Predigt im Ökumenischen Festgottesdienst anlässlich der Ausstellungseröffnung „Dialog der Konfessionen. Bischof Julius Pflug
und die Reformation“ im Dom St. Peter und Paul in Zeitz am 4. Juni 2017

Im Geist von Bischof Julius Pflug ökumenische Botschafter der Versöhnung Sein

 

Versöhnung als Geschenk Gottes

Im Evangelium, das in der Katholischen Kirche am Pfingstfest vorgesehen ist, wird uns berichtet, dass am Abend von Ostern der auferstandene Christus in die Mitte seiner Jünger, die aus Angst hinter verschlossenen Türen versammelt sind, kommt und ihnen seinen Friedensgruss zuspricht. Dann haucht er sie an und spricht zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20, 22-23). In der Sicht des Evangelisten Johannes sind Sündenvergebung und Versöhnung in der Kraft des Geistes Gottes das erste Ostergeschenk des auferstandenen Herrn und zugleich sein Auftrag an die Kirche im Werden.

                Die Botschaft des Pfingstevangeliums enthält eine besondere Aktualität im Jahr des Gedenkens an den Beginn der Reformation vor fünfhundert Jahren und hier in Zeitz im Besonderen bei der Erinnerung an Bischof Julius Pflug, der sich als letzter katholischer Bischof von Naumburg in der Reformationszeit und angesichts der drohenden Spaltung intensiv um Versöhnung und die Wahrung der Einheit bemüht hat und den man deshalb als frühen Ökumeniker würdigen darf. Wir können ihn deshalb gar nicht besser ehren als dadurch, dass wir auf die befreiende Botschaft von der Versöhnung hören, die der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther entfaltet hat und aus der ich vor allem drei Perspektiven hervorheben möchte:

                Beginnen wir dabei mit dem Elementarsten und Tiefsten: „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete“ (2 Kor 5, 19). Diese tiefe Weisheit des Paulus haben die Reformatoren, allen voran Martin Luther, neu in Erinnerung gerufen und dabei betont, dass nicht wir Menschen zu Gott gehen und ihm eine ausgleichende Gabe bringen müssen, um ihn zu versöhnen. Denn Gott wartet nicht, bis wir Menschen kommen und uns versöhnen. Aller menschlichen und allzu menschlichen Erfahrung nach müsste Gott da lange warten. Es ist vielmehr Gott, der den Menschen entgegen geht und sie versöhnt – wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn der Vater, der bei seinem Sohn auf keine Vorleistungen oder auf Genugtuung wartet, sondern seinem Sohn entgegen läuft, um ihm seine Versöhnung anzubieten. Versöhnung ist die unableitbare Initiative, die Gott ergreift, und ein Geschenkt, das er allen Menschen und dem ganzen Kosmos macht.

                In dieser Botschaft besteht das Unerhörte des christlichen Glaubens und gleichsam die Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte hinein getragen und die die Reformation neu zum Leuchten gebracht hat. Das Unerhörte dieser Botschaft dürfen wir auch uns gerade im Jahr des Reformationsgedenkens gesagt sein lassen, anlässlich dessen wir in der Geschichte auch viel Unversöhntem und sogar Kriegerischem begegnen und wir zur Versöhnung gerufen sind. Dabei ist es hilfreich, im Glauben darum zu wissen, dass wir Christen, konkret wir Katholiken und Evangelische, sich nur wirklich versöhnen können, wenn wir uns zunächst die Versöhnung zusprechen lassen, die Gott uns schenkt.

 

Hoher Preis der Versöhnung

Damit öffnet sich der Blick auf die zweite Perspektive, die uns Paulus vor Augen führt: Gott „hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5, 21). Das Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus ist keine billige Angelegenheit, sondern harte Arbeit, oder mit dem christlichen Märtyrer Dietrich Bonhoeffer gesprochen, keine billige, sondern teure Gnade. Gottes Versöhnung ist nichts weniger als konsequente Feindesliebe, wie sie in letzter Tiefe am Kreuz Jesu offenbar geworden ist. Denn gemäss unserer menschlichen Logik hätte die Grausamkeit des Kreuzestodes Jesu Rache bis zum Letzten bedeuten müssen, damit die Welt wieder in Ordnung wäre. Gott aber hat am Kreuz Jesu aller Macht und Vergeltung ein klares Ende gesetzt. Die einzige „Rache“, die Gott kennt, ist sein kompromissloses Nein zur Vergeltung und seine Versöhnung bis zum Ende. Das Kreuz Jesu ist Gottes Liebe in ihrer radikalsten Form, gleichsam sein grosser Versöhnungstag, der universale Yom Kippur.

                Martin Luther hat mit Recht die Botschaft vom Kreuz Jesu in den Mittelpunkt seiner Reformation gestellt. Er lädt uns damit ein, der Ernsthaftigkeit der Versöhnung Gottes in Jesus Christus ansichtig zu werden. Dazu ist es notwendig zu bedenken, dass Jesus als Lamm Gott mit der Welt versöhnt hat. Er begegnet uns damit in einer Weise, die wir Menschen niemals erwartet hätten. Wir würden ihn nämlich nicht als Lamm, sondern als Löwen erwarten, der mit seiner Kraft die Welt und ihre Strukturen aus den Angeln hebt und eine neue Welt schafft. Es ist kein Zufall, dass sich die Herrscher unserer Welt immer wieder mit dem Bild des Löwen dargestellt haben, um ihre Macht und Herrschaft demonstrativ zu feiern. Der christliche Glaube aber verkündet uns, dass die Versöhnung nicht durch die grossen und mächtigen Tiere in unsere Welt kommt, dass Jesus vielmehr als Lamm zu uns Menschen kommt und damit in der Kraft seiner wehrlosen Liebe, die freilich die konkrete Wirkweise seiner Macht ist.

                Jesus Christus als Lamm vor Augen wird uns auch für unseren Versöhnungsauftrag zwischen uns Christen bewusst, dass Versöhnung nicht in der potenten Attitüde des Löwen, sondern in der feinen Demutsgeste des Lammes möglich ist und dass Versöhnung nur dort geschieht, wo jemand – wie Gott selbst - den ersten Schritt wagt und deshalb den anderen einlädt, sich auf denselben Weg zu begeben.

 

Botschafter der Versöhnung sein

Wenn wir Christen von Gott das Geschenk der Versöhnung empfangen und uns von Gott in Jesus Christus versöhnen lassen, dann sind auch wir berufen und verpflichtet, Gottes Versöhnung zu verkünden, für die Versöhnung zu arbeiten und als Botschafter der Versöhnung zu leben und zu wirken. Dies ist die dritte Perspektive, gleichsam die glaubenslogische Konsequenz aus dem Versöhnungshandeln Gottes: „Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt: Wir bitten an Christi statt: lasst euch mit Gott versöhnen“ (2 Kor 5, 20).

                Für die Versöhnung unter den Menschen glaubwürdig wirken können wir Christen freilich nur, wenn wir uns selbst untereinander versöhnen und jene Einheit wiederfinden, die durch die Kirchenspaltung verwundet und verloren gegangen ist. Ökumene als Bemühen um die Wiederherstellung der Einheit der Christen ist wesentlich Versöhnungsarbeit, und zwar auf dem Weg „vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Solche Versöhnung ist notwendig im Blick auf die grosse Spaltung in der westlichen Christenheit im 16. Jahrhundert. Die Reformatoren, allen voran Martin Luther, wollten die Kirche nicht spalten, sondern sie im Geist des christlichen Evangeliums erneuern. Die Reformation bedeutet deshalb in erster Linie einen Vorgang der Erneuerung der Kirche durch die Wiederentdeckung des Evangeliums von der Rechtfertigung des Menschen durch die unverdienbare Gnade Gottes. Die damit intendierte Erneuerung der ganzen Kirche ist damals aber nicht gelungen. Es ist vielmehr zur Kirchenspaltung gekommen, und im Anschluss daran haben im 16. und 17. Jahrhundert grausame Glaubenskriege stattgefunden, in denen sich Katholiken und Lutheraner bis aufs Blut bekämpft haben, vor allem der Dreissigjährige Krieg, der das damalige Europa in ein rotes Meer von Blut verwandelt hat.

                Die Reformation enthält deshalb zwei Seiten: Auf der einen Seite sind wir dankbar für die Gaben, die uns durch die Reformation geschenkt worden sind. Auf der anderen Seite haben wir angesichts der traurigen Geschichte, in der der eine Leib Christi verwundet worden ist und wir Christen im Namen des Glaubens Gewalt gegeneinander ausgeübt haben, allen Grund, Schuld zu bekennen, Busse zu tun und uns im Licht der Versöhnungshandelns Gottes zu versöhnen. Dazu müssen wir jene Reinigung des geschichtlichen Gedächtnisses vollziehen, die Papst Franziskus im Blick auf das Reformationsgedenken anmahnt: „Wir können Geschehenes nicht auslöschen, aber wir wollen nicht zulassen, dass die Last vergangener Schuld weiter unsere Beziehungen vergiftet. Die Barmherzigkeit Gottes wird unsere Beziehungen erneuern.“[1]

                Barmherzigkeit und Versöhnung müssen die Leitperspektiven des ökumenischen Weges gerade im Jahr des Reformationsgedenkens sein. Dies wird uns umso mehr gelingen, desto entschiedener wir uns an jenem Gott orientieren, der uns in der heutigen Lesung vor Augen geführt ist, den Martin Luther leidenschaftlich in Erinnerung gerufen und im Glauben an ihn Bischof Julius Pflug sich als weiser Vermittler in einer bedrängenden Zeit für die Versöhnung und Einheit unter den Christen eingesetzt hat. Diesen Gott der grenzenlosen Versöhnung können wir Christen in der heutigen Welt nur gemeinsam und als Versöhnte glaubwürdig verkünden. Und diesen Gott in ökumenischer Gemeinschaft in unserer heute weithin säkularisierten Gesellschaft, in der Gott oft genug auf die Ersatzbank gesetzt wird, wieder in die Mitte zu rücken, ist der wichtigste Auftrag, dem wir Christen heute in ökumenischer Gemeinschaft verpflichtet sein müssen. Dann wird die Welt auch heute erkennen können, dass Versöhnung die kostbare Perle des christlichen Glaubens und ein grossartiges Angebot für das Leben und Zusammenleben der Menschen ist.

                Mögen das Reformationsgedenken in diesem Jahr und im Speziellen die Erinnerung an Bischof Julius Pflug uns zur Glaubenserkenntnis und zum Glaubensbekenntnis bewegen: Versöhnung – Gott sei Dank! Denn Versöhnung ist in erster Linie nicht eine Forderung an uns Menschen, die uns schnell überfordert, sondern Konsequenz des Glaubens, der befreit, und damit unsere Antwort des Glaubens auf jene Versöhnung, die Gott uns schenkt – aus Gnade und damit gratis. Amen.

 

Lesung: 2 Kor 5, 17-21

 

 

 

[1].  Franziskus, Predigt in der Vesper am Hochfest der Bekehrung des Apostels Paulus in der Basilika St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 2016.