Erzbischof Anastasios einen hilfreichen, willkommenen und notwendigen Beitrag.

Seinen besonderen Dienst sehe ich darin, dass er uns mit seiner grossen Sprachenbegabung hilft. Er spricht sehr viele Sprachen wie Griechisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Albanisch, er hat reiche Kenntnisse im Altgriechischen, Lateinischen, Italienischen und Spanischen, und er ist auch mit afrikanischen Sprachen wie Galla und Suaheli vertraut. Während seines vielfältigen Lebens hat er gelernt, dass wenn jemand vorhat, in ein Land zu reisen oder dort zu leben, er dessen Sprache gut lernen und die dort gültige Währung kennen muss. Dies gilt in den Augen von Erzbischof Anastasios aber auch und vor allem von den entscheidenden Sprachen, in denen sich der christliche Glaube ausdrückt, nämlich den Sprachen des Gebetes und der Liebe. Über sie hat unser Preisträger vermerkt, dass das doxologische Gebet die „Sprache des künftigen Zeitalters“ und die Liebe „die einzige Währung in der Königsherrschaft des Himmels“ sind und dass diese beiden Sprachen auch in der Ewigkeit nie zu Ende kommen werden[14], so dass es sich nahelegt und aufdrängt, sie bereits jetzt intensiv zu studieren und zu pflegen.

Dass Sie, Seligkeit, mit Ihrem bedeutenden Lebenswerk ein ausgezeichneter Lehrer der christlichen Sprachen des Gebetes und der Liebe sind, darin erblicke ich den tiefsten Grund, dass Ihnen heute der von der Fokolar-Bewegung zum Andenken an Bischof Klaus Hemmerle gestiftete Preis verliehen wird. Wir gratulieren Ihnen zu diesem Preis und danken Ihnen für Ihr Lebenszeugnis, das im weitesten und Ihnen so wichtigen universalen Sinn ein ökumenisches Zeugnis ist, das wir in der heute schwierigen Situation des Christentums in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen dringend nötig haben. Wir brauchen geistliche Vitaminspritzen, die wir bei Ihnen in überzeugender Weise finden und die uns die Schönheit des christlichen Glaubens neu vor Augen führen und uns Mut zum missionarischen Zeugnis machen. Denn als Christen haben wir keinen grösseren und auch keinen schöneren Auftrag als den, in den säkularisierten und stets säkularisierter werdenden Gesellschaften Europas die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen, die Gegenwart des himmlischen Vaters, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat und der uns in der Kraft des Heiligen Geistes in die Mission ruft und uns dabei mit seiner Liebe begleitet, auch mit der Hilfe von glaubwürdigen Glaubenszeugen, als den wir Sie, Seligkeit, lieber Herr Erzbischof Anastasios, heute mit der Verleihung des Klaus-Hemmerle-Preises würdigen dürfen: in herzlicher Dankbarkeit und christlicher Freude.

 

 

 

[1]  Erzbischof Anastasios, Die Wiederentdeckung unserer apostolischen Identität im 21. Jahrhundert (2003), in: Ders., Mission auf dem Weg Jesu Christi. Eine orthodoxe Sicht = Epiphania. Band 13 (Münster 2020) 228-241, zit. 235.

 

 

[2]  Erzbischof Anastasios, Ein theologischer Zugang zum Verständnis anderer Religionen (1987), in: Ders., a.a.O. 145-169, zit. 159.

 

 

[3]  Erzbischof Anastasios, Dialog und Mission (1991), in: Ders., a.a.O. 202-208, zit. 207.

 

 

[4] Erzbischof Anastasios, Ziel und Beweggrund der Mission – aus theologischer Sicht (1967), in: Ders., a.a.O. 38-57, zit. 56-57.

 

 

[5]  Erzbischof Anastasios,  Das theologische Verständnis der Mission. Variationen über ein Thema (1991), in: Ders.,  a.a.O. 195-201, zit. 201.

 

 

[6]  Erzbischof Anastasios, Theologie, Mission und Seelsorge (1976), in: Ders., a.a.O. 58-80, zit. 71.

 

 

[7]  Erzbischof Anastasios, Orthodoxie und Mission (1964), in: Ders., a.a.O. 28-37, zit. 36.

 

 

[8]  Erzbischof Anastasios, Das doxologische Verständnis von Leben und Mission (1984), in: Ders., a.a.O. 122-137, zit. 125.

 

 

[9] Ebda. 128.

 

 

[10] Erzbischof Anastasios, Das theologische Verständnis der Mission . Variationen über ein Thema (1991), in: Ders., a.a.O. 195-201., zit. 195.

 

 

[11] Erzbischof Anastasios, „Dein Wille geschehe“. Misison auf dem Weg Christi (1989), in: Ders., a.a.O. 11-27, zit. 26.

 

 

[12]  K. Hemmerle, Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung (Freiburg i. Br. 1995) 199-200.

 

 

[13]  Ad gentes, Nr. 2.

 

 

[14] Erzbischof Anastasios, Das doxologische Verständnis von Leben und Mission (1984), in: Ders., a.a.O. 122-137, zit. 133.