Homilie im Pontifikalamt anlässlich des Jubiläums 600 Jahre Papstwahl in Konstanz im Konstanzer Münster am 12. November 2017

Primat des Christusbekenntnisses. Die schöne Sendung des Petrus und seines Nachfolgers

 

Im menschlichen Leben liegen Licht und Schatten oft nahe beieinander. Nicht selten kommt das Licht erst wirklich zur Geltung, wenn man den dunklen Hintergrund nicht verdrängt, sondern wahrnimmt. Diese Weisheit gilt auch für die Kirchengeschichte und im Besonderen für das heutige Jubiläum. In dankbarer Freude feiern wir die Papstwahl beim Konzil von Konstanz vor 600 Jahren, die die einzige gewesen ist, die nördlich der Alpen vorgenommen worden ist. Der dunkle Hintergrund dieses freudigen Ereignisses ist freilich die Erinnerung an das grosse Schisma in der Kirche des Westens, das die Christenheit beinahe vierzig Jahre lang erschüttert hatte. Dieses konnte erst mit der Wahl von Papst Martin V. beendet werden. Licht und Schatten scheinen freilich auch und bereits bei jener Gestalt auf, deren Nachfolger der Papst ist, nämlich beim Heiligen Petrus. In der Heiligen Schrift wird er uns als schwacher Mensch vor Augen geführt, und zwar bis dahin, dass er den Herrn verleugnet hat und geflohen ist. Gerade er aber ist von Christus zum Felsen der Kirche erwählt worden, und damit ist die menschliche Schwachheit zum Zeichen der göttlichen Vorsehung geworden. Wenn wir diese Spannung zwischen menschlichem Stolperstein und erwähltem Felssein bedenken, sind wir gut beraten, unsere Aufmerksamkeit auf jene Sendung zu richten, mit der Jesus Petrus und damit auch seinen Nachfolger betraut hat. Dabei sind es vor allem drei biblische Situationen, in denen der Auftrag Jesu in besonderer Weise an den Tag tritt und die wir näher betrachten wollen.

 

Christus bekennen und zu ihm hin führen

Die erste Situation begegnet uns im heutigen Evangelium nach Matthäus, wo Jesus den Simon bei seinem neuen Namen, den er ihm gegeben hat – „Petrus“ - behaftet und ihm verheisst, dass er jener Fels ist, auf dem er seine Kirche bauen will, und dass die Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen werden. Die Voraussetzung für diese Verheissung besteht aber darin, dass sich Petrus ganz zu seinem Herrn bekennt.

                Der Ernst dieses Geschehens wird freilich erst sichtbar, wenn wir bedenken, wo es sich ereignet. Die Szene spielt sich in Cäsarea Philippi bei den Quellen des Jordan und damit am Rande des jüdischen Landes, gleichsam an der Grenze zur heidnischen Welt und damit an der Peripherie ab. Wichtiger als der geographische Ort ist der zeitliche Kontext im Leben Jesu. Er steht am entscheidenden Wendepunkt seines irdischen Weges. Bald wird er nach Jerusalem aufbrechen, und er eröffnet deshalb seinen Jüngern zum ersten Mal, dass sein Weg in die Heilige Stadt führe und dass er ein Weg des Kreuzes sei: „Von da an begann Jesus seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden, er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen“ (Mt 16, 21).

                In dieser sehr kritischen Situation stellt Jesus den Jüngern die Frage, für wen ihn die Menschen halten. Die Auskunft der Jünger über die Ansichten der Leute mag interessant sein, aber sie genügt Jesus nicht. Er stellt vielmehr an die Jünger die ganz persönliche Frage: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Auf diese Frage antwortet Petrus ebenfalls persönlich mit jenem Bekenntnis, das zum Ursprung des christlichen Glaubensbekenntnisses überhaupt geworden ist: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Petrus ist der Fels also gerade darin, dass er sich stellvertretend und im Namen der anderen Jünger zu Jesus bekennt, und zwar aus innerer Betroffenheit heraus. Denn dieses Bekenntnis kann nicht einfach ein rein objektiver oder gar neutraler Satz sein – wie bei den Leuten -; es muss vielmehr aus Überzeugung geschehen, wenn es das innere Geheimnis Jesu berühren will. Die Sendung des Petrus und damit auch seines Nachfolgers heute besteht in erster Linie darin, mit seinem Bekenntnis zu Jesus Christus uns allen voranzugehen und uns zu Christus zu führen und uns zu helfen, in dieses Glaubensbekenntnis einzustimmen.

 

Die Brüder und Schwestern eucharistisch stärken

Wechseln wir die Szene und schauen wir auf den Evangelisten Lukas. Die besondere Aufgabe, die Jesus Petrus überträgt, besteht darin, dass er seine Brüder stärken soll. Zum tieferen Verständnis ist auch hier der Kontext wichtig, in dem dieser Auftrag ausgesprochen wird. Zunächst kündet Jesus dem Petrus ungeschminkt dessen Verleugnung an: „Simon, Simon, der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf“ (Lk 22, 31). Diese Worte erinnern an das alttestamentliche Buch Hiob, in dem der Satan von Gott die Zustimmung verlangt, Hiob Schaden zuzufügen und damit zu demonstrieren, dass es wahre Frömmigkeit gar nicht geben kann. Auch hier ist wiederum die Schwachheit Petri angesprochen, die mit seiner Sendung zusammen gehen muss.

                Jesus kündet aber nicht nur die Erprobung des Petrus an, sondern er spricht auch seinen Schutz zu mit den Worten: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt.“ In diesem Gebet Jesu darf Petrus in seiner Sendung Zuflucht finden. Denn das Gebet ist die Macht Jesu, mit der er die Macht des Bösen begrenzt. Das Gebet Jesu beschützt den Glauben, den Petrus bei Cäsarea Philippi bekannt hat. Damit zeigt sich, dass die Sendung des Petrus im Gebet Jesu verankert ist und von diesem Gebet begeleitet wird.

                Lukas zeigt zudem sehr schön, dass Jesus dem Petrus den Auftrag beim Letzten Abendmahl anvertraut, in dem auch das Geschenk der Eucharistie an die Kirche ihr Fundament hat. Die Kirche ist deshalb in ihrem Innersten eucharistische Gemeinschaft, in der Christus uns seine Liebe schenkt, die bis in den Tod gegangen ist. Diese Liebe Jesu Christi darf die Kirche in der Eucharistie immer wieder und besonders intensiv erfahren; und in ihr findet sie ihre tiefste Einheit.

                Im Dienst dieser Einheit steht in besonderer Weise die Kirche von Rom mit ihrem Bischof, die der Heilige Ignatius von Antiochien in seinem Brief an die Römer als jene Kirche bezeichnet hat, die den „Vorsitz in der Liebe“ hat. Mit diesem „Vorsitz in der Liebe“ nimmt der Nachfolger des Petrus jene Sendung wahr, die Jesus dem Petrus anvertraut hat. Im Evangelium des Lukas verdeutlicht Jesus diesen Auftrag mit den Worten: „Wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder.“ Der Auftrag des Petrus und seines Nachfolgers besteht also darin, seine ganze Energie zu investieren, dass der Glaube an Jesus Christus niemals verstummt, sondern dass er ihn immer wieder stärkt und dazu auf die betende Unterstützung Jesu angewiesen ist. Damit er diese Aufgabe wahrnehmen kann, muss er sich selbst bekehren, genauer von der Versuchung ablassen, seine eigenen Ideen in den Vordergrund zu stellen. Denn er ist nicht berufen, Jesus voran-zugehen, sondern ihm nach-zufolgen und seine Brüder und Schwestern zur Nachfolge Jesu einzuladen.

 

Die Schafe in Liebe weiden

Wechseln wir nochmals die Szene und blicken in das Johannesevangelium. Hier ist es der auferstandene Christus, der Petrus am See von Tiberias begegnet, sich ihm offenbart und ihm die Sendung anvertraut, seine Schafe zu weiden. Auch hier ist der Kontext von entscheidender Bedeutung. Bevor Jesus Petrus beauftragt, stellt er ihm die ernsthafte Frage: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“ (Joh 21, 15). Wie ernst es Jesus mit dieser Frage ist, zeigt sich daran, dass er diese Frage dreimal wiederholt. Damit macht Jesus unmissverständlich deutlich, dass die Liebe zu ihm das wichtigste Kriterium für eine spezifische Berufung in seine Nachfolge ist.

                Für geschulte Ohren von uns modernen Christen und Christinnen mag diese Konzentration auf das eine Kriterium der Liebe zu Jesus Christus seltsam klingen: etwas spiritualistisch und abgehoben. Doch wir können den biblischen Text drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen nicht an der Feststellung vorbei: Der Auferstandene fragt Jesus nicht nach seinem künftigen pastoralen Programm und schon gar nicht nach dem kirchenpolitischen Kurs, den er einzuschlagen gedenkt. Der Auferstandene fragt Petrus nicht einmal danach, ob ihn die anderen Jünger und das Volk Gottes wohl annehmen werden. Nein, Christus fragt Petrus allein nach seiner Liebe zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“

                Die Liebe zu Christus ist die Grundbedingung für Petrus und seinen Nachfolger, der berufen ist, diese Liebe Christi zu verkünden und in den Sakramenten zu feiern. Denn die Schafe Jesu kann nur derjenige weiden, der in liebender Freundschaft mit Christus verbunden ist. Damit kommt an den Tag, was das innerste Wesen der Sendung des Petrus und seines Nachfolgers ist. Das Johannesevangelium gibt uns darauf die schöne Antwort: Petrus und sein Nachfolger leben von derjenigen Liebe, mit der Christus selbst uns liebt. Der Papst wird deshalb dadurch immer besser Papst und die ganze Kirche wird dadurch immer besser Kirche, dass sie die zum Äussersten gehende Liebe Jesu Christi sichtbar darstellen und bezeugen.

In Gehorsam „Vikar“ Christi sein

Wenn wir diese drei Szenen zusammen sehen, wird uns bewusst, wie tief die Sendung des Petrus und seines Nachfolgers im ganzen Neuen Testament begründet ist. Und es wird sichtbar, worin die Sendung des Petrusnachfolgers besteht, nämlich im Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus als Dienst an der Einheit der Kirche und an der Einheit aller Christen. Wie Petrus das Bekenntnis zu Jesus Christus abgelegt und so zum Felsstein der Einheit geworden ist, so besteht die Aufgabe des Nachfolgers des Petrus darin, Anführer im Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus zu sein. Die Kathedra des Bischofs von Rom ist vor allem die Kathedra dieses Christusbekenntnisses, und er steht in der Pflicht, von dieser Kathedra aus zu verkünden und immer zu wiederholen, dass Christus der Herr ist.

                In diesem Sinn ist der Papst wirklich Stellvertreter Christi, dass er sein Treuhänder ist und für ihn steht und einsteht. Oder mit den Worten von Papst Benedikt XVI.: „Der Papst ist kein absoluter Herrscher, dessen Denken und Willen Gesetz sind. Im Gegenteil: Sein Dienst garantiert Gehorsam gegenüber Christus und seinem Wort.“[1] Der Nachfolger des Petrus will uns helfen, uns zu Christus zu bekennen und ihn zu lieben.

                Das ist auch der tiefste Sinn des heutigen Jubiläums. Denn die Kirche braucht diesen Dienst des Petrusnachfolgers; deshalb sind wir dem Konzil von Konstanz dankbar, dass es in den grossen Wirren der damaligen Zeit der Kirche einen neuen Papst in der Person von Martin V. geschenkt hat. Und wir sind Christus dankbar, dass er uns immer wieder einen Nachfolger des Petrus schenkt, der den „Vorsitz in der Liebe“ hat und dem wir in der Eucharistie in besonderer Weise verbunden sind. Amen.

 

 

[1].  Benedikt XVI., Predigt in der Eucharistiefeier anlässlich der feierlichen Inbesitznahme der Kathedra des Bischofs von Rom in der Lateranbasilika am 7. Mai 2005.