Jüdisch-katholischer Dialog als Herzensanliegen

 

Rev.do Padre Norbert Hofmann, SDB
Segretario della Commissione per le relazioni con l'Ebraismo

 

Am heutigen 17. Januar begeht die Kirche in Italien, Polen, Österreich und den Niederlanden die „Giornata dell’Ebraismo“, ein Ausdruck der Wertschätzung des Judentums innerhalb der katholischen Kirche. Christen wollen sich der jüdischen Wurzeln des eigenen Glaubens bewusst werden und den Dialog mit dem Judentum fördern. Dort, wo Juden und Katholiken Seite an Seite wohnen, gibt es nicht selten gemeinsame Aktionen, sowohl auf konkret pastoraler wie auf mehr akademischer Ebene. Es ist erfreulich, dass auch die Schweizer Bischofskonferenz in Planungen zur Einführung eines derartigen „Dies Iudaicus“ eingetreten ist, und es ist zu wünschen, dass weitere Bischofskonferenzen über diese Möglichkeit zur Förderung des jüdisch-katholischen Gesprächs nachdenken.

Es ist allerdings zu bedauern, dass die italienische Rabbinerkonferenz aufgrund der Diskussionen um die neue Karfreitagsfürbitte für das Missale von 1962 die Mitarbeit an dieser „Giornata dell’Ebraismo“ abgesagt hat. Sie hat freilich betont, dass sie den Dialog mit der katholischen Kirche nicht grundsätzlich aussetzen, sondern nur eine Denk- und Reflektionspause einlegen will. Die Conferenza Episcopale Italiana (CEI) hält dennoch auch in diesem Jahr an dieser „Giornata dell’Ebraismo“ fest, da es sich dabei um eine innerkirchliche Angelegenheit handelt, die einen Zeugnischarakter für die religiöse Wertschätzung des Judentums hat.

Die neue, am 4. Februar 2008 publizierte Karfreitagsfürbitte für den Ritus von 1962 hat zwar zu Irritationen im jüdisch-katholischen Gespräch auf internationaler, wie auf nationaler Ebene geführt. Die Reaktionen waren jedoch je nach Organisation, Land und Mentalität sehr unterschiedlich. Vielfach wurde diese Fürbitte als Aufruf zur Mission und zu Proselytismus gegenüber den Juden missverstanden. Eine theologisch fundierte Interpretation zum rechten Verständnis hat daraufhin Kardinal Walter Kasper, der Präsident der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, in dem Artikel im Osservatore Romano vom 10. April 2008. “La preghiera del Venerdì Santo per gli ebrei. La discussione sulle recenti modifiche” veröffentlicht. Darin stellt er heraus, dass die Fürbitte einen eschatologischen Charakter hat und in keiner Weise als Aufruf zur Judenmission verstanden werden kann. Sie legt das eschatologische Schicksal der Juden vielmehr ganz in Gottes Hand. So bestätigt der Artikel die maßgebliche Bedeutung der Konzilserklärung Nostra aetate (Nr. 4) und die Bereitschaft zur Fortsetzung und Vertiefung des  jüdisch-katholischen Gesprächs.

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat in einem Brief vom 14. Mai 2008 an das Grosse Rabbinat in Israel diese Position bestätigt und vertieft. An eine Beendigung des religiösen Dialogs hat kein Verantwortlicher ernsthaft gedacht. Im Gegenteil, hinter den Kulissen wurde die Zusammenarbeit intensiviert, und die Überwindung der kurzfristig aufgetretenen  Missverständnisse hat deutlich gemacht, dass Juden und Christen heute 43 Jahre nach Aufnahme des offiziellen Dialogs auch und vor allem bei strittigen Fragen anders miteinander umgehen und sich untereinander verständigen können, als dies leider zuvor der Fall war. Das gilt im übrigen auch für die Diskussion um eine in diesem Dialog so delikate Frage wie eine mögliche Seligsprechung von Papst Pius XII. Sin Nostra aetate (Nr. 4) vi è stato uno sviluppo decisamente positivo: da un’iniziale ermeneutica dello scontro, attraverso un’ermeneutica della diffidenza reciproca, si è giunti adesso al tempo della fiducia e della collaborazione nonostante tutte le difficoltà che sempre fa e farà parte del dialogo tra ebrei e cattolici.

Papst Benedikt XVI. hat sich im Jahr 2008 in besonderer Weise des Dialogs mit dem Judentum angenommen und ihn zu einem Herzensanliegen gemacht. Er sieht diesen Dialog aus einer theologischen Perspektive, die im 9. bis 11. Kapitel des Römerbriefs des Apostels Paulus grundgelegt ist, und betrachtet ihn vorwiegend unter dem Aspekt der Versöhnung nach einer langen, schwierigen und komplexen Geschichte von Juden und Christen.

Bei seiner Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika traf er am 17. April in Washington bei einem interreligiösen Treffen mit verschiedenen Religionen auch eine Abordnung jüdischer Repräsentanten, denen er in Anbetracht des nahen Pesach-Festes einen schriftlichen Glückwunsch überreichte. Darin nahm er ausdrücklich auf Nostra aetate (Nr. 4) Bezug und betonte: „Nel rivolgermi a voi, desidero riaffermare l’insegnamento del Concilio Vaticano II sulle relazione cattolico-ebraiche e reiterare l’impegno della Chiesa per il dialogo che nei trascorsi quarant’anni ha cambiato in modo fondamentale e migliorato i nostri rapporti. A motivo di questa crescita nella fiducia e nell’amicizia, Cristiani ed Ebrei possono insieme sperimentare nella gioia il carattere profondamente spirituale della Pasqua, un memoriale di libertà e di redenzione.”

Am folgenden Tag, kurz vor Beginn des jüdischen Sabbatgottesdienstes und des Pesach-Festes, besuchte Benedikt XVI. in New York die Park East Synagogue, um seinen Respekt und seine Wertschätzung für die jüdische Gemeinschaft in dieser Stadt zum Ausdruck zu bringen. Er anerkannte, dass diese in New York einen wertvollen Beitrag für das Leben in dieser Stadt leistet und ermutigte zum Bau von Brücken der Freundschaft zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen. Dies war nach dem Besuch der Synagoge in Köln am 19. August 2005 bereits der zweite Synagogenbesuch des Papstes.

Anlässlich seiner Australienreise zum Weltjugendtag begegnete er im Bischofshaus von Sydney am 19. Juli 2008 verschiedenen Vertretern anderer Religionen, darunter auch Repräsentanten des australischen Judentums. Dasselbe gilt von seiner nächsten Auslandsreise, die ihn nach  Frankreich führte. Die jüdische Gemeinschaft in diesem Land mit fast 600.000 Mitgliedern zählt weltweit zu den größten und bedeutendsten und die Beziehungen zur katholischen Kirche sind dort besonders gut entwickelt. Das Treffen fand am 12. September in der Apostolischen Nuntiatur statt. Papst Benedikt betonte in seiner kurzen Ansprache die gegenseitige brüderliche Verwiesenheit von Christen und Juden: „Cari amici, a motivo di ciò che ci unisce e a motivo di ciò che ci separa, abbiamo una fratellanza da fortificare e da vivere. E sappiamo che i legami di fratellanza costituiscono un continuo invito a conoscersi meglio e a rispettarsi.” Dann nahm er dezidiert Stellung gegen jede Form von Antisemitismus: “La chiesa … si oppone ad ogni forma di antisemitismo, di cui non v’è alcuna giustificazione teologica accettabile. Il teologo Henri de Lubac … comprese che essere antisemiti significa anche essere anticristiani”.

Kaum von Frankreich zurückgekehrt empfing der Papst am 18. September 2008 in Castelgandolfo eine Delegation der jüdischen Pave-the-Way-Foundation, die in Rom eine dreitägige Konferenz über Papst Pius XII. organisiert hatte. Thema dieser Tagung war die aus jüdischer Sicht wichtige Frage, was dieser Papst entsprechend der derzeitigen Quellenlage für die Juden in der schwierigen Zeit des zweiten Weltkrieges getan hat. Anlass für diese Konferenz war der 50. Todestages dieses Papstes am 9. Oktober 2008. Es wurde deutlich, dass es in der jüdischen Welt ganz verschiedene Stimmen zur Beurteilung dieses Papstes gibt und wohl auch in Zukunft geben wird, wenn in etwa sechs bis sieben Jahren die Vatikanischen Archive zu diesem Pontifikat geöffnet sein werden.

Als ein historisches Ereignis verdient es bezeichnet zu werden, dass am 6. Oktober 2008 zum ersten Mal in der Geschichte während der Bischofssynode ein jüdischer Rabbiner in Anwesenheit des Papstes die Gelegenheit hatte, sein Wort an die dort versammelten Bischöfe zu richten. Der Oberrabbiner von Haifa Shear Yashuv Cohen war eingeladen, am ersten Arbeitstag der Synode über die Bedeutung der Heiligen Schriften für das religiöse Leben im Judentum zu referieren. Diese Geste wurde allgemein mit großem Wohlwollen aufgenommen. In seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie am 22. Dezember nahm Papst Benedikt XVI. noch einmal ausdrücklich auf dieses Ereignis Bezug.

Eine weitere Begegnung mit einer jüdischen Delegation fand am 30. Oktober 2008 statt als Benedikt XVI. eine Delegation des International Jewish Committee on Interreligious Consultations (IJCIC) empfing, des offiziellen Dialogpartners der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Beide haben seit 1970 insgesamt 20 internationale Konferenzen in verschiedenen Ländern organisiert. Die letzte  fand vom 9. – 12. November des vergangenen Jahres in Budapest zu dem Thema statt: „Religion and Civil Society Today: Jewish and Catholic Perspectives“. Sia i partecipanti cattolici che ebrei hanno valutato in modo positivo questo incontro. Di rado una conferenza con ebrei si è sviluppata tanto amichevole. Nonostante i previi talvolta aspri discussioni l’atmosfera è stata caratterizzata da profonda fiducia reciproca e da un’ulteriore crescita di cordialità ed amicizia. Der 9. November 2008 war zudem ein spezieller Gedenktag: vor 70 Jahren fand die so genannte “Kristallnacht” statt, welche unsägliches Leid über viele Juden in Deutschland und Österreich brachte. Dieser Gedenktag wurde am Holocaust-Mahnmal in Budapest gemeinsam begangen. Dankbar, ja mit Rührung nahmen die jüdischen Teilnehmer zur Kenntnis, was Papst Benedikt XVI. zu diesem Tag beim Angelus-Gebet sagte: „Ancora oggi provo dolore per quanto accadde in quella tragica circostanza, la cui memoria deve servire a far sì che simili orrori non si ripetano mai più e che si impegni, a tutti i livelli, contro ogni forma di antisemitismo e di discriminazione, educando sopratutto le giovani generazioni al rispetto e all’accoglienza reciproca.“ In dieser Atmosphäre war es dann möglich, dass Kardinal Walter Kasper bei seinem Vortrag aus Anlass von „60 Jahren Staat Israel“ in kluger aber durchaus vernehmbarer Weise auch einige kritische Töne anklingen ließ. Die Reaktion von jüdischer Seite war bezeichnend: „Ein Freund darf dies sagen.“

Es blieb bei dieser Tagung jedoch nicht bei Gedenkfeiern. In den Diskussionen herrschte der Blick in die Zukunft vor. Zum ersten Mal waren von beiden Seiten Jugendliche, die sich zuvor eigens trafen, zu allen Veranstaltungen eingeladen. Sie sollen ja den Dialog einmal weitertragen. Im nächsten Sommer werden sie sich in Castel Gandolfo im Zentrum der Focolare dann in größerer Zahl wieder treffen. Ein wichtiger Gegenstand der Diskussion war das Thema der Erziehung und der Vermittlung, der gegenseitigen Kenntnis wie der gemeinsamen Werte für die kommende Generation.

Betrachtet man abschließend alles, was sich im vergangenen Jahr in den Beziehungen zum Judentum getan hat, kann man mit Recht sagen: Auch wenn es zu Irritationen wegen der neuen Karfreitagsbitte und zu mancher Polemik um das Verhalten von Papst Pius XII. gekommen ist, der jüdisch-katholische Dialog steht inzwischen auf einem festen Fundament, das nicht so leicht erschüttert werden kann. Man hat inzwischen gelernt, strittige Punkte in Freundschaft und gegenseitigem Vertrauen zu diskutieren. Der Dialog mit dem Judentum ist Papst Benedikt XVI. ein Herzensanliegen; er leistet dazu einen unverzichtbaren und wichtigen Beitrag.

 

 

 

 

 

 

L'Osservatore Romano, 17 gennaio 2009