Einführung beim Podium „ökumenischer Dialog“

An der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Lublin „Johannes Paul II.“

16. Oktober 2020

 

Kurt Cardinal Koch

 

Im Laufe der zweitausendjährigen Geschichte der Christenheit müssen wir viele und verschiedene Spaltungen konstatieren. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht in seinem Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ von „zwei besonderen Kategorien von Spaltungen, durch die der nahtlose Leibrock Christi getroffen wurde“ (Nr. 13). Demgemäss kann man zwei Grundtypen von Spaltungen unterscheiden, nämlich auf der einen Seite die ersten Spaltungen im Orient im 5. Jahrhundert und das grosse Schisma in der Kirche zwischen Ost und West im 11. Jahrhundert und auf der anderen Seite die Spaltungen in der Westkirche im 16. Jahrhundert. Die Überwindung dieser beiden grossen Spaltungen muss in verschiedenen und spezifischen ökumenischen Dialogen erfolgen. Man kann und muss sie gewiss voneinander unterscheiden; man darf sie aber nicht voneinander trennen. Denn das Ringen um die Wiedergewinnung der Einheit der Kirche ist unteilbar.

 

Dialog mit den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen

Erste Spaltungen in der Geschichte der Christenheit haben im Orient bereits im vierten und fünften Jahrhundert stattgefunden, da einzelne kirchliche Gemeinschaften die christologischen Lehrentscheidungen der Konzilien von Ephesus im Jahre 431 und vor allem von Chalkedon im Jahre 451 nicht angenommen und sich von der Reichskirche getrennt haben. Da es bei diesen Spaltungen um das Christusbekenntnis und damit um die innerste Mitte des christlichen Glaubens gegangen ist, versteht es sich, dass bei den beginnenden ökumenischen Gesprächen zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen in erster Linie christologische Fragen zu behandeln gewesen sind. Die theologischen Dialoge haben dabei zum erfreulichen Ergebnis geführt, dass es sich bei den christologischen Auseinandersetzungen im Wesentlichen auch um ein Sprachproblem gehandelt hat, insofern man verschiedene philosophische und theologische Begriff von Person und Natur verwendet hat, im Grunde aber denselben Christusglauben bezeugen wollte. Die diesbezüglichen ökumenischen Dialoge haben verschiedene christologische Erklärungen zwischen dem Bischof von Rom und Oberhäuptern von verschiedenen Orientalisch-Orthodoxen Kirchen vorbereitet und ermöglicht, so dass nach 1500 Jahren nach dem Konzil von Chalkedon die christologischen Differenzen in einer offiziellen Weise bereinigt werden konnten.

Im Jahre 2003 ist eine Gemischte Internationale Kommission für den theologischen Dialog begründet werden, die bereits zwei bedeutende Dokumente verabschiedet hat, nämlich über „Wesen, Verfassung und Sendung der Kirche“ und über „Ausübung der Gemeinschaft im Leben der frühen Kirche und die Implikationen für die Suche nach Gemeinschaft heute“. Momentan arbeitet die Kommission an der Vorbereitung der Veröffentlichung eines dritten Dokumentes über die Sakramente, um sich danach mariologischen Themen zuzuwenden.

 

Dialog mit den Orthodoxen Kirchen

Das Bemühen um die Überwindung des grossen Schisma in der Kirche zwischen Ost und West im 11. Jahrhundert hat seinen verheissungsvollen Beginn beim grossartigen Ereignis am 7. Dezember 1965 gefunden, als unmittelbar vor Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Patriarchalkirche St. Georg im Phanar in Konstantinopel und in der Petersbasilika in Rom die Gemeinsame Erklärung der höchsten Repräsentanten der beiden kirchlichen Gemeinschaften, des Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und von Papst Paul VI., verlesen wurde, mit der die beiderseitigen Anathemata von 1054 „aus dem Gedächtnis und der Mitte der Kirche entfernt“ worden sind, „damit sie für die Wiederannäherung in der Liebe kein Hindernis mehr darstellen können“[1]. Dieser Akt ist zum Ausgangspunkt für den ökumenischen Dialog der Liebe und der Wahrheit geworden.

Die theologische Bearbeitung der von der Vergangenheit her strittigen Fragen wird von der Gemischten Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche in ihrer Gesamtheit wahrgenommen. Während der ersten Dekade des Dialogs in den Jahren zwischen 1980 und 1990 konnten auf verschiedenen Vollversammlungen weitgehende Konvergenzen zwischen der orthodoxen und katholischen Theologie hinsichtlich der Themen des Geheimnisses der Kirche und besonders der Eucharistie, der Sakramente überhaupt, des Verhältnisses von Glaube, Sakrament und Kirche und des Weihesakramentes festgestellt werden. In der zweiten Dekade in den Jahren zwischen 1990 und 2000 sind die Gespräche immer schwieriger geworden, da sie sich immer stärker auf die kruzialen Probleme des Uniatismus und Proselytismus fokussiert haben, was im Jahre 2000 zum Abbruch der Kommissionsarbeit geführt hat.

Kurz nach Beginn des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. konnte aufgrund seiner Vermittlungsbemühungen der abgebrochene Dialog wieder aufgenommen werden, und zwar auf der Vollversammlung von Ravenna im Jahre 2007 mit der Verabschiedung des Dokuments „Ekklesiologische und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche. Kirchliche Communio, Konziliarität und Autorität“. In diesem Dokument wird dargelegt, dass Synodalität und Primat wechselseitig voneinander abhängig sind und dass diese Abhängigkeit auf allen Ebenen der Kirche gegeben sein muss. Dass Katholiken und Orthodoxe zum ersten Mal gemeinsam erklären konnten, dass die Kirche auch auf der universalen Ebene einen Protos oder eine Kephale braucht, darf als Meilenstein im katholisch-orthodoxen Dialog gewürdigt werden.

Seither beschäftigt sich die Kommission mit dieser Frage und konnte nach einer längeren Phase und nach schwierigen Vollversammlungen im Jahre 2016 das so genannte Chieti- Dokument veröffentlichen: „Synodalität und Primat im Ersten Jahrtausend. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis im Dienst an der Einheit der Kirche“. Als nächste Aufgabe steht die Bearbeitung der Fortsetzung mit dem Thema „Primat und Synodalität im Zweiten Jahrtausend und heute“ an. Anschliessend wird sich die Kommission dem Thema widmen: „Auf dem Weg zu Einheit im Glauben. Theologische und kanonische Fragen“. Dabei wird es darum gehen, in einem ersten Schritt zusammenzutragen, was im theologischen Dialog bereits geleistet worden ist, und in einem zweiten Schritt jene theologischen und kanonischen Fragen zu benennen, die noch gelöst werden müssen, um die Einheit im Glauben zwischen Orthodoxer und Katholischer Kirche zu finden, die den Weg öffnen wird zur eucharistischen Gemeinschaft. Dass dies das Ziel des ökumenischen Ringens um die Wiedergewinnung der einen und ungeteilten Kirche in Ost und West sein muss, hat der Ökumenische Patriarch Athenagoras bereits im Jahre 1968 mit diesen eindringlichen Worten ausgesprochen: „Die Stunde des christlichen Mutes ist gekommen. Wir lieben einander; wir bekennen den gleichen gemeinsamen Glauben; machen wir uns zusammen auf den Weg vor die Herrlichkeit des gemeinsamen heiligen Altars, um den Willen des Herrn zu erfüllen, damit die Kirche strahlt, damit die Welt glaubt und der Friede Gottes auf alle kommt.“[2]

 

Dialog mit den reformatorischen Gemeinschaften

Wenden wir uns nun den ökumenischen Dialogen im Dienst der Überwindung der Spaltungen aus der Reformationszeit in der Westkirche im 16. Jahrhundert zu. Der erste Dialog, den die Katholische Kirche unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils begonnen hat, ist derjenige mit dem Lutherischen Weltbund, der sich in den vergangenen fünfzig Jahren als fruchtbar erwiesen hat. Ein wesentlicher Schritt auf mehr Gemeinschaft hin konnte vor allem vollzogen werden mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die am 31. Oktober 1999 in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen unterzeichnet worden ist. Dass bei der wohl zentralsten Frage, die im 16. Jahrhundert zur Reformation und anschliessend zur Kirchenspaltung geführt hat, ein weitgehender Konsens erzielt werden konnte, darf man als ökumenischen Meilenstein würdigen. Ohne diese Gemeinsame Erklärung wäre ein gemeinsames Gedenken des Beginns der Reformation vor fünfhundert Jahren kaum denkbar geworden, wie es am 31. Oktober 2016 mit der Anwesenheit von Papst Franziskus und des Präsidenten und Generalsekretärs des Lutherischen Weltbundes im schwedischen Lund stattgefunden hat. Zu seiner Vorbereitung hat die Evangelisch-Lutherische / Römisch-Katholische Kommission für die Einheit das Dokument „From Conflict to Communion“ erarbeitet und veröffentlicht, in dem weitgehende Konsense über die Lehre von der Rechtfertigung, über das Verhältnis von Heiliger Schrift und Tradition, über Eucharistie und das kirchliche Amt festgestellt werden konnten.

Die Bedeutung der Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigungslehre wird noch dadurch hervorgehoben, dass sich dieser Gemeinsamen Erklärung in der Zwischenzeit auch die Methodisten und die Reformierten angeschlossen und auch die Anglikaner ihr zugestimmt haben, so dass aus einem ursprünglich bilateralen ein multilaterales Dokument mit fünf unterzeichnenden ökumenischen Partnern geworden ist.

In der Gemeinsamen Erklärung ist freilich auch festgehalten, dass mit ihr die ekklesiologischen Konsequenzen noch nicht geklärt sind. Dies bedeutet, dass nun die Klärung des Kirchenverständnisses und in diesem Zusammenhang auch die Besprechung der Fragen von Eucharistie und Amt zu den Haupttraktanden des ökumenischen Dialogs mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gehören müssen. Wir dürfen dankbar feststellen, dass sich bereits verschiedene nationale Dialoge mit dieser Thematik beschäftigen: Der lutherisch-katholische Dialog in den Vereinigten Staaten von Amerika hat eine diesbezügliche „Declaration on the way: Church, Eucharist and Ministry“ vorgelegt; und auch der nationale Dialog in Finnland hat zu dieser Thematik die umfangreiche Stellungnahme „Communion in Growth. Declaration on Church, Eucharist and Ministry“ publiziert. Auf diesen hilfreichen Vorarbeiten gilt es aufzubauen, und es bleibt zu hoffen, dass weitere gute Schritte auf den fünfhundertsten Jahrestag der Verabschiedung der Confessio Augustana im Jahre 2030 getan werden können. Denn das Augsburger Bekenntnis ist ursprünglich kein Dokument der Spaltung, sondern der Einheit und verpflichtet uns alle, die in einer tragischen Geschichte verlorene Einheit wieder zu finden.

Solche weitere Schritte in die Zukunft sind möglich, wenn sie in der Überzeugung vollzogen werden, dass es zur Ökumene keine Alternative gibt. Sie ist um der Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens und der Sendung der Kirche in der heutigen Welt willen notwendig, sie entspricht dem Willen des Herrn und ist eine Frucht des Heiligen Geistes. Es wäre deshalb Kleinglaube, würde man dem Heiligen Geist nicht zutrauen, dass er das, was er verheissungsvoll initiiert hat, auch zu Ende führen wird – freilich so und zu jener Zeit, wie er will. Auf ihn zu hören, ist das bleibende Gebot der ökumenischen Stunde auch heute.

 

 

[1]  Déclaration commune du pape Paul VI et du Patriarche Athénagoras exprimant leur décision d´enlever de la mémoire et du milieu de l´Èglise les sentences d´excommunication de l année 1054, in: Tomos Agapis. Vatican-Phanar (1958-1970) (Rome – Istanbul 1971), Nr. 127.

[2]  Télégramme du patriarche Athénagoras au pape Paul VI, à l’occasion de l’anniversaire de la levée des anathèmes le 7 décembre 1969, in: Tomos Agapis. Vatican-Phanar (1958-1970) (Rome – Istanbul 1971) Nr. 277.