Katholischer Kommentar zum Dokument

„Kirche und Kirchengemeinschaft. Bericht der Internationalen Römisch-Katholischen und Altkatholischen Dialogkommission“
Paderborn, Frankfurt a. M.

2009

 

Bischof Gerhard Ludwig Müller, Regensburg

 

„Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine Hauptaufgabe des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn der Herr hat eine einige und einzige  Kirche gegründet, und doch erheben mehrere christliche Gemeinschaften vor den Menschen den Anspruch, das wahre Erbe Christi darzustellen, sie alle bekennen sich als Jünger des Herrn, aber sie weichen in ihrem Denken voneinander ab und gehen verschiedene Wege, als ob Christus selber geteilt wäre. Eine solche Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen. Der Herr der Geschichte aber, der seinen Gnadenplan mit uns Sündern in Weisheit und Langmut verfolgt, hat in jüngster Zeit begonnen, über die gespaltene Christenheit ernste Reue und Sehnsucht nach Einheit reichlicher auszugießen.“

Diese bewegenden Eingangsworte des Dekretes über den Ökumenismus Unitatis redintegratio (Nr. 1) gelten auch für den definitiven Widerspruch von katholischen Gläubigen und nicht wenigen Theologieprofessoren gegen die Beschlüsse des I. Vatikanums bezüglich der Dogmen von der Unfehlbarkeit des Papstes und seines universalen Jurisdiktionsprimates, was schließlich zur Bildung einer von Rom unabhängigen Altkatholischen Kirche der Utrechter Union  geführt hat.

Nach sicherer katholischer Lehre wird das Weihesakrament und besonders das Bischofsamt in apostolischer Sukzession (mit Ausnahme der neueren Praxis der Frauenordination) in den Altkatholischen Kirchen anerkannt und dazu eine sehr große Übereinstimmung in der Lehre und im Verständnis der sieben Sakramente festgestellt (vgl. dazu die Belege in  Kirche und Kirchengemeinschaft  (S. 14-18, 2. [5] – [12]).

Zweifellos gehören die Altkatholischen Kirchen wie auch die altorientalischen und orthodoxen Kirchen dem katholischen Grundverständnis von Kirche zu. Denn hier versteht man gemeinsam die Kirche als eine sakramentale Wirklichkeit im Unterschied zu den verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften des protestantisch-reformatorischen Typs.

 

Der Bericht der Kommission

Die Dialogkommission unter der Präsidentschaft von Bischof em. Paul-Werner Scheele und dem altkatholischen Bischof Fritz-Rene Müller, Bern, hat nun nach 11 Arbeitssitzungen einen Abschlussbericht über den gegenwärtigen Stand der ökumenischen Bemühungen um die volle Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und den Altkatholischen Kirchen, die in der Utrechter Union zusammen geschlossen sind, vorgelegt.

Dem Text von ca. 40 Seiten sind im Anhang 8 offizielle altkatholische Äußerungen zum Primat des Bischofs von Rom beigegeben, angefangen vom Altkatholiken-Kongress 1871 in München über die Utrechter Erklärungen und Kundgebungen von 1889 und 1920 bis zu den neueren Erklärungen, in denen positiv reagiert wird auf die Gesamtekklesiologie des II. Vatikanums und die Einbettung der Primatslehre in ein Verständnis der Gesamtkirche als einer communio ecclesiarum.

 

Gemeinsamkeiten benennen

Von daher bestimmt sich auch die Zugangsweise zu den bisher kirchentrennenden Lehrunterschieden. Indem zunächst die gemeinsame Grundsicht der Kirche im Heilsplan Gottes entfaltet wird, können die kontroversen Lehraussagen im Bezug auf das Ganze gesehen werden und verdecken nicht mehr in ihrer Zuspitzung die umfassende Gemeinsamkeit in der Lehre vom Ursprung, Wesen und der Sendung der Kirche des dreifaltigen Gottes. Ähnlich wie in Lumen gentium wird zuerst die trinitarisch-soteriologische Grundlegung, aber auch die geschichtliche Verwirklichung in Person und Sendung Jesu Christi dargestellt. Es folgt der Verweis auf den sakramentalen Lebensvollzug der Kirche in martyria, leiturgia und diakonia, die Teilhabe aller Gläubigen an der Mission der Kirche und die Verantwortung für ihren Weltauftrag.

 

Dimensionen der Kirche

Von daher zeigt sich auch die Kirche in ihrer ortsgebundenen und universalen Dimension und so das wichtige Zusammenspiel der vom Bischof geleiteten Ortskirchen untereinander regional, national in Synoden und Bischofskonferenzen und mit der Universalkirche, die –nach katholischem Verständnis − vom Papst und den Bischöfen in Einheit mit ihm geleitet wird (Lumen gentium 8). Dabei stehen die Bischöfe in ihren Ortskirchen nicht allein, insofern sie vom Presbyterium umgeben sind, mit dem sie zusammen den Dienst des Lehrens, Heiligens und Leitens ausüben. Es muss auch ein geordnetes Miteinander geben mit den Laien im Bezug auf das Laienapostolat, aber auch das Zeugnis der Laien in Glaubensfragen (sensus fidei fidelium), über das schon im 19. Jahrhundert der sel. John Henry Newman eine erhellende Studie vorgelegt hatte[i].

 

Die Grundlage wäre eine gemeinsame Hermeneutik

Entscheidend ist auch eine gemeinsame Erkenntnislehre (Hermeneutik) in der Frage, wie die Offenbarung Gottes in Christus geschichtlich vermittelt wird und nach welchen Kriterien dogmatische allgemeinverbindliche Lehrentscheidungen in kontroversen Fragen zu treffen sind. Hier kommt es auf das Zusammenwirken der Bezeugungsinstanzen unter Wahrung ihres unverwechselbaren Eigengewichtes im Gesamtgefüge an: auf die Hl. Schrift, die Apostolische Tradition, den Glaubenssinn des Gottesvolkes, das Lehramt der Bischöfe im Konzil und dem päpstlichen Primat u.a.

 

Im Bekenntnis verbunden

Im vorliegenden Dokument wird die gemeinsame Grundansicht der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“, die wir gemeinsam im Nicaeno- Constantinopolitanum bekennen, mit der gemeinsamen Feststellung von 1974 bekräftigt, wonach die beiden Kirchen „in Dankbarkeit ihre weitgehende Gemeinschaft im Bekenntnis und im Verständnis des überlieferten katholischen Glaubens“ erkennen und „sich ihrer Übereinstimung hinsichtlich der göttlichen Offenbarung und ihrer Übermittlung durch das Zeugnis der Heiligen Schrift und der Kirche, der sieben Sakramente und des kirchlichen Amtes, das in apostolischer Sukzession ausgeübt wird“, erfreuen (S.23).

 

Der Primat des Papstes und die Ablehnung der Jurisdiktion

Es folgt nun als Abschnitt 5 zunächst eine Erklärung, wie unter altkatholischen Vorzeichen der Primat des Papstes zu interpretieren ist.

Grundlegend wird mit der Tradition der gesamten Kirche ein Primat des Bischofs von Rom als Nachfolger Petri und eine besondere Verantwortung des Papstes für die Einheit in der Lehre, die Treue zur apostolischen Überlieferung anerkannt, aber die beiden das Papsttum betreffenden Dogmen des I. Vatikanums und ihre Bekräftigung im II. Vatikanum werden abgelehnt.

Bezüglich der Begründung des Primates wird auf die Zuerkennung eines Ehrenvorranges des römischen Bischofs durch ökumenische Konzilien verwiesen, aber auch die Anwendung der neutestamentlichen Zeugnisse auf Petrus und ihre Übertragung auf die Vätertradition der doppelten apostolischen Grundlegung der Kirche von Rom im Martyrium von Petrus und Paulus und die Anwesenheit ihrer Gräber mit der folgenden Verehrung. Heute wird in einer Communio-Ekklesiologie und einer Neuorientierung in der Theologie des Amtes als Dienst, die Funktion des Primates als „Petrus-Dienst“ an der Einheit im Glauben und der Gemeinschaft im Leben der Ortskirchen beschrieben, die als Gemeinschaft untereinander und ineinander die eine universale Kirche ausmachen (vgl. Lumen gentium 23).

Dem wird von katholischer Seite hinzugefügt, dass das katholische Dogma am Lehr- und Jurisdiktionsprimat des Papstes festhält, aber dass gemäß der Enzyklika Ut unum sint nach einer Gestalt der Primatsausübung gesucht wird, die manche Bedenken von altkatholischer und orthodoxer Seite berücksichtigt, indem man die wesensnotwendigen Bestandteile des Primates und manch geschichtlich bedingte disziplinäre Beziehungen zu den Kirchen des lateinischen Westens unterscheidet (vgl. S. 24-26; Ut unum sint 88-96).

 

Der differenzierte Konsens als Methode der Ökumene

Nun folgt im sechsten und letzten Abschnitt der Ertrag der bisherigen Dialoge, die die beiden Kirchen „auf dem Weg zur vollen Kirchengemeinschaft“ erarbeiten konnten (S. 26-44).

Die Methode dazu ist der differenzierte Konsens. Der differenzierte Konsens hat zwei Bestandteile:

1. „Eine klare Aussage über die erreichte Übereinstimmung im grundlegenden und wesentlichen Gehalt einer bislang strittigen Lehre.“

2. „Eine Erklärung, dass und warum die ebenfalls klar zu benennenden verbleibenden Lehrunterschiede als zulässig gelten können und die Übereinstimmung im Grundlegenden und Wesentlichen nicht in Frage stehen“ (S. 26f.).

Als grundlegende Übereinstimmungen werden nochmals festgehalten, dass die Kirche eine sakramentale Wirklichkeit ist, die im trinitarischen Geheimnis Gottes gründet und christologisch-soteriologisch in Christus und im Heiligen Geist geschichtlich verwirklicht ist und in der eschatologischen Vollendung des universalen Heilswillens Gottes gründet. Die Kirche ist selbst realisiert in dem Bezug der Ortskirchen im Bezug auf die Universalkirche, die in ihnen und aus ihnen besteht und lebt (vgl. Lumen gentium 23). Im Bezug auf die Strittigkeit des päpstlichen Primates wird formuliert:

„Diese Übereinstimungen legen nahe, dass die auf dem Ersten Vatikanum formulierte Lehre des Primats des Papstes, wenn damit der Papst nicht aus der Communio-Struktur herausgelöst wird, nicht mehr das Gewicht einer kirchentrennenden Differenz wie früher haben muss“ (S.28).

 

Offene Differenzen und eine katholische Klärung

Es folgen aber nun die offenen Fragen zur Ekklesiologie, zu den beiden Mariendogmen von 1854 und 1950, zur Frage nach der Möglichkeit, dass Frauen die Priesterweihe (aber eben auch die Diakonen- und Bischofsweihe) empfangen. Es bleibt auch die Frage nach dem kirchenrechtlichen Status katholischer Priester, die zur Umgehung ihrer Zölibatsversprechen die katholische Kirche verlassen und als Priester in den altkatholischen Kirchen wirken.

Vor allem zu zwei offenen Fragen sei hier wie folgt Stellung genommen: Zum päpstlichen Primat und zur Frage der Priesterweihe der Frauen.

 

1) Zum päpstlichen Primat

Unabdingbare Voraussetzung für die plena communio der altkatholischen Kirche mit der katholischen Kirche bleibt die im Glauben und nicht nur in äußerer Loyalität vollzogene Annahme der verbindlichen Glaubenslehre über Ursprung, Wesen und Vollzug des Primats. Zu berücksichtigen ist die Einordnung der Primatslehre des I. Vatikanum in eine Communio-Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils und ihre Entfaltung in den folgenden Lehrdokumenten des Papstes und der Bischofssynoden, aber auch ihre reflektorische Vertiefung in der nachkonziliaren katholischen Theologie.

Die stark kanonistisch-rechtlich geprägte Sprache und Denkweise wird geöffnet und integriert in die Sprache einer am Mysterium orientierten sakramentalen und eucharistischen Ekklesiologie.

Die Entgegensetzung zur katholischen Interpretation des päpstlichen Primates im Sinne des I. und II. Vatikanums, die sich in der Anerkennung des Papstes als eines primus inter pares oder der Zuerkennung eines Ehrenprimates ausdrückt, wird nicht als völlig falsch zurückgewiesen. Aber diese Denkfiguren bedürfen einer Interpretation im Licht der allgemeinen Dogmengeschichte bezüglich der Lehre von der Kirche, dem Bischofsamt in apostolischer Sukzession und auch der des Papstes, der als Nachfolger im Dienst des hl. Petrus in besonderer Weise der communio der Kirche in ihrem Leben, ihrer Lehre und ihrer sakramentalen Verfassung verpflichtet ist.

 

Von Christus berufen

Der Papst ist als Bischof den anderen Bischöfen in der Weihe gleich. Aber er ist Erster unter Gleichen (in der Bischofswürde), so wie auch Petrus gleich ist mit den anderen Aposteln im Apostelamt, insofern ist mit dem Bischofsamt des Papstes wie auch mit dem Apostelamt des Petrus die für die Kirche wesentliche Funktion eingestiftet, das immerwährende sichtbare Fundament und Prinzip der Einheit der Kirche zu sein, damit der Episkopat einer und ungeteilt sei  (Lumen gentium 18). Weil der Primat dem Petrus von Christus übertragen worden ist, ist er göttlichen Rechtes. Und weil er nicht von den Aposteln oder den Konzilien dem Petrus übertragen oder den Päpsten zuerkannt worden ist, darum ist er nicht de iure humano. Denn sonst wäre die Universalkirche nur eine Summe von einzelnen Kirchen, die ihre Einheit nur dem zwischenmenschlichen Konsens der Bischöfe und der Absprache ihrer einzelnen Oberhirten verdankt. Der Primat ist sicher auch der einer Ehre. Aber diese Ehre kann Petrus und seinem rechtmäßigen Amtsnachfolger als Bischof von Rom nur vom Stifter der Kirche zuerkannt worden sein.

Ebenso wenig haben die Apostel, sich Petrus als ihren Sprecher gewählt. Ein  Konzil kann den Primat nur als eine Glaubenswahrheit anerkennen und bezeugen. Die Festlegung der Reihenfolge der alten Patriarchatssitze durch die alten Konzilien bezieht sich auf die Jurisdiktionsbereiche und ist konkret etwas durch die unterschiedlichen Traditionen undeutlich, die zur Ausbildung der Patriarchate geführt haben (Petrinische Sitze, politische Begründungen mit der Hauptstadt Rom bzw. Neu-Rom/Konstantionopel, das System der Autokephalie der Patriarchen als Oberhäupter autonomer Nationalkirchen). Die katholische Theologie des Primats hat zudem wenig damit zu tun, dass  Rom  im politischen Sinn Hauptstadt eines längst untergegangenen Weltreiches war. Als man die biblischen Primatsstellen herangezogen hat zur Begründung einer sich entfaltenden Primatslehre im 3. Jahrhundert, wurde ganz eindeutig die Grundlegung im Wesen der von Christus gestifteten Kirche hervorgehoben und damit der Wesensunterschied der sakramentalen Kirche von einem politischen, von Menschen gestifteten Verband herausgestellt. Der Primat hat den Grund  seiner realen Einsetzung in Petrus und in der immer deutlicher werdenden Ausbildung in der römischen Kirche und ist keineswegs begründet in einer vorgängigen theologischen Theorie über den Primat, die dann erst in die Praxis umgesetzt werden müsste. Schon Irenäus unterstreicht den petrinischen Charakter des größeren Vorrangs der römischen Kirche, der eine letzte Orientierung zukommt für die Aufgabe des gemeinsamen Bewahrens der apostolischen Überlieferung der unteilbaren Wahrheit der Offenbarung[1].

In diesem Sinne gilt auch das Wort von Joseph Kardinal Ratzinger, dass vom Osten nicht mehr an Primatslehre zu erwarten ist als es der Überlieferung der ungeteilten Christenheit im 1. Jahrtausend entspricht[ii]. Diese Aussage kann nicht historistisch oder gar ahistorisch gelesen werden. Gemeint  sind vielmehr Existenz und Ausübung des Primates in der ungeteilten Christenheit des Ostens und des Westens vor dem Schisma  des 11.Jahrhunderts.

 

Historische Vergewisserung

Ebenso wenig kann man die Geschichte der Kirche in den ersten fünf Jahrhunderten idealisieren (consensus quinquesecularis). Gerade hier wurden die großen Streitigkeiten geführt, um das richtige Verständnis der apostolischen Tradition gegen die Gnosis zu verteidigen: Die Lehre von der Trinität, der hypostatischen Union, der beiden Naturen, vom Willen und den Energien Christi, die Gültigkeit der Sakramente, die von unwürdigen Priestern gespendet werden, die Notwendigkeit der Gnade gegen die Pelagianer, aber auch die Lehrautorität der Konzilien. Darum kann das Prinzip quod semper, quod ab omnibus, quod ubique nicht schematisch herangezogen werden, um eine später dogmatisierte Glaubenslehre als unvereinbar mit der Lehre der Kirchenväter zu relativieren (z.B. auch die Siebenzahl der Sakramente).

 

In der Geschichte besser verstehen

Im Rahmen einer Entwicklung der Glaubenslehre und der Kirchenverfassung, in der ihre Grundbezeugung in der Urkirche deutlicher ans Licht tritt und sich in der Auseinandersetzung bewährt und differenziert, ist auch die Entwicklung der Primatslehre zu sehen. Der Primat des Papstes ist nicht in einer abstrakt-geschichtslosen Spekulation begründet, sondern hat seinen Grund in der Stiftung Christi, dessen innere Logik erst in der Geschichte der Kirche hervortritt und einer immer erneuerten theologischen Reflexion bedarf. Dadurch können auch Defizienzen im Verständnis und Einseitigkeiten in der Praxis überwunden werden und am Ende sogar auch Widersprüche dazu in ein umfassenderes Verständnis des Zusammenwirkens von Episkopat und Primat, von Ortskirche und Weltkirche, nach vorne in die Zukunft der vollen Communio der bisher institutionell getrennten Kirchen in der einen Kirche integriert werden.

Die altkatholische Sicht ist von ihrer geschichtlichen Herkunft her mit der Entstehung einer Utrechter, von Rom getrennten Kirche (1723) und der altkatholischen Kirchen aufgrund des Widerspruchs zum I. Vatikanum her stark ortskirchlich geprägt und deutlich vom Einzelbischof her konzipiert. Es müsste aus katholischer Sicht, bei aller Betonung der konstitutiven Bedeutung des sakramentalen Bischofsamtes für eine Ortskirche auch bedacht werden, dass dem Bischofsamt  in sich selbst immer schon eine weltkirchliche Verantwortung zu eigen ist. Denn in der Bischofsweihe wird der neue Bischof auch immer wesensnotwendig in das Bischofskollegium eingefügt, so wie die Zwölf gemeinsam zum Apostelkreis berufen wurden und somit auch einen Bezug hatten zu Petrus, den Christus selbst an die Spitze dieses Kollegium gestellt hat.

 

2) Zur Priesterweihe von Frauen

Das gegenwärtig schwierigste Problem, das eine volle Gemeinschaft verhindert, ist die sakramentale Weihe von Frauen in den meisten altkatholischen Kirchen. Hier handelt es sich nicht nur um eine unterschiedliche Interpretation eines gemeinsamen Glaubensgegenstands, sondern um das Faktum eines Eingriffs in die Substanz des Weihesakraments, das von der katholischen wie auch orthodoxen Kirche als ungültige Sakramentenspendung qualifiziert werden muss.

 

Die hermeneutische Grundfrage: Wer bewertet die Tradition?

Von altkatholischer Seite wird geltend gemacht, dass es sich bei der gemeinsamen Tradition der gesamten Christenheit, nur Männern das geistliche Amt zu übertragen, nur um eine soziologisch bedingte Anpassung an eine patriarchalische Gesellschaft handele. Aber eben das ist ja die Frage, wie eine solche Tradition zu bewerten ist und wer befugt ist, die Feststellung zu treffen, ob es sich um eine zufällige Bedingung handelt oder um einen Aspekt, der zur Substanz des Weihesakramentes gehört. Diese Entscheidung über die Substanz des Weihesakramentes kommt allein dem höchsten Lehramt des Papstes und der Bischöfe in Einheit mit ihm zu. Bedeutsam ist hier trotz der noch verbliebenen Unterschiede das einhellige Zeugnis der orthodoxen Bischöfe, die die apostolische Tradition und Verbindlichkeit der Lehre vom Weihesakrament, das eine Frau nicht gültig empfangen kann, repräsentieren.

Die Kirchengemeinschaft mit der altkatholischen Kirche setzt darum voraus, dass die Ungültigkeit dieser Frauenordination erklärt und in Zukunft von der Weihe von Frauen zum sakramentalen Amt abgesehen wird und man damit zur gemeinsamen Tradition aller katholisch geprägten Kirchen zurückkehrt.

In Bezug auf die ehemals katholischen Priester kann in einem einmaligen Akt der Versöhnung und Heiligung eine Anerkennung ihres weiteren Dienstes in der den Kirchen der spezifisch altkatholischen Tradition (oder Teilritus innerhalb des lateinischen Westens) gestattet werden. Zukünftig können aber katholische Priester mit dem Zölibatsversprechen nicht mehr in eine Diözese mit altkatholischer Prägung wechseln, nur um zu heiraten.

 

Die Wiedererlangung der Einheit im Geist der Wahrheit

Johannes Paul II. hat mit seiner Enzyklika Ut unum sint aus dem Jahre 1995 an die Verpflichtung der katholischen Kirche zur Ökumene ebenso erinnert wie an die ökumenischen Begegnungen der letzten Jahrzehnte, die deutlich machen, dass dort, wo um die gemeinsame Verpflichtung zur Wiedererlangung der sichtbaren Einheit im Geist der Wahrheit gerungen wird, auch hoffnungsvolle Zeichen und in die Zukunft weisende Ergebnisse erreicht werden. Die Internationale Römisch-Katholisch – Altkatholische Dialogkommission hat mit ihrem Bericht über Kirche und Kirchengemeinschaft einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.

Für ihren Dialog gilt das Wort der Enzyklika Johannes Pauls II.: „Der Dialog ist auch ein natürliches Instrument, um die verschiedenen Standpunkte miteinander zu vergleichen und vor allem jene Gegensätze zu untersuchen, die für die volle Gemeinschaft der Christen untereinander ein Hindernis darstellen. […] Die Wahrheitsliebe ist die tiefste Dimension einer glaubwürdigen Suche nach der vollen Gemeinschaft der Christen. Ohne diese Liebe wäre es unmöglich, sich den objektiven theologischen, kulturellen, psychologischen und sozialen Schwierigkeiten zu stellen, denen man bei der Untersuchung der Gegensätze begegnet. Zu dieser inneren, persönlichen Dimension muss untrennbar der Geist der Liebe und Demut hinzukommen. Liebe gegenüber dem Gesprächspartner, Demut gegenüber der Wahrheit, die man entdeckt und die Revisionen von Aussagen und Haltungen erforderlich machen könnte“ (Ut unum sint 36).

 

[1] Vgl. zum gesamten Themenkomplex Gerhard Ludwig Müller (Hg.), Der Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche. Studien der Kongregation für die Glaubenslehre, Würzburg 2010.

[2] John Henry Newman, Entwurf einer Zustimmungslehre ( = Ausgewählte Werke von John Henry Newman, Bd. VII), Mainz 1961.

[3] Vgl. Joseph Ratzinger, Rom und die Kirchen des Ostens nach der Aufhebung der Exkommunikation von 1054, in: Gerhard Ludwig Müller (Hg.), Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften,  Bd. 8 in zwei Teilbänden ( = JRGS 8), Freiburg 2010, 754-773.