Gemeinsames Wort

des Lutherischen Weltbundes (LWB) und des

Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, Vatikan (DPCU)

 

Präsentiert von Generalsekretärin Pfarrerin Dr. Anne Burghardt und Kurt Kardinal Koch

am 19. September 2023

 

 

 

Abschnitt 1

Inmitten einer Welt, die unter Kriegen und vielfältigen Formen von Gewalt leidet sowie unter Polarisierungen, die die Menschheitsfamilie spalten, verstärken wir unser Engagement für die Einheit der Kirche. Der ökumenische Impuls legt Zeugnis ab für Gottes Geist, der die Menschheit und die gesamte Schöpfung versöhnen will. In dieser Feier gedenken wir heute der „einen Taufe zur Vergebung der Sünden“ (Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel). Dankbar rufen wir uns damit das sakramentale Fundament unserer Einheit in Erinnerung und erneuern unseren Glauben an den dreieinigen Gott.

 

Das altchristliche Glaubensbekenntnis von Nizäa, dessen 1700-jähriges Jubiläum wir im Jahr 2025 begehen, schafft eine ökumenische Verbundenheit, die in Christus ihr Zentrum hat. Bereits 1965, also noch vor dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, konnten Katholiken und Lutheraner in den Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam bezeugen: „Das Bekenntnis, dass unser Herr Jesus Christus der Sohn ist, Gott von Gott, versichert uns auch weiterhin, dass wir wahrhaft erlöst sind; denn nur er, der Gott ist, kann uns erlösen“ (The Status of the Nicene Creed as Dogma of the Church. Summary Statement, Baltimore, 7. Juli 1965).

 

Abschnitt 2

Gott rechtfertigt uns in der Taufe. In der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) bekennen Lutheraner und Katholiken gemeinsam: „Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken“ (GER § 15). Katholiken und Lutheraner freuen sich gemeinsam an dem erzielten Konsens über die Rechtfertigung. Befreit durch Gottes Gnade und Vergebung, sind wir durch Taufe und Glauben verbunden; doch wir wissen auch um unsere „Trennungsgeschichte, die wir nicht ungeschehen machen können, die aber Teil unserer Versöhnungsgeschichte werden kann“ (vgl. „Geleitwort“ in der italienischen Übersetzung der GER, 3. Januar 2021).

 

Die existenzielle Wahrnehmung der trotz der Differenzen zwischen Lutheranern und Katholiken schon vorhandenen Einheit nährt die Sehnsucht nach der vollen sichtbaren Einheit. Der internationale katholisch-lutherische Dialog konnte insbesondere mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre seinen Teil zur Versöhnungsgeschichte beitragen. „Wie kommt der Mensch ins Heil?“ – diese entscheidende Frage, die im 16. Jahrhundert zur Spaltung der westlichen Christenheit führte, hat im Jahr 1999 eine gemeinsame Antwort gefunden: „Rechtfertigung ist Sündenvergebung (Röm 3,23-25; Apg 13,39; Lk 18,14), Befreiung von der herrschenden Macht der Sünde und des Todes (Röm 5,12-21) und vom Fluch des Gesetzes (Gal 3,10-14). Sie ist Aufnahme in die Gemeinschaft mit Gott, schon jetzt, vollkommen aber in Gottes künftigem Reich (Röm 5,1f.). Sie vereinigt mit Christus und seinem Tod und seiner Auferstehung (Röm 6,5). Sie geschieht im Empfangen des Heiligen Geistes in der Taufe als Eingliederung in den einen Leib (Röm 8,1f.9f.; 1 Kor 12,12f.). All das kommt allein von Gott um Christi willen aus Gnade durch den Glauben an das ‚Evangelium vom Sohn Gottes‘ (Röm 1,1-3)“ (GER § 11).

 

Lutheraner und Katholiken bekräftigen, dass die Rechtfertigung eine sakramentale Wirklichkeit ist, die in der Taufe zugeeignet wird. Als sakramentale Realität ist die Rechtfertigung die Gewissheit der Verheißung Gottes und die eine Hoffnung auf Gottes beständiges Wirken, „in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist“ (Eph 1,10). Wir bekräftigen, dass das Evangelium und die Kirche miteinander verbunden sind. „Einerseits lebt die Kirche vom Evangelium, andererseits ergeht das Evangelium in der Kirche und ruft in die Gemeinschaft der Kirche“ (Kirche und Rechtfertigung, § 170).

 

Abschnitt 3

Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre hält fest, dass es „noch Fragen von unterschiedlichem Gewicht [gibt], die weiterer Klärung bedürfen“ (§ 43). Unterschiedliche theologische Denkstrukturen haben zu Missverständnissen und Konflikten und schließlich zur Spaltung im 16. Jahrhundert geführt. Die Exkommunikation Martin Luthers stellt für manche bis heute einen Stein des Anstoßes dar. Sie behauptet ihren Platz im konfessionellen Gedächtnis, auch wenn die Exkommunikation mit dem Tod des Reformators längst ihre unmittelbare Wirkung verloren hat und Lutheraner für Katholiken weder Feinde noch Fremde, sondern Schwestern und Brüder sind, mit denen sich Katholiken durch die Taufe und „viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt“ (Unitatis redintegratio 3), verbunden wissen. In ähnlicher Weise ist die Tatsache, dass Martin Luther und die lutherischen Bekenntnisschriften das Papsttum als „Antichrist“ bezeichnen, ein Stein des Anstoßes, auch wenn der Lutherische Weltbund diese Ansicht heute nicht unterstützt. Hinter diesen beiden Beispielen steht letztlich die Frage nach dem Petrusdienst und die Frage nach dem Mysterium der Kirche, ihrer Einheit und ihrer Einzigkeit. Somit müssen wir darauf bei der Fortsetzung des katholisch-lutherischen Dialogs unsere besondere Aufmerksamkeit richten.

 

Uns ist weiterhin schmerzlich bewusst, dass „Vergangenes“ aus der Zeit des konfessionellen „Gegeneinander“ auch das „Heute“ unseres ökumenischen „Miteinander“ direkt oder indirekt beeinflussen kann. Nichtsdestotrotz haben Luthers Exkommunikation und die lutherischen Antichrist-Aussagen selbst im 16. Jahrhundert wechselseitige Begegnungen und Zusammenkünfte nicht verhindert – hier sei insbesondere auf das Zustandekommen des Augsburgischen Bekenntnis von 1530 verwiesen. Heute ermöglicht ein differenzierender Konsens Lutheranern und Katholiken, eine Übereinstimmung in Bereichen zu wahrzunehmen, in denen unsere Vorfahren nur unüberwindbare Gegensätze sahen. Wir sind in der Lage zu erkennen, dass der Weg zur vollen Gemeinschaft etwas weitaus Größeres darstellt als die Unwägbarkeiten einer bestimmten Epoche.

 

 

Abschnitt 4

Der Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft hat zur Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (Augsburg, 1999) und dem gemeinsamen Reformationsgedenken (Lund, 2016) geführt. Bei der Fortsetzung dieses gemeinsamen Weges nehmen wir das 500-jährige Jubiläum der Confessio Augustana im Jahr 2030 in den Blick. Dieses Jubiläum kann uns ermutigen, das Bekenntnis in seiner ursprünglichen Intention neu zu entdecken: „Es ist die erklärte Absicht des Augsburgischen Bekenntnisses, den Glauben der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zu bezeugen“ (Alle unter einem Christus, § 10).

 

Zum Zeitpunkt seiner Abfassung war die kirchliche Einheit zwar gefährdet, aber die kirchliche Trennung noch nicht endgültig vollzogen. Als „vorkonfessionelles“ Zeugnis für die Einheit der Kirche ist das Augsburgische Bekenntnis darum nicht nur von historischem Interesse; vielmehr birgt es in sich ein ökumenisches Potenzial von bleibender Aktualität. Seine grundlegende Intention war es, die „kirchliche Einheit [zu] wahren“ und „die Wahrheit des Evangeliums in seiner Zeit [… zu] bezeugen“ (Alle unter einem Christus, § 27). Eine gemeinsame Reflexion könnte zu einem weiteren „Meilenstein“ auf dem Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft führen, der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vergleichbar.

 

Papst Franziskus hat ausdrücklich zu einer solchen „gemeinsamen Reflexion“ ermutigt, als er eine Delegation des Lutherischen Weltbundes am 25. Juni 2021, dem Gedenktag des Augsburgischen Bekenntnisses, in Rom empfing. In seiner Ansprache an die Delegation bezeichnete er die Ökumene als „Weg der Gnade“: Die Ökumene „beruht nicht auf menschlicher Vermittlung und Übereinkünften, sondern auf der Gnade Gottes, die das Gedächtnis und das Herz reinigt, alle Starrheit überwindet und auf eine erneuerte Gemeinschaft hin ausrichtet. […] In diesem Sinne möchte ich alle, die sich im katholisch-lutherischen Dialog engagieren, ermutigen, mit Zuversicht im unablässigen Gebet, im gemeinsamen karitativen Handeln und in der Leidenschaft für die Suche nach größerer Einheit unter den verschiedenen Gliedern des Leibes Christi fortzufahren.“

 

Indem Katholiken und Lutheraner die Kraft des Evangeliums von Jesus Christus für unsere heutige Zeit gemeinsam wiederentdecken, rufen sie den fünften Ökumenischen Imperativ in Erinnerung: Sie „sollen in der Verkündigung und im Dienst an der Welt zusammen Zeugnis für Gottes Gnade ablegen“ (Vom Konflikt zur Gemeinschaft, § 243).