BERICHT ÜBER DIE VIERTE PHASE DES KATHOLISCH-REFORMIERTEN INTERNATIONALEN DIALOGS[1]

 

Rechtfertigung und Sakramentalität:
Die christliche Gemeinschaft als Anwalt für Gerechtigkeit*

 

Einleitung

1. „Rechtfertigung und Sakramentalität: Die christliche Gemeinschaft als Anwalt für Gerechtigkeit“ war das Thema der vierten Phase des internationalen katholisch-reformierten Dialogs, der unter der Schirmherrschaft des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) im Zeitraum von 2011 bis 2015 stattfand. Bei diesen Treffen konnten Vertreter*innen der katholischen Kirche und der reformierten Kirchen verschiedene Dimensionen dieses Themas untersuchen. 2011 führte das Treffen „Rechtfertigung: Reformiert und katholisch (historisch und aktuell)“ in Rom (Italien) in die Diskussionen ein. „Rechtfertigung und Sakramentalität“ mit Schwerpunkt auf den Sakramenten Taufe und Eucharistie bzw. Abendmahl bildete die Tagesordnung für das Treffen in Decatur, Georgia (USA) im Jahr 2012. Ein Jahr später in South Bend, Indiana (USA) wurden die Gespräche mit dem Thema „Rechtfertigung und Heiligung“ im Kontext der Lehrautorität der Kirche fortgesetzt. Beim vierten Treffen in Coatbridge (Schottland) im Jahr 2014 untersuchte die Dialoggruppe die Beziehung zwischen Rechtfertigung und Gerechtigkeit, diskutierte vorläufige Entwürfe des ersten Kapitels und schlug einen Entwurf für den gesamten Text vor. In Gent (Belgien) wurden 2015 nach mehreren kurzen Papieren zu spezifischen Punkten, bei denen sich herausstellte, dass weitere Überlegungen erforderlich sind, die ersten Entwürfe für den gesamten Bericht sorgfältig überarbeitet, Aufgaben zugewiesen und ein Plan für die endgültige Überarbeitung und den Abschluss des Berichts vereinbart.

2. Diese jüngste Phase nimmt einen Dialog wieder auf, der 1968 aus informellen Diskussionen zwischen Mitgliedern des Reformierten Weltbunds (RWB) und der katholischen Kirche während der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Uppsala, Schweden, hervorgegangen war. Beide Gemeinschaften waren überzeugt, dass im Kontext der neuen Situation, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) geschaffen wurde, die Zeit günstig war, um offizielle Gespräche auf internationaler Ebene voranzutreiben. Das für ihr erstes Treffen ausgewählte Thema war „Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt“ (1970-1977), das sich mit den Themen Christologie, Ekklesiologie, Eucharistie und Amt befasste. Die zweite Phase des Dialogs „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche“ (1984-1990) versuchte, das Gespräch über die Ekklesiologie zu erweitern, wobei insbesondere die Beziehung zwischen Evangelium und Kirche in ihren jeweils dienenden und instrumentellen Rollen im Mittelpunkt stand. Diese Rollen bestehen in der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Sakramente. Ersteres hat für die reformierten Kirchen eine zentrale Bedeutung erlangt und ihr Verständnis der Kirche als „Geschöpf des Wortes“ (creatura verbi) bestimmt. Die Kategorie des Sakraments war entscheidend für das katholische Kirchenverständnis, das hier als „Sakrament der Gnade“ (sacramentum gratiae) definiert wird. Das entscheidende Ergebnis dieser Phase war die gegenseitige Anerkennung, dass sich diese beiden Vorstellungen von der Kirche ergänzen: Wort und Sakrament sind für ein angemessenes Konzept von Kirche notwendig. In der dritten Phase, „Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes“ (1998-2005), versuchten die beiden Gemeinschaften, Ekklesiologie und christliches Zeugnis durch eine breite biblische Untersuchung von Reich Gottes weiter zu beleuchten. Mindestens zwei Gründe – methodisch und thematisch – standen hinter dieser Wahl. Erstens hatte die ökumenische Bewegung bereits zu diesem Zeitpunkt begonnen, nach den Zielen des Dialogs zu fragen: Wie hängt das Ringen um die Überwindung christlicher Spaltungen in Glauben und Kirchenverfassung mit dem Ringen um die Überwindung der Trennung zwischen Gesellschaften, Nationen, Kulturen und Religionen in der heutigen Welt zusammen?[2] Da das Reich Gottes, die universelle Friedensherrschaft, welche die Bestimmung der gesamten Schöpfung ist, alle Kulturen, Gesellschaften, Nationen und Religionen auf unergründliche Weise umfasst, galt das Thema als Antwort auf dieses Anliegen. Zweitens erwies sich das Thema als ansprechend angesichts seiner biblischen und patristischen Wurzeln, wegen seiner relativen Vernachlässigung auf beiden Seiten der durch die Reformation bedingten Spaltung und durch sein Potential, in einer turbulenten Welt die Hoffnungen heutiger Christ*innen auf ein größeres Maß an Frieden, Gerechtigkeit und Freude im Heiligen Geist (Röm 14,17) zur Sprache zu bringen.[3]

3. Wie schließt dann das Thema „Rechtfertigung und Sakramentalität: Die christliche Gemeinschaft als Anwalt für Gerechtigkeit“ an das Vorhergehende an und baut darauf auf? Um diese Frage zu beantworten, müssen die Entwicklungen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, insbesondere seit dem Ende der dritten Phase unseres Dialogs im Jahr 2005, zur Kenntnis genommen werden. Diese Entwicklungen haben zum großen Teil die Wahl dieses Themas beeinflusst.

4. Am 31. Oktober 1999 wurde die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE) vom Lutherischen Weltbund und vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen in Augsburg unterzeichnet. Als Ergebnis eines dreißigjährigen bilateralen Dialogs über eine Lehre, die als einer der wichtigsten Streitpunkte der Reformationszeit galt, war und ist die Konsenserklärung damals und heute ein bedeutender Meilenstein auf dem ökumenischen Weg, den Katholiken und Lutheraner gemeinsam zurückgelegt haben. Dieses historische Ereignis hatte auch ökumenische Auswirkungen auf andere Kirchen, die nicht an dem Prozess beteiligt waren, der in der GE gipfelte. Aus diesem Grund luden deren Unterzeichner den Weltrat Methodistischer Kirchen (WMK) und den Reformierten Weltbund (RWB) zusammen mit Beobachtern der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK 2001 zu einer theologischen Konsultation nach Columbus, Ohio (USA) ein. Die Einladung hatte ein zweifaches Ziel: (1) die GE diesen Kirchen zur theologischen Bewertung vorzulegen; und (2) Wege zu finden, wie diese Kirchen in die laufende Diskussion einbezogen werden können, um sie letztlich zur Affiliation mit der GE einzuladen. Die Delegierten des WMK nahmen den Inhalt der GE von ihrer Seite aus an; der WMK schloss sich auf seiner Weltkonferenz im Juli 2006 in Seoul (Republik Korea) der GE an.

5. Der RWB wählte eine etwas andere Reaktionsweise auf die GE. Aufgrund ihres historischen Engagements für die Rechtfertigungslehre und für deren Auswirkungen auf das individuelle und soziale Leben waren die Reformierten eingeladen, an einer quadrilateralen Studienkommission teilzunehmen, in der ihre Perspektive zu einem breiteren ökumenischen Verständnis von Rechtfertigung beitragen sollte. Diese Kommission wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht gebildet. Zu den nicht-offiziellen Antworten auf die GE in Columbus gehören aber drei reformierte Präsentationen.[4] Darüber hinaus setzte nach der Konsultation von Columbus der RWB-Ausschuss für den Europäischen Raum einen theologischen Unterausschuss ein, der sich mit der Rechtfertigungslehre aus reformierter Sicht befassen sollte, wobei das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Gerechtigkeit besonders zu berücksichtigen war. Diese Berichte wurden später in einem 2009 veröffentlichten Band zusammengestellt.[5] Der RWB unternahm allerdings keine offiziellen Schritte bezüglich der GE.

6. Im darauffolgenden Jahr kam es zu einem bedeutenden Ereignis in der Geschichte der weltweiten reformierten Kirchenfamilie: 2010 organisierten der RWB und der Reformierte Ökumenische Rat in Grand Rapids, Michigan (USA), eine Vereinigungsgeneralversammlung (Uniting General Council), um die beiden Gremien in einer Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) zusammenzuschließen. Diese neue Gemeinschaft reformierter, presbyterianischer, kongregationalistischer, waldensischer, vereinigter und sich vereinigender Kirchen war das Ergebnis eines Prozesses, der 2004 für den RWB in Accra, (Ghana) und 2005 für den Reformierten Ökumenischen Rat in Utrecht (Niederlande) begann.

7. Dieses Ereignis bot der neuen WGRK die Gelegenheit, die Meinung ihrer Mitgliedskirchen über eine Reihe von Themen einzuholen, die sie betrafen. Um konkrete Antworten auf diese Fragen zu geben, wurden alle Delegierten einer thematischen Sektion zugeteilt, darunter eine zum Thema „Einheit der Christen und ökumenisches Engagement“. Hier drängten die Delegierten darauf, dass künftige ökumenische Begegnungen die Auswirkungen theologischer Positionen auf das Handeln im Namen von Gerechtigkeit in der Welt hervorheben sollten. Da die Delegierten das vorgeschlagene Thema der bevorstehenden Phase des katholisch-reformierten Dialogs zur Rechtfertigung vor sich hatten, hielten sie fest, dass ein notwendiger Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Rechtfertigung besteht. In Jesus Christus ruft und verpflichtet die „Gerechtmachung“, die in Gottes Rechtfertigungswerk vollbracht wird, die Gerechtfertigten zum Umsetzen von Gerechtigkeit in der Welt. Für die reformierten Kirchen von heute sind „Rechtfertigung“ und „Gerechtigkeit“ integrale Bestandteile. In keiner gemeinsamen Erklärung kann letztere daher in einem Lehrkonsens über die Rechtfertigung fehlen. Sogar die GE selbst spricht von der Notwendigkeit, weitere Lehrfragen zu klären, nicht zuletzt das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Sozialethik.[6] In diesem Sinne erklärten sich die Delegierten dazu bereit, die Bedeutung einer Affiliation mit der GE für Reformierte zu untersuchen. Eine neue Feststellung zur Rechtfertigung könnte als theologische Grundlage für das Engagement der reformierten Kirchen für Gerechtigkeit dienen. Darüber hinaus wäre es angesichts des 500. Jahrestages des Reformationsbeginns im Jahr 2017 von symbolischer Bedeutung, der GE im Zusammenhang mit der Affiliation eine solche Feststellung beizufügen.

8. Seit der Unterzeichnung der GE im Jahr 1999 haben auch in der katholischen Kirche mehrere bedeutende Ereignisse im Zusammenhang mit dem Thema dieser Phase des Dialogs stattgefunden. Zunächst widmete das Große Jubiläum des Jahres 2000 den ökumenischen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit, und in seinem Apostolischen Schreiben im Nachgang zu diesem Jubiläum Novo millennio ineunte (2001) äußerte Papst Johannes Paul II. die Hoffnung auf ein erneuertes ökumenisches Engagement bei der weiteren gemeinsamen Pilgerreise nach Abschluss des Jubiläumsjahres. Zweitens bot das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends genügend Anlass zum weiteren Nachdenken über die GE sowohl innerhalb der katholischen Kirche als auch mit verschiedenen anderen christlichen Gemeinschaften, wie oben erwähnt. Drittens war dieses Jahrzehnt auch von katholischen Bischofssynoden geprägt, die sich der Eucharistie (2005) und dem Wort Gottes (2008) widmeten. Beide führten zu wichtiger theologischer Literatur und offiziellen Lehraussagen über Wort und Sakrament. Viertens umfasste das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. (2005-2013) nicht nur viele ökumenische Treffen und Initiativen, sondern brachte auch drei Enzykliken [Deus caritas est (2005), Spe salvi (2007) und Caritas in veritate (2009)] hervor, die umfangreiches biblisches und theologisches Material lieferten, welches für die in der gegenwärtigen Phase unseres Dialogs gewählten Themen relevant war. Beispielsweise entsprach die Aufmerksamkeit, die das letzte dieser Themen der katholischen Soziallehre und der theologischen Grundlage einer gerechten Gesellschaft widmete, genau den Anliegen der dritten Phase unseres Dialoges sowie einem der wichtigsten Schwerpunkte der reformierten Kirchen in den letzten Jahren. Außerdem bot das besondere Paulus-Jahr (Juni 2008 bis Juni 2009) zahlreiche Möglichkeiten zur Reflexion über die Schriften des heiligen Paulus, insbesondere im Katechesenzyklus von Papst Benedikt über die Rechtfertigungslehre von Paulus.[7] In der Folgezeit bestätigten die Äußerungen von Papst Franziskus einige der hier genannten Themen.

9. Verschiedene Entwicklungen in beiden Gemeinschaften haben somit den Weg für den Beginn einer neuen vierten Phase des bilateralen Dialogs zwischen uns geebnet. Das Thema der Rechtfertigung durch Glauben präsentierte sich selbstredend als offensichtliches und bevorzugtes Thema angesichts der, wie oben berichtet, verschiedenen unbeendeten Gespräche zwischen uns über die GE während des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts. Darüber hinaus bot die Konvergenz, welche durch die beiden vorhergehenden Phasen unseres Dialogs über die Komplementarität von Wort und Sakrament beansprucht und vertieft wurde, die faszinierende Aussicht auf die Untersuchung, wie diese beiden wesentlichen Dimensionen des kirchlichen Lebens mit der Rechtfertigung durch Glauben und Heiligung zusammenhängen könnten. Die Tatsache, dass sowohl reformierte als auch katholische Gläubige eine unauflösliche Verbindung zwischen Rechtfertigung und Heiligung sehen, die beide eng mit Wort und Sakrament verbunden sind, versprach, neue Ebenen der Konvergenz zwischen uns zu eröffnen. Schließlich führte das große Interesse unserer beiden Gemeinschaften an der Rolle der Kirche als Anwalt für Gerechtigkeit zu der verheißungsvollen Vorahnung, dass Rechtfertigung und christliches Handeln im Namen von Gerechtigkeit in der Welt eng miteinander verbunden sein müssen. Diese Überlegungen veranlassten die Entscheidung, den Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung mit dem Amt von Wort und Sakrament zu untersuchen mit dem Ziel, die Rolle der Christen und der Kirche als Vertreter der Gerechtigkeit in der Welt zu klären.

10. Die obigen Überlegungen zu diesen Entwicklungen erklären die Entscheidung, diese vierte Dialogphase der Erforschung des Themas „Rechtfertigung und Sakramentalität: Die christliche Gemeinschaft als Anwalt für Gerechtigkeit“ zu widmen. Dementsprechend umfasst die Struktur des anschließenden Berichts die folgenden Kapitel: I. „Rechtfertigung und Heiligung“; II. „Rechtfertigung und Heiligung durch den Dienst der Kirche in Wort und Sakrament“; und III. „Rechtfertigung, Heiligung und christliches Handeln im Namen von Gerechtigkeit in der Welt.“

 

Kapitel I: Rechtfertigung und Heiligung

11. Im Zentrum der Auseinandersetzungen zur Zeit der Reformation stand das Verständnis der Lehre von der Rechtfertigung durch Glauben. Die Zentralität dieser Lehre wurde in der GE bekräftigt, die am 31. Oktober 1999 vom Lutherischen Weltbund und der katholischen Kirche unterzeichnet wurde. Mehrere Mitgliedskirchen des RWB boten unterschiedliche und sogar kritische Einschätzungen des Dokuments an. In ihrer späteren Reaktion darauf stimmte die neu gegründete WGRK darin überein, auf der Bedeutung der Lehre von der Rechtfertigung durch Glauben zu bestehen. In einer früheren Phase des katholisch-reformierten Dialogs wurde zwischen uns eine Einigung über die trinitarischen und christologischen Grundlagen der Rechtfertigung und Heiligung erzielt, die wir als hilfreichen Ausgangspunkt für unsere eigenen Überlegungen erachten:

Vor allen Menschen, unseren Schwestern und Brüdern, verkünden wir den Tod des Herrn (vgl. 1 Kor 11,26) und seine Auferstehung von den Toten (vgl. Röm 10,9; Apg 2,32; 3,15). In jenem Geheimnis von Tod und Auferstehung bekennen wir das Ereignis, das die Menschheit rettet, d.h. sie befreit von der Not, in der sie durch die Sünde gefangen ist, und sie in die Gemeinschaft des Lebens mit Gott einfügt. … In seinem Leben und in seinem Tod wird Jesus als der Sohn Gottes schlechthin geoffenbart, der Eine, der allein den Vater kennt und den der Vater allein kennt (vgl. Mt 11,27), der sich an Gott wenden kann mit den Worten: „Abba, Vater“ (Mk 14,36). … Schließlich offenbart uns das Werk Jesu, des Sohnes, die Rolle des Geistes, der ihm und dem Vater gemeinsam ist. Es enthüllt uns, daß Gott drei-einig ist. … Durch das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu wird der Heilige Geist das gemeinsame Geschenk des Vaters und des Sohnes an die Menschheit.[8]

12. Die nachfolgenden Paragraphen desselben Berichts[9] enthalten Material, das für Rechtfertigung und Heiligung relevant ist. Von Jesus Christus, dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, kommt die Gnade, durch die wir durch den Glauben gerechtfertigt werden und dadurch im einen Heiligen Geist in Gemeinschaft mit Gott sind. Diese Dialoggruppe bekannte ferner, dass die Annahme der Rechtfertigung im Glauben selbst ein Geschenk der Gnade ist. „Sich für das Heil auf irgendetwas anderes als den Glauben zu verlassen, hieße, die Fülle, die in Jesus Christus gewirkt und angeboten wird, zu schmälern.“[10]

13. Dieser Glaube, durch den wir unsere Rechtfertigung empfangen, „unsere Vergebung, unsere Befreiung, unser Leben mit Gott“,[11] ist ein „lebendiger und lebensspendender Glaube“,[12] d.h. es ist ein Glaube, der „Gnade frei empfängt“ und „aktiv Zeugnis gibt“, während er sich in Liebe auswirkt (vgl. Gal 5,6). Rechtfertigung kann daher in guten Werken zu einem sichtbaren Ausdruck kommen. „Die durch das freie Geschenk des Glaubens … gerechtfertigte Person, kann von nun an in Rechtschaffenheit leben.“[13] Durch „Dankbarkeit und Dienst verpflichtet,“ sind wir berufen, „Früchte zu bringen, die jener Gnade würdig sind“,[14] die wir erhalten haben. In diesem Zusammenhang hielt diese vorherige Dialogphase fest, dass „die Rechtfertigung durch Glauben das Geschenk der Heiligkeit[[15]] mit sich [bringt], das fortwährend wachsen kann, da es Leben, Gerechtigkeit und Freiheit schafft.“[16] Somit ist Jesus Christus nicht nur der einzige Mittler, sondern auch der „einzige Weg“, der es uns ermöglicht, ein Leben zu führen, das Gott gefällt.

 

A) Rechtfertigung und Heiligung: Reformierte Perspektive

14. Die reformierte Tradition entwickelte ihr Rechtfertigungsverständnis zunächst im 16. Jahrhundert in Übereinstimmung mit Martin Luthers Betonung, dass Christus allein unsere Gerechtigkeit ist, die wir allein durch Glauben und nicht durch eigene Werke empfangen. Johannes Calvin nannte die Rechtfertigung sogar „den hauptsächlichen Pfeiler, auf dem unsere Gottesverehrung beruht“.[17] Darüber hinaus besteht im Werk Calvins und in solchen Bekenntnisschriften wie dem Niederländischen Bekenntnis (1561), dem Heidelberger Katechismus (1563), dem Zweiten Helvetischen Bekenntnis (1566) und dem Westminster-Bekenntnis (1647) offensichtlich ein profundes Bemühen um Heiligung, jenen Prozess des Wachstums an Heiligkeit, den Reformierte als einen lebenswichtigen, aber klar unterscheidbaren Aspekt des christlichen Lebens betrachten. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart hat diese „doppelte Gnade“ der Rechtfertigung und Heiligung das reformierte Verständnis von Erlösung geprägt, und beide sollten als verschieden, aber niemals als voneinander getrennt betrachtet werden. Jüngere Bekenntnisschriften haben diese doppelte Betonung fortgesetzt, jedoch eher diese spezifischen Begriffe nicht verwendet und stattdessen Ausdrücke wie „Befreiung“ und „Dienst“ bevorzugt.[18]

15. Jesus Christus ist die Grundlage und der Inhalt unserer Rechtfertigung. Ausgangspunkt für das reformierte Rechtfertigungsverständnis ist, dass Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist (vgl. 1 Kor 1,30). Für die reformierte Tradition beruht die Gerechtigkeit Christi, die wir empfangen, auf seinem vollkommenen Gehorsam, der sowohl als aktiv als auch als passiv definiert wird. Durch seinen aktiven Gehorsam erfüllte er das Gesetz vollkommen durch sein Leben in Liebe zu Gott und den Menschen, insbesondere zu denen in schwerer Not. Dies ist genau das Leben, für das Gott uns geschaffen hat, aber weil wir mehr oder weniger nicht in der Lage sind, es zu leben, stehen wir als Sünder verurteilt vor Gottes gerechtem Gericht. Doch genau aus diesem Grund ist der Gehorsam Christi auch passiv. Durch seinen passiven Gehorsam stimmte Christus zu, in seinem Leiden und seinem Tod am Kreuz die gerechte Strafe des Gesetzes für die Sünde zu tragen, damit wir begnadigt werden können.

16. Christus wurde für unsere Sünden dem Tode überantwortet, aber zu unserer Rechtfertigung zum Leben erweckt (vgl. Röm 4,25). Im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi werden wir zugleich für unsere Sünden gerichtet und verurteilt und in Gnade angenommen, in ein neues Leben vor Gott und mit Gott versetzt. Aufgrund dessen, was Christus für uns und an unserer Stelle getan und durchlitten hat, ist Gott in Bezug auf unsere Sünden barmherzig und schreibt sie uns nicht zu, sondern schreibt uns stattdessen die Gerechtigkeit Christi zu (vgl. 2 Kor 5,19).[19] In diesem Geschehen besteht das Geheimnis des „wunderbaren Tausches“ (commercium admirabile). Am Kreuz hat Christus unsere Sünde und unseren Tod auf sich genommen (vgl. Röm 8,3-4), und indem er von den Toten auferstanden ist, gibt er uns seine Gerechtigkeit und sein Leben.

17. Die Gerechtigkeit und das Leben Christi werden uns ganz und gar durch den Glauben gegeben, der uns mit Christus verbindet und uns zu Gliedern seines Leibes, der Kirche macht. Sie werden dem Gläubigen ein für alle Mal in und mit der Taufe und dann immer wieder von Tag zu Tag geschenkt. An Jesus Christus zu glauben bedeutet, ihn so zu empfangen, wie er sich uns gegeben hat. Nach Johannes Calvin hat sich Christus nicht nur dazu hingegeben, um uns von Sünde und Tod zu befreien und uns wieder Gunst bei Gott zu verschaffen, sondern auch um uns durch seinen Geist zu erneuern, damit wir ein neues Leben in Liebe und Gerechtigkeit führen können. Aufgrund unserer Vereinigung mit Christus durch den Glauben haben wir daher eine doppelte Gnade (duplex gratia) erhalten, nämlich Rechtfertigung und Heiligung.

18. Wie die Rechtfertigung ist die Heiligung ein Geschenk der Gnade, das durch Glauben empfangen wird. Das heiligende Wirken des Heiligen Geistes spiegelt sich in einem lebendigen Glauben wider, „weil er Christus erfaßt, weil er lebendig ist und so genannt wird und sich in lebendigen Werken als lebendig erweist“.[20] Es ist unmöglich, dass wahrer Glaube unfruchtbar ist, weil es ein Glaube ist, der sich in Liebe ausdrückt (vgl. Gal 5,6) und den Wunsch hervorruft, die Werke zu tun, die Gott in seinem Wort geboten hat.[21] So ist das neue Glaubensleben gekennzeichnet durch eine „herzliche Freud in Gott durch Christum und Lust und Lieb […] nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben“.[22]

19. Dies soll nicht bedeuten, dass unser Wandeln in Gehorsam mehr als ein geringer Anfang in diesem neuen Leben des Glaubens ist.[23] Obwohl uns die Heiligung ganz und gar gegeben ist, gelingt es uns nie, alle Sünden hier und jetzt vollständig zu überwinden. Es bleibt ein ständiger Kampf zwischen dem Fleisch, das das begehrt, was dem Geist widerspricht, und dem Geist, der das begehrt, was dem Fleisch widerspricht (vgl. Gal 5,17). Daher besteht das neue Glaubensleben nicht nur aus Werken der Liebe und Gerechtigkeit, sondern auch aus lebenslanger Reue und Umkehr. Obwohl die Kraft der Sünde gebrochen ist, müssen wir immer noch um Vergebung für die Sünden beten, welche wir täglich als diejenigen begehen, die sowohl gerecht als auch sündig sind (simul iustus et peccator). Wir müssen ständig der Sünde sterben (mortificatio), damit wir in der Kraft des auferstandenen Christus für Gott leben (vivificatio) (vgl. Röm 6,11). „Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5,14-15).

20. Gott vergibt weiterhin die Sünden derer, die gerechtfertigt sind, und sie können niemals gänzlich aus dem Zustand der Rechtfertigung fallen.[24] Da die Gaben und der Ruf Gottes unwiderruflich sind (vgl. Röm 11,29), schließt die Gabe des Glaubens die Gewissheit des Heils ein; Glaube ohne Gewissheit ist mangelhaft. Unsere Gewissheit kommt jedoch nicht von irgendetwas in uns selbst, geschweige denn von unseren guten Werken; vielmehr basiert sie auf Christus und den Verheißungen Gottes. Unsere Beharrlichkeit basiert auf der Verheißung Gottes, uns in Christus bis zum Ende treu zu bleiben. „Ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu“ (Phil 1,6). Aus diesem Grund sind wir zuversichtlich, wenn wir „mit Furcht und Zittern [unser] Heil [wirken]! Denn Gott ist es, der in [uns] das Wollen und das Vollbringen bewirkt zu seinem Wohlgefallen“ (Phil 2,12-13).

 

B) Rechtfertigung und Heiligung: Katholische Perspektive

21. Eine Darstellung der katholischen Rechtfertigungs- und Heiligungslehre erfordert die Berücksichtigung der Lehren des Konzils von Trient (1547), des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der GE (1999). Katholiken glauben, dass die Lehre im Laufe der Geschichte auf eine Weise entwickelt und vertieft wird, die einerseits der Schrift und der Tradition treu ist und andererseits auf die Bedürfnisse neuer Kontexte und Fragen eingeht. Während die Lehre des Konzils von Trient die erste offizielle, normative katholische Darstellung der Rechtfertigungslehre ist, lieferte das II. Vatikanum eine solide christologische, anthropologische und ekklesiologische Grundlage für diese Lehre, und die GE als offizielle Erklärung im Kontext des ökumenischen Dialogs ist eine maßgebliche Interpretation davon.

22. Das Konzil von Trient reagierte kritisch auf die Reformatoren, übernahm aber die paulinische Kategorie der „Rechtfertigung“; doch zuvor wurde dasselbe Heilsereignis auch in Bezug auf neues Leben, Neuschöpfung in Christus und Heiligung beschrieben. Der wesentliche Inhalt des Dekrets bestätigt, dass die Rechtfertigung vollständig von der Gnade Gottes abhängt, die wir durch Jesus Christus empfangen. Diese Aussage steht in Übereinstimmung mit der Lehre des ersten Jahrtausends gegen die Irrtümer von Pelagius. Selbstrechtfertigung ist von vornherein ausgeschlossen, und von der Erlösung wird gesagt, dass sie der ganzen Welt durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi gewährt wird: „Wenn er aber auch ‚für alle gestorben ist‘ (2 Kor 5,15), so empfangen doch nicht alle die Wohltaten seines Todes, sondern nur diejenigen, denen Anteil am Verdienst seines Leidens gewährt wird.“[25] Das Verdienst Christi bewirkt „den Übergang vom Zustand, in dem man als Kind des ersten Adam geboren wird, zum Zustand der Gnade und Adoption als [Kinder] Gottes (vgl. Röm 8,15) durch den zweiten Adam Jesus Christus, unseren Erlöser.“[26] Bei Erwachsenen wird der Beginn der Rechtfertigung auf Gottes vorausgehende Gnade durch Jesus Christus zurückgeführt. Indem Erwachsene sich von Sünden abwenden, stimmen sie der Gnade Gottes zu und arbeiten mit ihr zusammen und bereiten sich so auf das Sakrament der Taufe vor, das die Gabe der Rechtfertigung verleiht.[27]

23. Trient verwendet die Sprache der Kausalität, um Rechtfertigung so zu beschreiben, dass die Priorität des göttlichen Handelns betont wird.[28] Das Ziel der Rechtfertigung (ihre „Zweckursache“) ist die „Ehre Gottes und Christi sowie das ewige Leben“. Der Handelnde („Wirkursache“) „ist der barmherzige Gott, der umsonst abwäscht und heiligt (vgl. 1 Kor 6,11), indem er ‚mit dem Heiligen Geist der Verheißung‘ siegelt und salbt. . . . ” Die Verdienstursache ist der „vielgeliebte, Einziggeborene, unser Herr Jesus Christus, der uns, ‚als wir Feinde waren‘ (Röm 5,10), ‚wegen der übergroßen Liebe, mit der er uns liebte‘ (Eph 4,2) ) durch sein heiligstes Leiden am Holz des Kreuzes Rechtfertigung verdiente und Gott, dem Vater, für uns Genugtuung leistete.“ Die Taufe spielt eine wichtige Rolle als Instrumentalursache; aus diesem Grund gilt sie als „Sakrament des Glaubens“, da ohne Glauben „keinem jemals Rechtfertigung zuteil wird“. Schließlich ist die Formalursache der Rechtfertigung „die Gerechtigkeit Gottes, nicht [jene], durch die er selbst gerecht ist, sondern [die], durch die er uns gerecht macht“.

24. Rechtfertigung bleibt ein freies Geschenk der Gnade, „ weil nichts von dem, was der Rechtfertigung vorhergeht, ob Glaube oder Werke, die Gnade der Rechtfertigung selbst verdient.“[29] Im Laufe des Lebens kann man „in dieser durch die Gnade Christi empfangenen Gerechtigkeit wachsen,“[30] um ein gottgefälliges Leben zu führen (vgl. Tit 2,12), die Gebote zu befolgen (vgl. 1 Joh 5,3) und gute Werke zu vollbringen (2 Petr 1,10). Trotzdem darf man bei der Erlösung nicht anmaßend sein, sondern muss um die Gnade der Beharrlichkeit bitten.[31] Schließlich belohnt Gott diejenigen, die „reich an guten Werken sind“ (vgl. 1 Kor 15,58; Hebr 6,10; 10,22; 2 Tim 4,7), welche niemals unabhängig von Christus geschehen. Wie das Leben des Weinstocks in die Zweige fließt (vgl. Joh 15,5), so ist es die Kraft Christi, die unseren „guten Werken immer vorangeht, sie begleitet und ihnen nachfolgt, ohne die sie in keiner Weise Gott gefällig und verdienstvoll sein könnten.“[32] Die heiligende Gnade geht durch die Todsünde verloren, auch wenn der Glaube eventuell nicht verloren geht. Diese Gnade kann für den reuigen Sünder durch das von Christus zu diesem Zweck eingesetzte Sakrament der Buße wiederhergestellt werden.

25. Die Beteuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass Christus der „Mittelpunkt und das Ziel“ des menschlichen Lebens ist und dass allein in ihm das Geheimnis der Menschenwürde, der Gemeinschaft und des Handelns offenbart wird, befassen sich in gewissem Maße mit den in der Reformation unter dem Motto solus Christus zum Ausdruck gebrachten christologischen Bedenken. Die Kirche glaubt ebenfalls, dass Schlüssel, Zentrum und Zweck der gesamten menschlichen Geschichte in ihrem Herrn und Meister liegen. Der Herr ist das Ziel der menschlichen Geschichte, der Mittelpunkt der Sehnsüchte der Geschichte und der Zivilisation, das Zentrum der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung aller Bestrebungen.[33] Zudem wird Glaube als Verpflichtung des gesamten Selbst gegenüber Gott als Antwort auf die Selbstoffenbarung Gottes verstanden. Gott offenbart sich selbst, nicht nur eine Wahrheit oder ein Wissen über sich. Der Glaube ist dann die willige Antwort auf diese Selbstoffenbarung.

Dem offenbarenden Gott ist der Gehorsam des Glaubens (vgl. Röm 16,26; vgl. 1,5; 2 Kor 10,5-6) zu leisten, einen Gehorsam, durch den der Mensch sich ganz Gott frei anvertraut, indem er ‚dem offenbarenden Gott vollen Gehorsam des Verstandes und des Willens leistet‘[34] und der von ihm gegebenen Offenbarung frei zustimmt. Damit dieser Glaube geleistet wird, bedarf es der zuvorkommenden und helfenden Gnade Gottes und der inneren Hilfen des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und zu Gott umkehren, die Augen des Verstandes öffnen und ‚allen die Freude verleihen soll, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben.‘[35] Damit das Verständnis der Offenbarung aber immer tiefer werde, vervollkommnet derselbe Heilige Geist den Glauben ständig durch seine Gaben.[36]

Die Kirche ist das Volk Gottes, die Gemeinschaft der Gläubigen, die unter dem Einfluss der Gnade des Heiligen Geistes auf Gottes Selbstoffenbarung im Glauben geantwortet haben.[37] Diese Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils stellen eine Vertiefung des Trienter Glaubensverständnisses dar und beziehen es auf die christologischen, anthropologischen und ekklesiologischen Lehren der katholischen Kirche. Der Glaube wird nicht mehr nur als erster Schritt im Rechtfertigungsprozess betrachtet, der zum Empfang der Taufe führt.

26. Zu den Hauptelementen einer authentischen Interpretation von Rechtfertigung, wie sie von der katholischen Kirche in der GE offiziell angenommen wurde, gehören die folgenden Aussagen: „der Sünder [wird] durch den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt“ und „alles, was im Menschen dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht oder nachfolgt, ist nicht Grund der Rechtfertigung und verdient sie nicht.“[38] Die Erneuerung der Lebensführung folgt „aus der Rechtfertigung notwendig“; ohne eine solche Erneuerung kann „kein Glaube sein“.[39] Wenn Katholiken daher betonen, dass die Erneuerung des inneren Menschen durch den Empfang der Gnade erfolgt, „verneinen sie damit aber nicht, dass Gottes Gnadengabe in der Rechtfertigung unabhängig bleibt von menschlicher Mitwirkung.“[40] Die Teilnahme des Menschen an der Vorbereitung auf den Empfang der Rechtfertigung ist „selbst eine Wirkung der Gnade“ und „kein Tun des Menschen aus eigenen Kräften“.[41] Obwohl Katholiken nicht die Terminologie der „Heilsgewissheit“ verwenden (möglicherweise wegen Trients Vorsicht vor vorschneller Anmaßung), bekräftigen sie dennoch, dass die Gläubigen trotz menschlicher Schwäche nicht „zugleich [Gottes] Verheißungswort für nicht verlässlich halten“[42] können.

 

C) Konsens und Konvergenz

27. Ungeachtet der in den beiden vorhergehenden Abschnitten gezeigten Unterschiede können wir durch die Untersuchung dieses Themas zusammen mit dem gemeinsamen Bekenntnis aus der zweiten Phase unseres Dialogs die volle Übereinstimmung mit dem in der GE formulierten Konsens beanspruchen:

Es ist unser gemeinsamer Glaube, dass die Rechtfertigung das Werk des dreieinigen Gottes ist. Der Vater hat seinen Sohn zum Heil der Sünder in die Welt gesandt. Die Menschwerdung, der Tod und die Auferstehung Christi sind Grund und Voraussetzung der Rechtfertigung. Daher bedeutet Rechtfertigung, dass Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist, derer wir nach dem Willen des Vaters durch den Heiligen Geist teilhaftig werden. Gemeinsam bekennen wir: Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.[43]

28. Wir bekräftigen gemeinsam auch, dass die Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung im Gesamtzusammenhang der christlichen Offenbarung gesehen werden muss. Die Schrift und ihre getreue Auslegung im Laufe des Bestehens der Kirche bekennen das Heilshandeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist, die die Erlösung der Menschen von Sünde und Tod und ihre Heiligung durch ebendiese göttliche Heilsökonomie bewirken. Wir sind uns einig, dass es eine Vielzahl von Bildern und Metaphern gibt, die sowohl in der Schrift als auch in unseren jeweiligen Traditionen verwendet werden, um dieses rettende Handeln zu beschreiben, und dass Rechtfertigung nicht getrennt werden kann von den vielen anderen Arten, wie über Heil gesprochen wird, unter anderem z.B. Erlösung, Versöhnung, Erneuerung, Vergebung, Neuschöpfung und Reich Gottes. Wir sind uns jedoch einig, dass die Lehre von der Rechtfertigung von besonderer Bedeutung ist, um das Herzstück des Evangeliums auszudrücken.

29. Wir bekräftigen gemeinsam auch, dass Rechtfertigung und Heiligung freie Geschenke sind, die im Glauben empfangen und nicht von uns verdient werden.

30. Wir bekräftigen gemeinsam auch, dass Rechtfertigung untrennbar mit Heiligung verbunden ist, was die Transformation des Sünders und die Verpflichtung beinhaltet, ein Leben in Gerechtigkeit und Liebe zu führen, ein Leben, das durch Gehorsam gegenüber den Geboten und den Lehren Jesu gekennzeichnet ist. Die Konzilsväter in Trient lehrten, dass Christen sich bemühen müssen, Nächstenliebe zu leben. Sie betonten diese Berufung, um einer Lehre entgegenzuwirken, die ihrer Überzeugung nach durch ihre Betonung der Heilsgewissheit allein auf Grundlage des Glaubens das Streben nach einem Leben in Heiligkeit unnötig machte. Calvins Lehre von der doppelten Gnade der Rechtfertigung und Heiligung, die wir aufgrund unserer Verbindung mit Christus empfangen, zeigt, dass die von Trient abgelehnte Position nicht auf ihn anwendbar ist. Da Rechtfertigung und Heiligung für die Reformierten so eng miteinander verknüpft sind, kann nicht gesagt werden, dass sie die Notwendigkeit des Strebens nach Heiligkeit geleugnet haben, die Trient so sehr verteidigen wollte.

 

D) Punkte, die weiterer Klärung bedürfen

31. Unser Dialog hat anerkannt, dass in unserem Rechtfertigungsdenken unterschiedliche Konzepte am Werk sind, die jedoch mit unserer Übereinstimmung mit der grundlegenden Aussage der GE vereinbar zu sein scheinen. Wir sind uns einig, dass wir nur aufgrund des Leidens und der Auferstehung Christi zur Ehre Gottes, zur Ehre Christi und zum ewigen Leben gerechtfertigt sind. Die größte verbleibende Divergenz scheint zu sein, dass sich für Katholiken Rechtfertigung auf einen Prozess bezieht, während sie für Reformierte einen Zustand anzeigt. Trient und die klassische katholische Lehre sprechen von einer „Vermehrung“ oder „Zunahme“ an Rechtfertigung.[44] Für Reformierte bezieht sich Rechtfertigung auf den neuen Status, den wir vor und bei Gott haben, vereint mit Christus durch Gnade im Glauben als begnadigte und versöhnte Sünder. Dieser Zustand ist vollständig und kann daher kein „mehr“ oder „weniger“ zulassen. Reformierte sprechen jedoch von Zunahme und Wachsen an Heiligung.

32. Trient behauptet, man könne nach schwerer Sünde die Gnade der Rechtfertigung verlieren. Dennoch bekräftigen die Katholiken, dass man nicht an Gott glauben und gleichzeitig die göttliche Verheißung als nicht vertrauenswürdig erachten kann. „Keiner darf an Gottes Barmherzigkeit und an Christi Verdienst zweifeln.“[45] Reformierte bestehen darauf, dass man das Geschenk der Rechtfertigung nicht verlieren kann. Die Heilsgewissheit wurzelt in der Berufung und den Gaben Gottes, die unwiderruflich sind. Reformierte bekräftigen, dass die Heilsgewissheit nicht in ihnen selbst liegt, sondern in den Verheißungen Gottes, der treu ist. Dennoch hat es in der reformierten Tradition einige Stimmen gegeben, die diese absolute Heilsgewissheit bei einer schweren Sünde des gerechtfertigten Gläubigen in Frage gestellt haben.[46]

33. Trient findet das Konzept des „Verdienstes“ hilfreich zum Verständnis der neutestamentlichen Aussagen über Gottes Verheißung, gute Werke zu belohnen, und verwendet dieses Konzept sogar in Bezug auf das ewige Leben. Die reformierte Tradition, darauf bedacht, ein angemessenes Verständnis der Erlösung allein durch Gnade zu gewährleisten, hat es vorgezogen, das Konzept auf Jesus Christus anzuwenden. Wir sind also nicht aufgrund unserer Werke und Verdienste (propter opera et merita nostra) gerechtfertigt, sondern aufgrund des Verdienstes Christi (propter meritum Christi). Reformierte leugnen nicht, dass Gott gute Werke belohnt (vgl. Mt 5,12; 10,42 et passim). Sie schreiben jedoch den Lohn nicht der Person zu, die ihn erhält, sondern „der Güte, der Freigebigkeit und der Wahrheit des verheißenden und schenkenden Gottes“.[47] Wie der heilige Augustinus schrieb: „Gott krönt an uns die Gaben seiner eigenen Barmherzigkeit.“[48] Vor allem ist für Reformierte ewiges Leben keine Belohnung, die von guten Werken abhängt, sondern eine Gabe, die in der Rechtfertigung allein durch Glauben aus Gnade geschenkt wird.

 

Kapitel II: Rechtfertigung und Heiligung durch den Dienst der Kirche in Wort und Sakrament

34. Das vorige Kapitel hat auf die übereinstimmende Überzeugung von Reformierten und Katholiken hingewiesen, dass Rechtfertigung und Heiligung nicht getrennt werden können. Das vorliegende Kapitel versucht, diese Übereinstimmung mit einer wichtigen Errungenschaft aus zwei früheren Dialogphasen zwischen unseren Gemeinschaften zu verbinden. Diese hatten festgestellt, dass eine typische Art, wie wir unsere jeweiligen Konzeptionen von Kirche als „Geschöpf des Wortes“ (creatura verbi) für Reformierte und als „Sakrament der Gnade“ (sacramentum gratiae) für Katholiken einander gegenüberstellen, unzureichend sei, weil dies weder dem christlichen Verständnis von Wort Gottes noch dem von Sakrament gerecht wird, das immer sowohl eine performative Geste als auch ein begleitendes Wort umfasst. Der Abschlussbericht der zweiten Phase unseres Dialogs von 1990 stellt Folgendes fest:

Die beiden Auffassungen, „das Geschöpf des Wortes“ und „das Sakrament der Gnade“, können in der Tat als Ausdruck derselben werkzeuglichen Wirklichkeit unter verschiedenen Aspekten, als einander ergänzend oder als die beiden Seiten derselben Münze angesehen werden. Sie können auch die Pole einer kreativen Spannung zwischen unseren Kirchen werden.[49]

In dem 2007 veröffentlichten Abschlussbericht der dritten Phase heißt es später:

Im Lichte unserer Untersuchungen sowohl des Gottesreichs als auch der patristischen Literatur können wir nun nicht nur feststellen, dass diese Vorstellungen wechselseitig aufschlussreich und komplementär sind, sondern auch, dass keine ohne die andere völlig angemessen ist. Eine „sakramentale“ Kirche, die dem Wort Gottes keinen angemessenen Platz einräumt, wäre in ihrem Wesen unvollständig; eine Kirche, die wahrhaftig die Kreatur des Wortes ist, wird dieses Wort liturgisch und sakramental feiern. Wenn unsere Kirchen sich hinsichtlich dieser beiden Vorstellungen unterscheiden, liegt dies wohl weniger daran, dass eine der beiden Kirchen davon überzeugt ist, dass die Kirche nur creatura verbi oder nur sacramentum gratiae ist, sondern eher daran, dass jede Tradition einen der beiden Aspekte um den Preis der Vernachlässigung des anderen betont hat. In einem solchen Fall wird das Erreichen vollständiger Gemeinschaft in einen Prozess münden, in dem jede Gemeinschaft den Vollsinn von Gottes Vorsehung für das Leben der Kirche wiederentdeckt.[50]

In welcher Beziehung stehen Rechtfertigung und Heiligung zur Verkündigung des Wortes und zur Feier der Sakramente im tagtäglichen Leben der christlichen Gemeinschaft? Da es thematisch in dieser vierten Phase des Dialogs unserer Gemeinschaften spezifisch um das Verhältnis von Rechtfertigung zur „Sakramentalität“ der Kirche und zum Handeln der Kirche im Namen von Gerechtigkeit geht, konzentriert sich das vorliegende Kapitel auf das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung zu Wort und Sakrament, während das letzte Kapitel das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung zum Handeln im Namen von Gerechtigkeit behandelt.

35. Unsere Erfahrung hat bestätigt, was ein kürzlich veröffentlichter ökumenischer Bericht über eine Folge der langen Trennung christlicher Gemeinschaften voneinander sagt:

Der Dialog zeigt, dass die Gesprächspartner unterschiedliche Sprachen sprechen und die Bedeutung von Worten unterschiedlich verstehen; sie machen unterschiedliche Unterscheidungen und haben unterschiedliche Denkformen. Was jedoch auf der Ebene des Ausdrucks als Gegensatz erscheint, ist in der Sache nicht immer ein Gegensatz. Um das genaue Verhältnis zwischen den betreffenden Lehrartikeln bestimmen zu können, müssen die Texte im Lichte der historischen Kontexte, in denen sie entstanden sind, interpretiert werden. Das erlaubt einem zu erkennen, wo tatsächlich ein Unterschied oder Gegensatz besteht und wo nicht.[51]

Es dürfte besonders wichtig sein, dies nicht zu vergessen, wenn man über das Verhältnis von Rechtfertigung zu Wort und Sakrament spricht oder wenn man fragt, ob die Kirche als ganze in gewissem Sinne als „sakramental“ angesehen werden kann. Johannes Calvin und viele andere Reformatoren des 16. Jahrhunderts sprachen ohne zu zögern über die Notwendigkeit der Sakramente der Taufe und des Abendmahls im Leben der Kirche. Sie legten jedoch mehr Wert auf Christus als Grund und Inhalt von Rechtfertigung und Heiligung und darauf, dass der Heilige Geist die Verkündigung des Wortes gebraucht, um heilbringenden Glauben zu vermitteln, als auf die Rolle der Sakramente oder der Kirche als Ganzes. Für Reformierte ist die Kirche gleichwohl der selbstverständliche Rahmen, in dem die Verkündigung von Christi Evangelium des Heils stattfindet. Katholiken tendierten ihrerseits dazu, die enge Verbindung zwischen Christus und der Kirche so zu betonen, dass sie das Heilshandeln Christi durch die von der Kirche vollzogene Verkündigung des Wortes und Feier der Sakramente sehen. Dennoch bleibt Christus für sie das einzigartige Fundament und der Urheber von Rechtfertigung und Heiligung. Beide Ansichten können sich auf die Schrift stützen – dass in keinem anderen als in Christus Heil ist (vgl. Apg 4,12 und 1 Kor 3,11) und dass Christus durch den Geist eng mit seinem Leib, der Kirche, verbunden ist (vgl. Eph 1,22-23; 4,15-16). Aber die übliche Ausdrucksweise, das Denken und die exegetischen Muster beider Kirchen betonen diese Wahrheiten auf unterschiedliche Weise. Infolgedessen klingt die Rede von „Sakramenten“ und „Sakramentalität“ für reformierte Gläubige anders als für katholische.

36. Kann man solche Sprachformen unterlaufen, um zu fragen, ob es einen wirklichen inhaltlichen Unterschied zwischen unseren Gemeinschaften gibt? Beide bekennen sich dazu, dass die Handlungen der Kirche bei der Verkündigung des Wortes und bei der Feier der Sakramente nicht auf der gleichen Ebene liegen wie das Heilshandeln Christi, sondern von seiner Gnadengabe und der Kraft des Heiligen Geistes abhängen. Das Herzstück der Frage scheint zu sein, ob – und wenn ja, wie – man von einem bestimmten „Werkzeugcharakter“ oder einer „Mitwirkung“ der Kirche sprechen kann. Ein wichtiger Konsens in diesem Punkt wurde bereits im katholisch-protestantischen Dialog in Frankreich erzielt: „Die Divergenz … bezieht sich nicht auf die Tatsache des Werkzeugcharakters der Kirche bei der Vermittlung der Erlösung, sondern auf die Natur dieses Werkzeugcharakters: Ist die Kirche so geheiligt, dass sie selbst ein heiligmachendes Subjekt werden kann?“[52] Eine weitere Frage ist, ob in einer solchen Rolle ein Vorrang der Verkündigung des Wortes, der Feier der Sakramente oder keinem von beiden eingeräumt werden sollte, da beide gleichermaßen notwendig sind. Der Anhang zur GE, ein Dokument, das im gegenwärtigen Dialog als eine unserer Quellen gedient hat, enthält die Aussage: „Gottes Gnadenwirken schließt das Handeln des Menschen nicht aus: Gott wirkt alles, das Wollen und Vollbringen, daher sind wir aufgerufen, uns zu mühen (vgl. Phil 2,12f.). „… alsbald der Heilige Geist, wie gesagt, durchs Wort und heilige Sakrament solch sein Werk der Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiß, daß wir durch die Kraft des Heiligen Geists mitwirken können und sollen...“[53] Solange die Anerkennung des Wirkens des Heiligen Geistes gewährleistet ist, können viele reformierte Christen in dieser Aussage den Lutheranern und Katholiken zustimmen.

 

A) Rechtfertigung und Heiligung in der Kirche von Wort und Sakrament

37. Wir stellen fest, dass in der zweiten Phase des katholisch-reformierten Dialogs eine Einigung darüber erzielt wurde, wie Rechtfertigung – und angesichts unseres ersten Kapitels würden wir Heiligung hinzufügen – sich auf Wort und Sakrament bezieht.

Rechtfertigung aus Gnade durch Glauben wird uns in der Kirche gegeben. Dies bedeutet nicht, daß die Kirche irgendein Mittlertum ausübt, welches das Christi ergänzt, oder daß sie mit einer Gewalt ausgestattet ist, die unabhängig vom Geschenk der Gnade ist. Die Kirche ist gleichzeitig der Ort, das Werkzeug und die Dienerin, die Gott erwählt hat, um das Wort Christi hörbar zu machen und durch die Jahrhunderte hindurch in Gottes Namen die Sakramente zu feiern. Wenn die Kirche in Treue das Wort des Heils verkündet und im Gehorsam gegenüber dem Befehl des Herrn die Sakramente feiert sowie die Macht des Geistes anruft, ist sie gewiß, daß sie erhört wird, denn in ihrem Dienst vollzieht sie das Tun Christi selbst.[54]

38. Das Neue Testament legt nahe, dass Rechtfertigung und Heiligung einerseits und Verkündigung und Feier von Wort und Sakrament andererseits eng mit diesem tiefen Geheimnis der Erlösung in Christus verbunden sind. Einige Passagen heben die Bedeutung des Wortes hervor als Mittel, durch das Christus die Gabe des rettenden Glaubens gibt. Ein solcher Glaube kommt laut Paulus vom Hören des Wortes: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündet?“ (Röm 10,14). Dies führt Paulus zu dem Schluss: „So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft aber im Wort Christi“ (Röm 10,17). Dieser Glaube ist das Mittel unserer Rechtfertigung: „Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,1). Andere Passagen sprechen von Riten wie der Taufe und Eucharistie als Mittel des Heilshandelns Christi im Geist. „Als aber die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien, hat er uns gerettet – nicht aufgrund von Werken der Gerechtigkeit, die wir vollbracht haben, sondern nach seinem Erbarmen – durch das Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung im Heiligen Geist. Ihn hat er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir durch seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das wir erhoffen“ (Tit 3,4-7). Das Johannesevangelium enthält Passagen, die auf die Heilswirkung der Taufe hinweisen: „Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Joh 3,5) – und der Eucharistie – „Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag“ (Joh 6,53-54). In der Darstellung des Pfingsttages und der unmittelbar folgenden Zusammenfassung des kirchlichen Lebens lesen wir: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. . . . Die nun, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen. An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt. Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,37-38; 41-42). Die Bedeutung des hörbaren Wortes und des sichtbaren Ritus für das Leben der Kirche spiegelt die im Wesentlichen inkarnatorische Natur des Heilsgeheimnisses in Christus wider.

39. Eine zeitgemäße ökumenische Darstellung der Heilsgeschichte, die den Begriff des Sakraments verdeutlichen will, kann gleichzeitig die Bedeutung des Wortes veranschaulichen. Einen solchen Versuch unternimmt die Zusammenfassung der Antworten auf den Konvergenztext Taufe, Eucharistie und Amt der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK.

In Fleischwerdung, Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi hat Gott der Welt das Geheimnis seiner erlösenden Liebe auf wirkungsvolle Weise vermittelt. Durch die Kraft des Heiligen Geistes setzt der auferstandene Christus dieses Heilshandeln Gottes fort, indem er in unserer Mitte gegenwärtig und wirksam ist. Zu diesem Zweck handelt Gott weiterhin durch Menschen, durch ihre Worte, Zeichen und Taten, zusammen mit Elementen der Schöpfung. So vermittelt Gott den Glaubenden – und durch ihr Zeugnis der Welt – seine erlösende Verheißung und Gnade. Diejenigen, die im Glauben und Vertrauen dieses gnädige Handeln Gottes hören und empfangen, werden dadurch befreit aus ihrer Gefangenschaft der Sünde und in ihrem Leben verwandelt. Diejenigen, die diese Gabe empfangen, antworten mit Danksagung und Lobpreis darauf und werden in eine koinonia mit der Heiligen Dreieinigkeit und untereinander hineingeführt und werden ausgesandt, der ganzen Welt das Evangelium zu verkünden. Durch dieses sakramentale Handeln, das vermittelt wird durch Worte, Zeichen und Handlungen, wird diese Gemeinschaft, die Kirche, berufen, zugerüstet und gesandt, bevollmächtigt und geleitet durch den Heiligen Geist, in einer sündigen und gebrochenen Welt Gottes versöhnende und neuschaffende Liebe zu bezeugen. Und so können alle, die sich im Glauben nach der Fülle des Lebens in Christus sehnen, die Erstlingsfrüchte des Gottesreiches erfahren – das zugleich gegenwärtig ist und noch ganz vollendet werden soll in einem neuen Himmel und einer neuen Erde.[55]

Diese Beschreibung drückt aus, wie Gott Worte, Zeichen und Handlungen in der Heilsökonomie benutzt. Da sich unsere derzeitige Phase des Dialogs in besonderer Weise auf die Sakramentalität konzentriert, wird im folgenden Abschnitt eines der Sakramente behandelt, die wir beide feiern: die Taufe. Der anschließende Abschnitt befasst sich allgemein mit Sakramenten. Da unser Dialog die Eucharistie hauptsächlich im Zusammenhang mit Gerechtigkeit betrachtet, behandelt dieser Bericht sie in Kapitel III. Dennoch gibt es einige allgemeine Aspekte, die beide Sakramente betreffen.

 

 

a) Rechtfertigung, Taufe und Eingliederung in die Kirche

40. Sowohl Katholiken als auch Reformierte anerkennen „eine Taufe zur Vergebung der Sünden“ und so auch die Bedeutung der Feier der Taufe.[56] Faktisch gibt es, unter der Voraussetzung, dass die angemessene Formel und Praxis angewendet wird, eine seit langem etablierte Praxis der gegenseitigen Taufanerkennung zwischen der katholischen Kirche und den reformierten Kirchen.[57] Dieser Ausdruck des Glaubens der Alten Kirche steht im Einklang mit Paulus Interpretation der Taufe als „Teilhabe an Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus“. [58] Obwohl sie die Beziehung zwischen dem einzigartigen Rechtfertigungsakt Christi und der kirchlichen sakramentalen Handlung, die dieses neue Leben anzeigt, unterschiedlich erklären, können Katholiken und Reformierte gemeinsam mit den Worten der GE bekennen, „daß der Sünder durch den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt wird; dieses Heil wird ihm vom Heiligen Geist in der Taufe als Fundament seines ganzen christlichen Lebens geschenkt“,[59] und „daß der Heilige Geist in der Taufe den Menschen mit Christus vereint, rechtfertigt und ihn wirklich erneuert“.[60] Aus diesem Grund ist es so wichtig, die Beziehungen zwischen Rechtfertigung, Heiligung, der Tauffeier und deren Bedeutung für die gerechtfertigte Person zu untersuchen. Es ist anzumerken, dass die Taufliturgien, wie sie sowohl in der katholischen als auch in den reformierten Kirchen praktiziert werden, nicht die Sprache der Rechtfertigung widerspiegeln. Hier könnte es von Interesse sein, einige der theologischen Überlegungen weiter zu verfolgen, die im nationalen katholisch-reformierten Dialog in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck kamen, dessen Aufmerksamkeit aber eher auf das Verhältnis zwischen Taufe und Gnade als auf das Verhältnis von Taufe und Rechtfertigung gerichtet war.[61]

41. Angesichts der Betonung, welche die reformierte Tradition nicht nur auf sola scriptura, sondern auch auf tota scriptura legt,[62] ist es nicht verwunderlich, dass deren Tauftheologie versucht hat, die Bedeutung dieses Sakraments im Kontext des Bundes zu interpretieren, welcher im Alten und Neuen Testament bezeugt wird. Die Taufe ist das Zeichen des Bundes (signum foederis Dei), der auf Gottes Verheißung an Abraham beruht und ihm und seinen Nachkommen im Ritus der Beschneidung bestätigt wird. Die Taufe steht in Analogie zur Beschneidung und bedeutet die Einbeziehung in diesen einen Bund und Teilhabe an seinem Segen.[63] Die Taufe ist das Sakrament, das die Erlösung persönlich macht: indem die „heilige[..] Taufe erinnert und versichert, daß das einige Opfer Christi am Kreuz dir zugut komme.“[64] Die Spendung der Taufe symbolisiert, dass unsere Sünden weggewaschen werden. Aber es ist nicht das Wasser der Taufe, das diese Tatsache bewirkt: „denn allein das Blut Jesu Christi und der Heilige Geist reiniget uns von allen Sünden“[65] Taufe bedeutet nicht nur das Wegwaschen von Sünden, sondern auch eine Wiedergeburt: „Gott hat uns gerettet, nicht wegen irgendwelcher Werke der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern gemäß seiner Barmherzigkeit durch das Wasser der Wiedergeburt und Erneuerung durch den Heiligen Geist“ (Tit 3,5). Über das Verhältnis zwischen Zeichen und der in der Taufspendung bezeichneten Wirklichkeit gibt es innerhalb der reformierten Tradition verschiedene Auffassungen. Im Allgemeinen wird jedoch davon ausgegangen, dass die Gnade vom Heiligen Geist gegeben wird, der in der Zeit des Geistes handelt. Nur wer an Christus glaubt, wird von der Taufe profitieren. Deshalb werden Kinder getauft, nachdem die Eltern ihren Glauben bekundet haben, und Erwachsene werden erst nach einem ähnlichen persönlichen Bekenntnis getauft. Trotzdem ist die Taufe nicht auf das Persönliche reduzierbar, sondern beinhaltet auch eine starke gemeinschaftliche Dimension, da diejenigen, die getauft werden, in den Leib Christi eingegliedert werden, was sichtbar wird durch ihre Versammlung als seine Kirche.[66] „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (1 Kor 12,13). Schließlich hat die Taufe moralische Konsequenzen: Mit dem Geist Christi gewaschen zu werden bedeutet, „durch den Heiligen Geist […] erneuert und zu einem Glied Christi geheiliget [zu] sein, daß wir je länger je mehr der Sünde absterben und in einem gottseligen, unsträflichen Leben wandeln.“[67]

42. Nach der Lehre der katholischen Kirche ist die Taufe das Sakrament des Glaubens, das uns in das Ostergeheimnis mithineinnimmt;[68] ohne Glauben ist niemand gerechtfertigt. Die Feier der Taufe als Bekenntnis zum Glauben ist nicht nur ein persönliches Glaubensbekenntnis der einzelnen Gläubigen, sondern ebenso Glaubensbekenntnis der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen.[69] Dies zeigt sich insbesondere in der Taufe eines Kindes, die auch das katholische Verständnis zum Ausdruck bringt, dass gerade die Feier des Sakraments selbst und nicht der subjektive Zustand des Empfängers oder des Zelebranten seine Gültigkeit bestimmt. Der Katechismus der katholischen Kirche bestätigt, dass „unser Herr […] die Sündenvergebung mit dem Glauben und der Taufe verbunden“ hat (unter Berufung auf Mk 16,15-16) und fügt hinzu, die Taufe sei „das erste und bedeutsamste Sakrament der Sündenvergebung. Sie vereint uns nämlich mit Christus, der für unsere Sünden gestorben ist und wegen unserer Rechtfertigung auferweckt wurde.“[70] Katholiken glauben, dass die Taufe „für jene Menschen heilsnotwendig [ist], denen das Evangelium verkündet worden ist und [die] die Möglichkeit hatten, um dieses Sakrament zu bitten“, und dass die Kirche kein anderes Mittel kennt, „um den Eintritt in die ewige Seligkeit sicherzustellen.“[71] Die Wirkungen der Taufe werden durch die wahrnehmbaren Elemente des sakramentalen Ritus angezeigt. Das Eintauchen in Wasser symbolisiert nicht nur Tod und Reinigung, sondern auch Neugeburt und Erneuerung. In der Taufe wird man ein neues Geschöpf, ein von Gott angenommenes Kind, jemand mit „Anteil an der göttlichen Natur“ (2 Petr 1,4), ein Glied Christi, Miterbe und Tempel des Heiligen Geistes.

43. Somit hat das gesamte christliche Leben seine Wurzeln in der Taufe. Schließlich macht die Taufe einen zum Glied des Leibes Christi und integriert einen in die Kirche. Aus dem Taufbecken wird das eine Volk Gottes des neuen Bundes geboren, das alle natürlichen oder menschlichen Grenzen von Nationen, Kulturen, Rassen und Geschlechtern übersteigt. Durch die Taufe werden Christen „als lebendige Steine zu einem geistigen Haus [aufgebaut], zu einer heiligen Priesterschaft“ (1 Petr 2,5) und haben teil an der priesterlichen, prophetischen und königlichen Sendung Christi. „Durch die Taufe der Kirche einverleibt, werden die Gläubigen durch die Prägung zur christlichen Gottesverehrung bestellt und sind wiedergeboren zu Kindern Gottes, gehalten, den Glauben, den sie von Gott durch die Kirche empfangen haben, vor den Menschen zu bekennen.“[72] Wie es im Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt, bildet die Taufe „das sakramentale Band der Einheit, das zwischen allen herrscht, die durch [sie] wiedergeboren sind“.[73]

 

b) Das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Heiligung und das allgemeine Sakramentenverständnis

44. Die christlichen Kirchen zeigen in Bezug auf die Taufe ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung, obwohl Praktiken wie die Wiedertaufe ein Beweis dafür sind, dass einige Gemeinschaften diesen Initiationsritus nicht so anerkennen, wie er in anderen Gemeinschaften praktiziert wird. Speziell das Sakrament der Taufe wurde im vorhergehenden Abschnitt zur Untersuchung ausgewählt, weil sich an ihm die besondere Beziehung zwischen Rechtfertigung und Sakramenten am deutlichsten zeigen lässt, die das zentrale Thema dieses Kapitels ist. Die folgenden Abschnitte betrachten die reformierten und katholischen Überlegungen zum Verhältnis von Rechtfertigung, Heiligung und Taufe nun in Bezug auf Sakramente im Allgemeinen. Ein erster Abschnitt stellt Material vor, das mögliche Konvergenzen zwischen uns im Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung zu den Sakramenten aufweist. Ein zweiter Abschnitt zeigt verschiedene Unterschiede auf, die weitere Untersuchung und weiteren Dialog erfordern.

 

c) Bereiche konvergierenden Sakramentenverständnisses

45. Die reformierte Tradition, die auf Gottes souveräner Gnade und der Freiheit des Geistes besteht, ist vorsichtig mit Ausdrucksweisen oder Denkmustern, welche diese leugnen oder gefährden könnten. Gott ist nicht an die Sakramente gebunden. Trotzdem setzte Gott die Sakramente ein, um die Verheißung des im Wort verkündeten Evangeliums zu besiegeln und zu bestätigen, was „sie für uns besser bezeugt, ja, gewissermaßen gültig sein läßt“.[74] Der Genfer Katechismus bekräftigt, dass das Abendmahl ein „äußeres Zeugnis der göttlichen Liebe zu uns [ist], welches durch ein sichtbares Zeichen geistige Gnadengaben abbildet, um Gottes Verheißungen in unsern Herzen zu besiegeln, und so ihre Wahrheit zu bekräftigen.“[75] Dadurch dass Gott uns Zeichen gibt, die für die Sinne fassbar sind, begibt sich Gott auf unsere Ebene, um unserer menschlichen Schwäche, d.h. unserer Körperlichkeit, Rechnung zu tragen. Sakramente sind ebenso wie die Verkündigung des Wortes tatsächlich Mittel der Gnade, aber Reformierte lehnen die Ansicht ab, dass die Gnade in den Elementen, die in der sakramentalen Feier Verwendung finden, irgendwie „enthalten“ sei. Das Westminster-Bekenntnis insistiert, „[d]ie in den Sakramenten oder durch sie angebotene Gnade wird bei rechtem Gebrauch nicht durch irgendeine in ihnen liegende Kraft übertragen“.[76] Andererseits ist die Verbindung zwischen dem sakramentalen Zeichen und dem Bezeichneten so eng, dass Reformierte nicht zögern, von einer „sakramentalen Vereinigung“ (unio sacramentalis) zu sprechen. Nach dem Westminster-Bekenntnis gilt: „In jedem Sakrament gibt es eine geistliche Beziehung oder sakramentale Vereinigung zwischen dem Zeichen und der bezeichneten Sache; das führt dazu, dass die Benennungen und Wirkungen des einen auch dem anderen zugeschrieben werden.“[77] Aus dieser Sicht ist es nicht unangemessen zu sagen, dass das Wasser der Taufe Sünden wegwäscht und eine Teilhabe an Christus gewährt; oder dass das Brot und der Wein des Abendmahls die Christen mit dem Leib und Blut Christi nähren und sie immer mehr mit seinem verherrlichten Leib verbinden sowie mit den Gliedern seines Leibes, der Kirche. Man muss jedoch immer bedenken, dass es der Heilige Geist ist, der Christus und seine Gnadengaben denen vermittelt, die sie durch Glauben empfangen. Der Heilige Geist ist die einzige Ursache für die Wirksamkeit der Sakramente. Dies soll nicht leugnen, dass sie Sakramente bleiben, auch wenn sie von Ungläubigen empfangen werden. Zusammen mit dem Wort sind die Sakramente objektive Gnadenmittel, die von Gott eingesetzt und vom Heiligen Geist gebraucht werden, um uns Anteil an Christus zu gewähren und unseren Glauben an seine Verheißungen zu bestätigen. Weil sie die Haupthandlungen des Volkes Gottes im Gottesdienst sind, betonen Reformierte die Unentbehrlichkeit der Kirche. Nach dem berühmten Satz des heiligen Cyprian, dass man Gott nicht zum Vater haben kann, wenn man die Kirche nicht zur Mutter habe, schätzte Calvin das Bild der Kirche als Mutter, die jedes ihrer Kinder annimmt und nährt.[78]

46. ​​Katholiken stimmen im Wesentlichen mit vielen dieser reformierten Perspektiven auf Wort und Sakrament überein. Auch sie bekräftigen die Einzigartigkeit des Heilshandelns Christi und des Heiligen Geistes, die Souveränität Gottes, die Zentralität der Vereinigung mit Christus und die Bedeutung der Verkündigung des Wortes. Jedoch führt sie ihre Betonung der engen Einheit zwischen Christus und der Kirche natürlicherweise dazu, den Begriff der Wirksamkeit in ihrer sakramentalen Sprache und Praxis auf eine Weise zu betonen, die sich von der der Reformierten deutlich unterscheidet. Nachdem das Konzil von Trient seine Rechtfertigungslehre dargelegt und jedes Sakrament einzeln behandelt hatte, erließ es ein Dekret über die Sakramente im Allgemeinen (sacramenta in generale), indem es erläutert, wie diese sich auf die Rechtfertigung beziehen: Die Sakramente sind es nämlich, „durch die jede wahre Gerechtigkeit entweder anfängt oder, wenn sie angefangen hat, vermehrt wird, oder, wenn sie verloren wurde, wiederhergestellt wird.“[79] Die Lehre, dass Rechtfertigung beginnt, zunimmt und wiedererlangt werden kann, spiegelt das katholische Verständnis der engen Beziehung zwischen Rechtfertigung und heiligender Gnade wider, was auch die Untrennbarkeit von Rechtfertigung und Heiligung im katholischen Denken bedeutet.

47. Die Sakramente werden durch Gottes Wort und den Glauben vorbereitet, der diesem Wort zustimmt. Deshalb werden sie Sakramente des Glaubens genannt. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gilt von den Sakramenten: „Den Glauben setzen sie nicht nur voraus, sondern durch Worte und Sachen nähren sie ihn auch, stärken ihn und drücken ihn aus; daher werden sie Sakramente des Glaubens genannt.“ [80] Dies setzt eine enge Verwandtschaft von Wort und Sakrament voraus: „Das Volk Gottes wird zuerst geeint durch das Wort des lebendigen Gottes. . . . die Predigt des Wortes [ist] für die Spendung der Sakramente selbst erforderlich, da sie ja Sakramente des Glaubens sind, der vom Wort entsteht und genährt wird.“[81]

48. Zusätzlich skizziert der Katechismus der katholischen Kirche die christologische Grundlage der Sakramente.[82] Sie gründen im Mysterium des Lebens Christi und sind nicht aus ihrer eigenen „Kraft“ wirksam, sondern dank jener Kraft, die dem Leib Christi entspringt, durch die Wirkung des Heiligen Geistes, der in der Kirche wirkt. Der Geist wird offenbar und kommuniziert mit den Menschen, insbesondere in der Eucharistie, dem Mysterium der Gemeinschaft mit Gott, der Liebe ist. Ziel der Sakramente ist es, die Menschen zu heiligen, den Leib Christi aufzubauen und Gott zu verherrlichen. In diesem Zusammenhang muss man die Ausdrucksweise ‚sakramentale Wirksamkeit‘ präzise verstehen. Tatsächlich sind die Sakramente „wirksam, denn in ihnen ist Christus selbst am Werk: er selbst tauft, er selbst handelt in seinen Sakramenten, um die Gnade mitzuteilen, die das Sakrament bezeichnet. Der Vater erhört stets das Gebet der Kirche seines Sohnes, die in der Epiklese eines jeden Sakramentes ihren Glauben an die Macht des Heiligen Geistes zum Ausdruck bringt.“[83] Sakramentale Gnade ist die Gnade des Heiligen Geistes, die, von Christus verliehen, jedem Sakrament eigen ist, durch die der Geist die Empfänger heilt und verwandelt und sie „Anteil an der göttlichen Natur“ erhalten lässt (vgl. 2 Petr 1,4). Die Feier der Sakramente beinhaltet eindeutig die Annahme des Wortes im Glauben und die heiligmachende Gnade, die das Herzstück von Rechtfertigung und Heiligung ist.

 

d) Bereiche, die weiteren Dialog erfordern

49. Viele reformierte Gläubige stimmen mit vielem, was oben genannt wurde, überein. Welche Unterschiede bestehen dann zwischen unseren Kirchen in Bezug auf die einzelnen Riten, die man als Sakramente kennt? Ein Bereich betrifft die Frage der Wirksamkeit der Sakramente. Die Tatsache, dass es Christus selbst ist, der tauft und das Abendmahl / die Eucharistie feiert (und die Katholiken würden hinzufügen – der auch den anderen Sakramenten vorsteht), hat Katholiken dazu veranlasst, die Wirksamkeit der Sakramente nachdrücklich zu betonen, wie aus dem Ausdruck hervorgeht, dass sie ex opere operato, d.h. „aufgrund der vollzogenen Handlung“, wirksam sind und nicht vom subjektiven Zustand derjenigen abhängen, die sie spenden oder empfangen.[84] Während Katholiken ebenfalls behaupten würden, dass ein Sakrament im Leben einer Person, die es nicht im Glauben empfängt, keine Früchte trägt, wurde jedoch die Bedeutung des Ausdrucks ex opere operato dahingehend falsch interpretiert, dass er eine Wirksamkeit suggeriere, die mechanisch oder automatisch sei und die Wirkung des Heiligen Geistes durch die Feier der Sakramente unzureichend respektiere. Wie Calvin bemerkte, dürfen wir nicht annehmen, „an die Sakramente sei irgendeine verborgene Kraft geknüpft oder angeheftet, vermöge deren sie uns aus sich selbst heraus die Gnadengaben des Heiligen Geistes zuteil werden lassen könnten. . . Tatsächlich aber ist ihnen von Gott nur dies eine Amt aufgetragen worden, uns Gottes Freundlichkeit gegen uns zu bezeugen und zu bekräftigen, und sie können uns nicht weiter von Nutzen sein als allein, wenn der Heilige Geist hinzutritt, der unseren Verstand und unser Herz öffnet und für solches Zeugnis auffassungsfähig macht. Da leuchten dann auch die mannigfaltigen und verschiedenen Gaben Gottes strahlend auf. . . . Gott gewährt also in Wahrheit alles, was er in den Zeichen verheißt und bildlich darstellt, und die Zeichen bleiben nicht ohne Wirkung, damit es sich erweist, daß ihr Geber wahrhaft und treu ist.“ [85] Nach dem oben Gesagten wird hier nicht die Ansicht kritisiert, welche die katholische Kirche tatsächlich vertritt. Es scheint, dass beide Positionen versuchen, sowohl den Vorrang göttlichen Handelns in den Sakramenten zu bekräftigen als auch, dass sie wirksame Zeichen sind. Dennoch scheinen sie sich in Nuance, Betonung und Sprache zu unterscheiden, in der diese Überzeugungen zum Ausdruck gebracht werden.

50. Ein weiterer Bereich, in dem Unterschiede bestehen, betrifft die Identifizierung jener Riten, die im engeren Sinn als „Sakramente“[86] bezeichnet werden. Hier hängen unsere Unterschiede zum Teil von unterschiedlichen Vorstellungen davon ab, was ein Sakrament ist, und vom unterschiedlichen Verständnis ihrer „Einsetzung“. Calvin bezeichnet Taufe und Abendmahl als die beiden von Christus eingesetzten Sakramente und fügt hinzu, dass er nichts dagegen hätte, Handauflegung als Sakrament zu bezeichnen, wäre da nicht die Tatsache, dass sie nicht für den Gebrauch der gesamten Kirche bestimmt ist.[87] Später widmet er jedoch ein ganzes Kapitel seiner Argumentation gegen die „fälschlicherweise so genannten fünf Sakramente“.[88] Während das Konzil von Trient seinerseits lehrt, dass Christus sieben Sakramente eingeführt hat, lehnt es sofort die Vorstellung ab, dass sie alle gleich wichtig seien.[89] Eine solche qualitative Differenzierung ermöglicht es den Katholiken, die traditionelle Sichtweise beizubehalten, die von jeher die herausragende Bedeutung von Taufe und Eucharistie als sacramenta maiora oder principalia anerkannt hat im Unterschied zu den anderen fünf Sakramenten.[90] Gleichzeitig trifft es zu, dass Reformierte eine Reihe jener Riten feiern, die Katholiken als „Sakramente“ bezeichnen, wie Konfirmation, Versöhnung, Ehe und Ordination, ohne sie mit dem Begriff „Sakrament“ zu bezeichnen. In manchen Zusammenhängen werden diese Riten als „Einsetzungen Gottes“[91] bezeichnet. In einigen ökumenischen Dialogen wurden Kriterien vorgeschlagen, um die historischen Divergenzen zu überwinden.[92]

 

B) Die „Sakramentalität“ der Kirche in Bezug auf Christi Heilshandeln in Rechtfertigung und Heiligung

51. Der folgende Abschnitt untersucht die Möglichkeit, das bisher Gesagte zu den Sakramenten auf das umfassendere Thema von Wesen und Sendung der Kirche als Ganzes anzuwenden. Dies baut auf den Vereinbarungen unserer früheren Dialogphasen über Kirche als Gemeinschaft von Wort und Sakrament auf und dient hoffentlich als guter Übergang zu unserem dritten und letzten Kapitel über die Kirche als Anwalt für Gerechtigkeit in der Welt.

52. Im 20. Jahrhundert begannen einige katholische Theologen, den theologischen Begriff des „Sakraments“ weiterzuentwickeln als Möglichkeit, das Heilshandeln Christi und des Geistes in und durch die Kirche als Zeichen und Werkzeug zu interpretieren.[93] Die göttliche Heilsökonomie findet durch hörbare Worte und sichtbare Zeichen unter den Bedingungen statt, unter denen Menschen leben. Bereits die Schöpfung spiegelt ihren göttlichen Urheber wider und kündet von ihm. Mit der Inkarnation und dem Ostergeheimnis des Sohnes Gottes erfüllt die Erlösung den rettenden Plan Gottes für die Schöpfung. Dies spiegelt ein Prinzip wider, das mittelalterlichen scholastischen Theologen am Herzen lag, nämlich, dass die Gnade die Natur vervollkommnet, welche jetzt im weiteren Sinne interpretiert wird. Wenn ein Sakrament als sichtbare Begegnung mit der Gnade in der Geschichte betrachtet werden kann, dann wird es möglich, immer abhängig von Christus und in der Erkenntnis, dass er weiterhin durch den Heiligen Geist in der Geschichte als ganzer wirkt, analog von der Sakramentalität der Kirche als ganzer zu sprechen, nicht nur, wenn bestimmte sakramentale Riten gefeiert werden, sondern auch, wenn das Wort Gottes verkündigt wird, und im Zeugnis christlichen Lebens. Dies war gemeint, als das Zweite Vatikanum seine Kirchenkonstitution mit der Behauptung eröffnete, dass „die Kirche in Christus gleichsam (veluti) das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts ist.“[94] Unser Dialog sah eine solche Bezeichnung der Kirche als willkommene Abwechslung zum weitgehend institutionellen Selbstverständnis, welches die katholische Ekklesiologie in den Jahrhunderten nach der Reformation beherrschte. Die Überzeugung, dass die Kirche durch die Kraft des Heiligen Geistes dazu berufen ist, einer von Sünde verwundeten Welt Heilung zu bringen, schwingt in gewissem Maße mit bei einer reformierten Betonung von Zeugnis, das abzulegen die christliche Gemeinschaft als prophetisches Volk Gottes in der Geschichte berufen ist.[95]

53. Durch Rechtfertigung und die heiligende Gnade des Heiligen Geistes wird die Kirche als Leib Christi ermutigt, die Ämter Christi als Prophet, Priester und König fortzusetzen gemäß ihrer einzigartigen Berufung zum Zeichen und Sakrament des Heiligen Geistes für das Reich Gottes. Nach dem Heidelberger Katechismus wird Jesus der Christus genannt, weil er vom Vater beauftragt und mit dem Heiligen Geist gesalbt wurde, um unser oberster Prophet und Lehrer, unser einziger Hohepriester und unser ewiger König zu sein.[96] Darüber hinaus ist jeder Christ durch den Glauben an dieser Salbung und an diesem dreifachen Amt beteiligt. [97] Der Wert dieses dreifachen Amtes wurde vom Zweiten Vatikanum anerkannt, als es nicht nur einzelne Mitglieder des ordinierten Klerus[98] und der Laien,[99] sondern das gesamte Volk Gottes als prophetisches, priesterliches und königliches Volk beschrieb. Dies deutet auf die Möglichkeit einer wichtigen Konvergenz zwischen uns in Bezug auf die Natur der Kirche hin. Diejenigen, die durch Gnade im Glauben gerechtfertigt und durch den Heiligen Geist durch Wort und Sakrament geheiligt sind, haben das prophetische Amt inne, die Botschaft des Evangeliums Jesu vom Reich Gottes in Wort und Tat zu verkünden. Sie bringen ihr Leben als lebendiges Lobopfer dar (vgl. Röm 12,1) und widmen sich dem Handeln für Gerechtigkeit und Frieden gemäß den Anforderungen des Gottesreichs. Rechtfertigung begründet den lebenslangen Heiligungsprozess, in dem sich das prophetische, priesterliche und königliche Volk Gottes verpflichtet, an den Ämtern Christi teilzuhaben, indem es so handelt, wie er es getan hat.[100] Während unseres Dialogs haben wir mitunter die Heiligung als „Zwischenbegriff“ zwischen Rechtfertigung und Gerechtigkeit bezeichnet, die in sozialem Handeln und der Förderung der Menschenwürde zum Ausdruck kommt. Dies war eine knappe und hilfreiche Möglichkeit für den Dialog, die enge Vernetzung von Rechtfertigung, Heiligung und sozialem Handeln auszudrücken.

54. Die Kirche als prophetisches, priesterliches und königliches Volk auf der Grundlage von Wort und Sakrament zu sehen, bietet auch einen Rahmen für das Verständnis der Beziehung zwischen prophetischen Stimmen und Autorität im Leben der Gemeinschaft. Es ist der Heilige Geist, der die Gläubigen dazu inspiriert, ihr Verständnis für die frohe Botschaft von Jesus Christus zu vertiefen und Wege zu entdecken, wie man das Evangelium gemäß den Zeichen der Zeit auf die Bedürfnisse von Zeit und Ort anwenden kann.[101] Es ist derselbe Heilige Geist, der angerufen wird, um diejenigen zu unterstützen, die mit Autoritäts- und Führungsrollen innerhalb der Gemeinschaft beauftragt sind. Unser Dialog befasste sich nicht mit den signifikant unterschiedlichen kirchlichen Strukturen und dem Verständnis von Autorität, Rechenschaftspflicht und Verständnis- und Entscheidungsvermögen in unseren beiden Traditionen. Es wäre eine gegenseitige Bereicherung, solche Themen in zukünftigen Phasen aufzugreifen. Hier können nur einige sehr allgemeine Bemerkungen gemacht werden. In der katholischen Kirche gab es eine Tendenz, die Rolle von Autorität, Führung und Verständnis- und Entscheidungsvermögen in einzelnen Ämtern zu verorten, wobei seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf verschiedenen Ebenen des kirchlichen Lebens konziliare Strukturen gefördert werden, die alle zur Teilnahme gemäß ihrer spezifischen Berufung innerhalb des Volkes Gottes einladen.[102] Die reformierte Tradition verleiht den konziliaren Prozessen Autorität, die auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene stattfinden und miteinander interagieren. Innerhalb dieser konziliaren Prozesse liegt die Entscheidungsfindung und -befugnis in allen Angelegenheiten der Kirche nicht nur bei ordinierten Mitgliedern des Klerus, sondern gleichrangig auch bei Ältesten, Diakonen und ihren Äquivalenten. In bestimmten Situationen kann eine solche Entscheidungsfindung und -befugnis allen Mitgliedern einer Gemeinde übertragen werden.

 

Kapitel III: Rechtfertigung und christliches Handel in der Welt im Namen von Gerechtigkeit

55. In unserem ersten Kapitel haben wir unsere Übereinstimmung näher untersucht, dass Rechtfertigung und Heiligung im reformierten und katholischen Denken untrennbar miteinander verbunden sind. Das zweite Kapitel bezog Rechtfertigung und Heiligung auf das Amt von Wort und Sakrament und bot zum einen die Möglichkeit, Konvergenz- und Differenzpunkte zwischen uns in Bezug auf diese wesentlichen Dimensionen des Lebens der christlichen Gemeinschaft zu untersuchen und zum anderen den Dienst der Kirche insgesamt in Gottes Heilshandeln in der Geschichte in den Blick zu nehmen. Dieses abschließende Kapitel untersucht, wie die Annahme der Vergebung Gottes in der Rechtfertigung sowie die fortwährende Heiligung der Gläubigen durch den Heiligen Geist in der Verkündigung des Wortes und der Feier der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, die Christen dazu bewegt, sich zum Mitwirken am Reich Gottes zu verpflichten, welches bereits in Christus Jesus angebrochen ist.

56. Gerade die Ähnlichkeit der Begriffe „Rechtfertigung“ und „Gerechtigkeit“ in fast allen Sprachen lädt Christen dazu ein, darüber nachzudenken, ob und wie die Realitäten zusammenhängen, die sie zum Ausdruck bringen. Das Neue Testament verwendet dasselbe Wort – dikaiosyn­ē – sowohl für die Qualität des aufrichtigen Verhaltens als auch für den Zustand der Befreiung von Sünde durch die Barmherzigkeit Gottes.[103] Darin, dass diese beiden Bedeutungen mit demselben Wort ausgedrückt werden, zeigt sich die Tatsache, dass sie eng miteinander verbunden sind. Derjenige, der durch den Glauben gerechtfertigt ist, ist aufgerufen, gerecht zu handeln. Infolgedessen kann die Rechtfertigungslehre nicht abstrakt gesehen werden, getrennt von der Realität von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt in der heutigen Welt. Im Bericht über die dritte Dialogphase zwischen dem RWB und der katholischen Kirche heißt es: „Jesus, das fleischgewordene Wort, verkündigte, dass das Gottesreich nahe und die Gemeinschaft der Jünger die Gruppe von Menschen sei, die unter dem Einfluss der Gnade im Glauben geantwortet haben. Zweitens bringt die Antwort des rettenden Glaubens sie ihrerseits dazu, das erlösende Wort zu verkündigen, und beauftragt sie, die Werte des Gottesreichs, die Jesus gelehrt hat, zu bezeugen.“[104] Die tragische Fülle wirtschaftlicher Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Rassismus, Sexismus und Umweltmissbrauch ist in unserer heutigen Welt nur allzu offensichtlich; diese Übel gibt es auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Angesichts dessen erfolgten in unseren beiden Gemeinschaften wiederholt Aufrufe, sich für Veränderungen einzusetzen. Die Kirche wird durch die ständige Begegnung mit Christus im Geist durch Wort und Sakrament genährt, um für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu arbeiten. In der vorherigen Phase hielt unser bilateraler Dialog fest:

Die Veränderung der Welt geschieht in Teilen durch die Bemühungen, eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft zu schaffen. Aber Christen glauben auch, dass diese Wandlung jetzt vorweggenommen wird, in dieser Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, die in der Kirche stattfindet, besonders durch die Verkündigung des Wortes und die Feier der Sakramente von Taufe und Abendmahl sowie der anderen Sakramente oder Riten. Als Sakrament des Gottesreichs ist die Kirche notwendig sowohl Geschöpf des Wortes als auch Sakrament der Gnade.[105]

Gerechtigkeit ist eine komplexe Realität, die je nach Perspektive unterschiedliche Bedeutungen hat. Die größte Konvergenz hinsichtlich Gerechtigkeit fanden wir jedoch, indem wir mit der Offenbarung des liebenden und gütigen Gottes begannen, der in allen Facetten des Lebens der Menschen und der Schöpfung nach Gerechtigkeit strebt.

57. Gott macht und erklärt Menschen gerecht, nicht nur damit sie innerhalb der Gemeinschaft der Kirche individuell gerettet werden, sondern auch, damit sie an Gottes Werk der Heilung und Transformation ihrer ungerechten Welt mitwirken können. In diesem Sinne kann man von der Ethik der Rechtfertigung sprechen. Dies kommt wunderbar im Gleichnis der Scheidung von Schafen und Böcken zum Ausdruck, in dem Jesus erklärt, dass er beim letzten Gericht sagen wird: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan“ (vgl. Mt 25,31-46). Der Gott der Bibel ist ein Gott der gerechten Barmherzigkeit,[106] der sich das menschliche Elend zu Herzen nimmt, in es eintritt und es von innen heraus überwindet. Gott schafft Gerechtigkeit für die Unschuldigen, die bedroht sind, die Armen, die Entfremdeten und die Unterdrückten. Gott steht bedingungslos und leidenschaftlich auf ihrer Seite, „er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,52). Man kann Gottes Sorge um uns in unserer Not nicht ernst nehmen, ohne Verantwortung für all jene zu übernehmen, die arm und elend sind.[107] Von den Gläubigen wird gefordert, diejenigen zu begleiten und zu verteidigen, die Unrecht leiden. Gleichförmigkeit mit Christus bedeutet, sich um die Bedürfnisse der von der Gesellschaft Ausgeschlossenen zu kümmern. Die Armen, Ausgegrenzten und Opfer sowie die gesamte stöhnende Schöpfung erfordern die besondere Aufmerksamkeit von Christ*innen.[108]

 

A) Rechtfertigung, Heiligung und Handeln im Namen von Gerechtigkeit

58. Für Reformierte geht Rechtfertigung immer mit Heiligung einher; sie sind zwei untrennbare Aspekte des Heilshandelns Christi, das den Gläubigen aufgrund ihrer Vereinigung mit Christus gewährt wird, damit sie in Heiligkeit leben können. Das Zweite Vatikanische Konzil betitelte ein ganzes Kapitel seiner Kirchenkonstitution „die allgemeine Berufung zur Heiligkeit“; es geht davon aus, dass die Kirche heilig sei, denn „Christus, der Sohn Gottes, der mit dem Vater und dem Geist als ‚allein Heiliger‘ gepriesen wird, hat die Kirche als seine Braut geliebt, indem er sich selbst für sie hingab, um sie zu heiligen (vgl. Eph 5,25-26), und er hat sie als seinen Leib mit sich verbunden sowie mit der Gabe des Heiligen Geistes erfüllt zur Ehre Gottes. Daher sind in der Kirche alle. . . zur Heiligkeit berufen gemäß jenem Wort des Apostels: ‚Denn dies ist der Wille Gottes, eure Heiligung‘ (1 Thess 4,3; vgl. Eph 1,4).“[109] Wahre Heiligung manifestiert sich immer in den Früchten des Geistes, unter denen die Liebe herausragend ist. So bekräftigt das Konzil, dass „die erste und am meisten notwendige Gabe die Liebe [ist], durch die wir Gott über alles und den Nächsten Seinetwegen lieben“.[110] Diese Liebe zu Gott und den Nächsten veranlasst Christen dazu, Situationen zu korrigieren, in denen Menschen unter Unterdrückung, Ungerechtigkeit oder der Zerstörung der Umwelt, von der wir alle abhängen, leiden. In dieser Perspektive erfordern und führen Rechtfertigung und Heiligung notwendig und natürlich zum Handeln im Namen von Gerechtigkeit. Einer der nationalen Dialoge zwischen unseren beiden Gemeinschaften bestätigt:

Das Volk Gottes ist in jedem Zeitalter berufen, Gerechtigkeit zu verkünden, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen und für einander, für die Strukturen der Zivilisation und für die Schöpfung Sorge zu tragen. In unserer Zeit sind „Menschenrechte“ eine besondere Art, von den ethischen Erfordernissen für Recht und Gerechtigkeit unter Gottes Herrschaft zu sprechen. In ihrem tiefsten Innern gründen alle Menschenrechte auf nichts anderem als auf Gottes Gerechtigkeit, die wir durch Jesus Christus kennen. Unter der Gnade der Gerechtigkeit Gottes sprechen die Menschen von einem universellen und verlässlichen moralischen Gesetz, das durch Offenbarung und Vernunft bekannt ist. Es ist so in das menschliche Herz eingeschrieben, dass kein einzelner und keine Gruppe von der Pflicht entbunden werden kann anzuerkennen, dass andere Menschen mit Gerechtigkeit zu behandeln sind und dass Gesellschaften auf der Grundlage von Freiheit und Gerechtigkeit fußen müssen. . . . [111]

Die Erklärung bekräftigt den christlichen Auftrag, Gerechtigkeit zu üben, indem sie darauf hinweist, dass er in jedes menschliche Herz eingeschrieben ist, eine Behauptung, die dem katholischen Verständnis des Naturrechts entspricht. Obwohl Reformierte abweichende Sichtweisen des Naturrechtskonzepts haben, bekräftigen sie, dass Gottes Gesetz, welches bei der Schöpfung gegeben wurde, übereinstimmt mit Gottes Gesetz, welches Moses offenbart wurde und in Jesus Christus verkörpert ist. Als diejenigen, die im Heiligen Geist erneuert und so befähigt sind, dieses Gesetz vollständiger zu erfüllen, haben Christen ein besonderes Interesse daran, Gerechtigkeit zu verfolgen.

 

B) Das Wort Gottes und die Verpflichtung zur Gerechtigkeit

59. Das Wort Gottes – inkarniert, geschrieben und verkündet – begründet das christliche Streben nach Gerechtigkeit. Das inkarnierte Wort, Jesus Christus, verkörpert Gottes Gerechtigkeit am vollständigsten, wie wir in seiner Verkündigung in der Synagoge in Nazareth sehen: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,18-21, zitiert Jes 61,1-2).

60. Die von Jesus verkündete und verkörperte Gerechtigkeit setzt die alttestamentliche Tradition voraus, die von Gottes Gerechtigkeit zeugt. Gott ist der gerechte Richter (Ps 7,10; 11,7; Jer 11,20), der alle Dinge mit Gerechtigkeit regiert und befiehlt (Dtn 32,4; Ps 119,137; Jes 5,16). Gottes Gerechtigkeit währt ewig (Ps 119,142) und bewirkt die Befreiung des Volkes Israel in Erfüllung der Verheißung (Ps 103,6; Jes 42,6-7; 45,13: 24-25 und passim Jes 40-66). Gerechtigkeit ist auch eine menschliche moralische Tugend, die die Einhaltung der Gebote Gottes bezeichnet, so dass man Gerechtigkeit tut oder mit Gerechtigkeit handelt (Gen 18,19; Ps 106,3; 119,40.106; Spr 21,3; Jes 56,1; 58,2). Im Alten Testament fordern uns Gottes gute Gaben wie Himmel und Erde, Meere und trockenes Land, Pflanzen und Tiere sowie Gottes Landverheißung an Israel auf, nicht nur nach menschlichen Beziehungen, sondern auch nach Fürsorge für und Bewahrung der gesamten Schöpfung Gottes zu streben.

61. Während eine Dimension der biblischen Gerechtigkeit in der „goldenen Regel“ („Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ [Lk 6,31]) erfasst wird, ermutigt das Neue Testament zu einer noch radikaleren Form der Gerechtigkeit, indem es dem Beispiel Jesu folgt: „führt euer Leben in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt“ (Eph 5,2). Auf diese Weise fordert die Schrift nicht einfach, dass die Menschen fair und konsequent handeln und andere so behandeln, wie sie hoffen, selbst behandelt zu werden, sondern dass sie andere so behandeln, wie sie selbst bereits behandelt wurden. Christus hat uns um einen hohen Preis von der Gefahr des ewigen Todes befreit. So wurden wir verschont von der Verurteilung, die uns sonst getroffen hätte. Von nun an bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Leben in Dankbarkeit zu führen. Der Standard des Verhaltens ist nicht durch unseren Wunsch bestimmt, fair behandelt zu werden, sondern durch Jesu rettenden Akt radikaler, aufopfernder Liebe.

62. Wir hören und antworten am häufigsten auf Gottes Wort in und durch die kirchliche Verkündigung der frohen Botschaft von Gottes gerechtmachendem Handeln in Christus: „Alle haben ja gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Umsonst werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott aufgerichtet als Sühnemal – wirksam durch Glauben – in seinem Blut, zum Erweis seiner Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher […] begangen wurden“ (Röm 3,23-25). Der Tod Christi für uns am Kreuz dient sowohl unserem Heil als auch als Hinweis auf die Tiefe seiner leidenden Liebe für die Unterdrückten und Ausgegrenzten.

63. Die Verkündigung dieses Evangeliums hat klare Auswirkungen auf das soziale Engagement der Nachfolger Jesu. Der durch das Hören des Wortes erzeugte Glaube heilt die von der Sünde verwundete Person und bewegt sie zur Gerechtigkeit innerhalb und außerhalb der Grenzen der Kirche. Wie Papst Franziskus in seinem Schreiben Evangelii Gaudium feststellt:

Aus einer Lektüre der Schrift geht außerdem klar hervor, dass das Angebot des Evangeliums nicht nur in einer persönlichen Beziehung zu Gott besteht. Und unsere Antwort der Liebe dürfte auch nicht als eine bloße Summe kleiner persönlicher Gesten gegenüber irgendeinem Notleidenden verstanden werden; das könnte eine Art „Nächstenliebe à la carte“ sein, eine Reihe von Taten, die nur darauf ausgerichtet sind, das eigene Gewissen zu beruhigen. Das Angebot ist das Reich Gottes (vgl. Lk 4,43); es geht darum, Gott zu lieben, der in der Welt herrscht. [112]

Und wie das Belhar-Bekenntnis der Reformierten Unionskirche in Südafrika besagt:

Wir glauben, dass Gott seiner Kirche die Versöhnungsbotschaft in und durch Christus anvertraut hat; dass die Kirche dazu aufgerufen ist, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein; dass die Kirche selig genannt wird, weil sie Friedensstifterin ist; dass die Kirche in Wort und Tat Zeugin des neuen Himmels und der neuen Erde ist, in denen Gerechtigkeit wohnt.[113]

Beide Zitate unterstreichen unsere gemeinsame Überzeugung, dass die Kirche über sich selbst hinaus auf die Welt gerichtet ist; ihr gegenüber soll sie Zeugnis ablegen über die frohe Botschaft von Gottes Reich der Liebe und Gerechtigkeit.

 

C) Sakramente und Verpflichtung zur Gerechtigkeit

64. Als Ausdruck des Glaubens verdeutlichen Sakramente die Bedeutung von Gerechtigkeit und rufen die Gläubigen dazu auf, sich zu verpflichten, die Verwirklichung von Gerechtigkeit in der Welt zu verfolgen. Ein wesentlicher Aspekt der dankbaren Antwort der Gläubigen für das, was Gott in ihrem Leben getan hat, ist ein Leben, das der Berufung zur Heiligung und Heiligkeit würdig ist. Die Heiligung der Gläubigen durch den Heiligen Geist veranlasst sie, die Gerechtigkeit zu fördern, die die Schrift mit dem Reich Gottes in Verbindung bringt; „denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Die Taufliturgien in unseren Kirchen betonen in der Regel biblische Themen mit Bezug zum Heil in Christus, insbesondere die Teilnahme am Ostergeheimnis von Christi Tod und Auferstehung und Geborenwerden in Christus, um eine neue Schöpfung zu werden. Mit Christus sterben und auferstehen, sein Leben durch lebensspendende Gnade teilen, als Kind Gottes angenommen werden – diese grundlegenden Dimensionen der Taufe veranlassen Christen, Christus gleichgestaltet zu werden, dessen Sendung und Identität so sehr der Linderung menschlichen Elends gewidmet sind. Ein wesentliches Merkmal des Tauflebens nach dem Muster der Dreifaltigkeit ist, dass es auf Sendung ausgerichtet ist. Der Vater sandte den Sohn, um den Geist zu geben. Die Taufe Jesu initiierte seine Sendung. Jesus wurde bei seiner Taufe mit dem Geist gesalbt, in der Wüste versucht und kehrte dann nach Galiläa zurück, um das Kommen des Reiches Gottes zu verkünden (vgl. Mk 1,9-15; Lk 3,21-4,14). In ähnlicher Weise werden Christen, die in der Taufe Christus gleichgestaltet und vom Geist gesalbt sind, gesandt, um dem Kommen des Reiches Gottes zu dienen, an der Sendung Christi teilzuhaben und gleichzeitig die Liebe des Vaters, des Sohnes und des Geistes zu bekunden und so die Welt zu verwandeln. Letzten Endes ist die Errichtung des Reiches das Werk Gottes:

Gewiß, wir können das Reich Gottes nicht selber ‚bauen‘ – was wir bauen, bleibt immer Menschenreich mit allen Begrenzungen, die im menschlichen Wesen liegen. Das Reich Gottes ist Geschenk, und eben darum ist es groß und schön und Antwort auf Hoffnung. Und wir können – um in der klassischen Terminologie zu sprechen – den Himmel nicht durch unsere Werke ‚verdienen‘. Er ist immer mehr, als was wir verdienen, sowie das Geliebtwerden nie ‚Verdienst‘, sondern immer Geschenk ist.[114]

 

D) Eucharistie und Gerechtigkeit in der Welt

65. Mit Bedauern müssen wir zugeben, dass unsere beiden Gemeinschaften die Eucharistie nicht gemeinsam feiern können, obwohl wir uns über die Auswirkungen der Eucharistie auf die Gerechtigkeit einig sind. Die Gründe für diese Situation wurden im Dialog zwischen unseren Kirchen auf internationaler Ebene noch nicht angesprochen, obwohl wir hoffen, dass dies in Zukunft aufgegriffen wird.[115] In diesem Sinne können wir dennoch Folgendes gemeinsam sagen.

66. Die Eucharistie führt naturgemäß dazu, zu teilen und für die Armen und Benachteiligten zu sorgen. Einer der frühesten Berichte über die Eucharistie – 1 Kor 11,17-34 – ist ein guter Ausgangspunkt, um ihre soziale Bedeutung in den Blick zu nehmen. Paulus schreibt an die Korinther mit der Ermahnung, bestimmte Missbräuche wie etwa Unterschiede bei Essen und Trinken zu korrigieren, wo einige mehr als genug hatten, während andere darben mussten. Die Gemeinde war gespalten durch Geltungskonsum auf Kosten der Armen und Bedürftigen. Ihre Feier des Abendmahls stand im Widerspruch zu der Gemeinschaft, welche die eigentliche Bedeutung der Eucharistie ausmacht. Im Johannesevangelium beziehen sich Jesu Wunder der Brotvermehrung und seine Ausführungen über das Brot des Lebens ausdrücklich auf die Speisung der Israeliten mit Manna – Brot vom Himmel – während sie durch die Wüste in das verheißene Land zogen (vgl. Joh 6,31-33 und Ex 16). Diese Speisung der Menschen bei ihrem Auszug aus Ägypten war eine wundersame Erfahrung der Solidarität und des Teilens, bei der diejenigen, die viel gesammelt hatten, keinen Überschuss und diejenigen, die wenig gesammelt hatten, keinen Mangel hatten (Ex 16,18). Die Eucharistie ist wie das Manna in der Wüste Nahrung für die Menschen auf dem Weg in das wahrhaft verheißene Land, das Jesus als das Reich Gottes offenbart. Die Eucharistie ist im Wesentlichen ein gemeinsames Mahl, von dem wissenschaftlich erwiesen ist, dass es eng mit der österlichen Feier verbunden ist. Es ist einer der Höhepunkte des Dienstes Jesu, der oft mit seinen Anhängern, Zöllnern und Sündern aß und seine Jünger ermutigte, die Armen, Verkrüppelten, Lahmen und Blinden einzuladen, die nicht in der Lage waren, ihre Großzügigkeit zurückzuzahlen (Lk 14,13-14). Darüber hinaus ist die Eucharistie Ausdruck der selbstgebenden, aufopfernden Liebe Christi, die sagt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19; 1 Kor 11,24). „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14,24; Mt 26,28; Lk 22,19), Verse, die den Hymnus des leidenden Gottesknechtes aus Jes 53,4-6 widerspiegeln. Die Feier der sich selbst hingebenden Liebe Christi in der Eucharistie lädt diejenigen, die daran teilnehmen, dazu ein, das zu tun, was er getan hat, und ihr eigenes Handeln in den Dienst der Bedürftigen zu stellen. Auf diese Weise wird deutlich, dass eine tiefe Bedeutung der Eucharistie die Nächstenliebe (caritas) ist. Die Nächstenliebe steht im Mittelpunkt des sozialen Engagements der Kirche:

Caritas ist empfangene und geschenkte Liebe. Sie ist ‚Gnade‘ (cháris). Ihre Quelle ist die ursprüngliche Liebe des Vaters zum Sohn im Heiligen Geist. Sie ist Liebe, die vom Sohn her zu uns herabfließt. Sie ist schöpferische Liebe, aus der wir unser Sein haben; sie ist erlösende Liebe, durch die wir wiedergeboren sind. Sie ist von Christus offenbarte und verwirklichte Liebe (vgl. Joh 13,1), ‚ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist‘ (Röm 5,5). Als Empfänger der Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen, selbst Werkzeuge der Gnade zu werden, um die Liebe Gottes zu verbreiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen. Auf diese Dynamik der empfangenen und geschenkten Liebe geht die Soziallehre der Kirche ein. Sie ist ‚caritas in veritate in re sociali‘: Verkündigung der Wahrheit der Liebe Christi in der Gesellschaft.[116]

67. Der Zusammenhang zwischen Eucharistie und Liebe wurde auch von einigen der frühesten christlichen Schriftsteller gut unterstrichen. Nach der Didache sollte die Eucharistie die Überwindung aller kulturellen Spaltungen zum Ausdruck bringen, insbesondere jener, die in Feindschaft wurzeln, und gleichzeitig alle, die an ihr teilnahmen, dazu verpflichten, mit den Armen zu teilen.[117] Über den christlichen Gottesdienst im zweiten Jahrhundert schrieb Justin der Märtyrer:

Und an dem Tag, der Sonntag heißt, findet eine gemeinsame Versammlung aller, die in den Städten oder auf dem Lande wohnen, statt. . . . Die Wohlhabenden und die, die wollen, geben – ein jeder nach eigenem Ermessen, was er will. Und was zusammenkommt, wird beim Vorsteher hinterlegt, und der hilft Waisen und Witwen, denen, die wegen einer Krankheit oder aus sonstigen Gründen bedürftig sind, auch denen im Gefängnis und Fremden, die bei uns wohnen. Er ist allen, die in Not sind, ein Beschützer.[118]

Einige Jahrzehnte später spricht Tertullian von der Eucharistie in Zusammenhängen, in denen sie mit der Ausübung von Werken der Liebe verbunden zu sein scheint, die die christliche Gemeinschaft praktizierte, insbesondere für die Schwachen und Verfolgten.[119] Vielleicht noch wichtiger ist die tatsächliche Praxis verschiedener Kirchen, über die wir Informationen haben.

68. Daraus kann man ersehen, dass die Kirche in unterschiedlichen Kontexten einerseits viel Gutes aus den Kulturen schöpft, andererseits aber das, was dem Evangelium widerspricht, in Frage stellt und berufen ist, eine transformierende Gemeinschaft zu sein, die sich um die Armen, Bedürftigen und Erniedrigten kümmert. Sie muss die Worte Jesu beim letzten Abendmahl widerspiegeln: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Die Eucharistie weist auf echte Versöhnung hin und verkörpert sie. Die dritte Dialogphase zwischen unseren Gemeinschaften befasste sich mit der Rolle der Kirche während der Apartheid in Südafrika, wo ein provozierender Anreiz, über das System der Rassentrennung nachzudenken, gerade deshalb entstand, weil einige sich weigerten, das Abendmahl auf eine Weise zu feiern, die alle Gläubigen einschließt.[120] Die Eucharistie veranlasst die christliche Gemeinschaft, solche Spaltungen zu überwinden. Die Eucharistie macht auf herausragende Weise klar, was es bedeutet, Christ zu sein. Ihre Feier impliziert notwendigerweise eine bestimmte Lebensweise. In Bezug auf Gerechtigkeit erinnert und bekundet die Eucharistie, dass in Christus die Gerechtigkeit Gottes als Gabe und menschliche Antwort offenbart wurde. Durch das Opfer seines Leibes und das Vergießen seines Blutes wurde definitiv eine neue Ordnung begründet. Jede Feier der Eucharistie führt uns in die Dynamik der Rechtfertigung, Versöhnung und Neuschöpfung des Menschen ein. Der Zeugnischarakter der sakramentalen Symbole endet jedoch nicht mit der Neuschöpfung des Menschen. Eingetaucht in das Wasser der Taufe und verwandelt durch das Teilen des Mannas Christi, Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit, sind wir auch dazu berufen, verantwortungsbewusste Verwalter der Umwelt zu sein. Unser Teilen eines Mahles muss auch auf die Verantwortung ausgedehnt werden, dafür Sorge zu tragen, dass die Erde für alle bewohnbar bleibt. Angesichts so vieler Strukturen und Mechanismen der Ungerechtigkeit und Ausgrenzung sollte die Eucharistie ein wahres Zeichen für das kommende Reich Gottes sein.

 

E) Autorität und Maßnahmen im Namen von Gerechtigkeit

69. Es ist die Kirche als das ganze Volk Gottes, die berufen ist, jene Dinge voranzutreiben und zu fördern, die zur Errichtung einer gerechteren Welt führen. Um zu vermeiden, dass ein solcher Fortschritt und eine solche Förderung allein durch einen kulturellen, sozialen oder politischen Kontext bedingt sind, erfordert dies kontinuierliche Verständnis- und Entscheidungsfindungsprozesse unter der Leitung des Heiligen Geistes. Gleichzeitig geht es um die Offenheit, sich herausfordern zu lassen, das christliche Zeugnis den verschiedenen Kontexten entsprechend zu leben.

70. In der Kirche gibt es verschiedene Dienste und Dienstbereiche, sowohl solche, die formale Autorität besitzen, als auch solche, die von Zeit zu Zeit prophetisch-charismatisch zu Tage treten. Es muss darauf geachtet werden, keine falschen Dichotomien zu schaffen, weder zwischen institutioneller und prophetisch-charismatischer Autorität noch zwischen klerikalen und nichtklerikalen Stimmen. Die Zusammenarbeit zwischen prophetischen Stimmen innerhalb der Kirche und den Stimmen derjenigen, die formale institutionelle Autorität besitzen, muss innerhalb der formalen Strukturen der Kirche zum Ausdruck kommen sowie außerhalb dieser Strukturen.

71. Die Erfahrung zeigt, dass einer solchen vom Geist bewirkten Zusammenarbeit Spannungen und Konflikte vorausgehen können. Dialog und Unterscheidung durch demütiges, gebeterfülltes gegenseitiges Zuhören unter der Führung des Heiligen Geistes geben der Kirche Anlass zur Hoffnung, dass das Maß an Übereinstimmung erreicht werden kann, das zur Erfüllung ihrer Sendung als prophetisches, priesterliches und königliches Volk erforderlich ist, unbeschadet der legitimen Vielfalt von Einsichten und Vorschlägen, die innerhalb der Gemeinschaft entstehen.

72. Formale Autorität und Leitung innerhalb der Kirche sind in unseren jeweiligen Traditionen sehr unterschiedlich organisiert. Die Dialoggruppe dachte über einige Fragen im Zusammenhang mit diesem Unterschied nach, jedoch nicht ausreichend, um darüber zu berichten. Es wäre daher nützlich, zu einem späteren Zeitpunkt Strukturen und Organisation unserer Kirchen zusammen mit ihren jeweiligen Entscheidungsfindungsprozessen zu untersuchen. Insbesondere das bessere Verständnis der Lokalisierung formaler Autorität und Leitung innerhalb der jeweiligen kirchlichen Strukturen könnte sich als ökumenisch fruchtbar erweisen.[121]

 

F) Aufbauend auf unserer vorherigen Phase: Kirche als „Sakrament“ von Gottes Reich

73. Das Reich Gottes stand im Mittelpunkt des Dienstes und Handelns Jesu. Im Vaterunser beten reformierte und katholische Christen gemeinsam „Dein Reich komme“. Wir erkennen an, dass Jesus und das Reich Gottes eins sind. Es gibt kein Reich Gottes ohne Jesus und keinen Jesus ohne das Reich Gottes. Wenn wir für das Kommen von Gottes Reich beten, beten wir gleichzeitig für das Kommen Jesu. Wenn dieses Reich Gottes in der Person und im Werk Jesu zu uns kommt, möchten wir festhalten, dass es drei Zeitformen hat. In Leben, Tod und Auferstehung Jesu ist Gottes Reich bereits ein für alle Mal gekommen. In der Verkündigung des Wortes Gottes und der Feier der Sakramente tritt dieses Reich Gottes hier und jetzt in unsere Mitte. Am Ende der Geschichte, wenn Jesus in Herrlichkeit offenbar wird, wird dieses Reich Gottes seine Erfüllung in allgemeinem Dank und Lob für die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes erreichen.

74. In unserer dritten Dialogphase wurde die Bedeutung dieses Reiches Gottes eingehend untersucht, wie sie sowohl in der Schrift als auch in der nachfolgenden Tradition offenbart wurde. Hier bekräftigen wir gemeinsam, dass der Empfang der Sakramente Taufe und Eucharistie die Christen zu einer festen Verpflichtung aufruft, der Sache der Gerechtigkeit des Reiches Gottes in der heutigen Welt zu dienen. Die Taufe salbt die christliche Gemeinde, um das priesterliche, prophetische und königliche Volk Gottes zu werden. Das Abendmahl formt uns zu einer gerechten, versöhnten und liebevollen Gemeinschaft und stärkt das Gemeinschaftsband zwischen den Gliedern des Leibes Christi untereinander, was sie veranlasst, Anwälte für Gerechtigkeit, Versöhnung und Liebe in Kirche und Welt zu werden. Unsere frühere Phase hat von der Kirche als einer Art Sakrament des Reiches Gottes gesprochen.[122] In ihrem Fokus auf die Auswirkungen der Sakramente von Taufe und Eucharistie auf die Gerechtigkeit dieses Reiches Gottes hat unsere gegenwärtige Phase versucht, dieses Bild der Kirche zu vertiefen und zu erweitern. Gemeinsam bekräftigen wir die in unserem früheren Dialog zum Ausdruck gebrachte Hoffnung,

dass unsere Auslegung der dienenden und instrumentellen Rolle der Kirche, in völliger Abhängigkeit vom Geist Christi und in Ausrichtung auf das Reich Gottes, einen Beitrag zur christlichen Einheit leisten kann, der über unsere eigenen Gemeinschaften hinausgeht. Die ökumenische Bewegung als ganze kann verstanden werden als Teilhabe an der Bewegung des Heiligen Geistes, der uns ruft und inspiriert, gemeinsam nach dem Reich Gottes zu streben und uns füreinander zu verpflichten. Wenn Kirchen neue Wege finden, wechselseitige Unterstützung und Verantwortung zu gestalten, so beten wir, dass eine größere Sichtbarkeit der Kirche als Zeichen und Werkzeug des Reiches Gottes das Ergebnis sein möge.[123]

Vor diesem Hintergrund erkennen wir an, dass das Verhältnis von Eschatologie und Gerechtigkeit ein wichtiges Thema zukünftiger ökumenischer Untersuchungen sein könnte.

 

G) Untrennbarkeit von lehrmäßiger und praktischer Ökumene

75. Unter ökumenisch gesinnten Christen gab es einen klassischen Konflikt zwischen denen, die darauf bestanden, dass der Weg zur Einheit einen Fokus auf Lehrfragen erfordert, die die Wurzel historischer Spaltungen waren, wie Rechtfertigung durch Glauben, Heiligung und Sakramente, und jenen, die darauf bestanden, dass solche Themen heute weniger wichtig sind und dass der Schwerpunkt der Einheitsbemühungen auf der Zusammenarbeit der Kirchen zur Verbesserung der Gesellschaft liegen sollte. Dies ist die Spannung, welche man als die zwischen doktrinärer Ökumene und sozialer Ökumene bezeichnen kann; sie wurde durch die unterschiedlichen Bemühungen der ökumenischen Bewegungen für „Glaube und Kirchenverfassung“ und für „Praktisches Christentum“ repräsentiert. Unsere Arbeit in diesem Dialog hat hoffentlich die theologische Übereinstimmung hinsichtlich des Heilshandelns des Heiligen Geistes in Rechtfertigung und Heiligung durch Gnade im Glauben gezeigt. Die Heiligung durch den Heiligen Geist in Wort und Sakrament ist genau das, was einzelne Gläubige und die christliche Gemeinschaft insgesamt dazu veranlasst, im Namen von Gerechtigkeit in der Welt zu handeln. Diese klassischen Lehrthemen bieten eine breite theologische Grundlage für das Handeln der christlichen Gemeinschaft im Namen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Die spezifischen Themen, die im sozialen Handeln der Kirche angesprochen werden, müssen ebenfalls auf einer soliden theologischen Reflexion beruhen. Die Einsatzbereitschaft und Arbeit für soziale Gerechtigkeit in unserer Welt finden eine wichtige und unersetzliche Grundlage in ihrer Übereinstimmung mit den theologischen Lehren von Rechtfertigung und Heiligung, welche der Heilige Geist durch den Dienst der Kirche in Wort und Sakrament bei den Gläubigen hervorbringt.

 

Allgemeine Schlussfolgerung

76. Kurz vor dem Jahr des Reformationsgedenkens 2017 haben wir das Thema der Rechtfertigung durch Glauben aufgegriffen, welches vor fünfhundert Jahren in den Debatten und letztlichen Spaltungen zwischen Christen so bedeutsam war. Unser Ziel war es, dieses Thema aus mehreren neuen Perspektiven zu betrachten, die von uns oder anderen ökumenisch Engagierten bisher möglicherweise nicht ausreichend untersucht wurden. Die drei Kapitel unseres Berichts nehmen das Verhältnis von Rechtfertigung zu Heiligung, zu Wort und Sakrament sowie zum Handeln im Namen von Gerechtigkeit in der Welt in den Blick.

77. Wir entdeckten ein sehr essentielles Einvernehmen dahingehend, dass Rechtfertigung und Heiligung nicht getrennt werden können. Dies bedeutet, dass Rechtfertigung die Früchte rechtschaffenen Handelns ermöglichen und zu ihnen führen wird. Gerechtfertigte Gläubige begeben sich auf eine Reise zu jener Heiligkeit, zu der sie vom Herrn berufen und durch die Gnade des Heiligen Geistes befähigt sind. Was die Bedeutung der Erlösung durch Glauben und den Stellenwert guter Werke angeht, dient infolgedessen die Lehre, dass Menschen durch Gnade im Glauben und nicht durch Werke gerettet werden, nicht als Grund für eine Trennung zwischen uns; diese Lehre schlug der heilige Paulus im Rahmen der präzisen Bedingungen vor, denen er sich beim Eintritt von Nichtjuden in die christliche Gemeinschaft gegenübersah. Einige Unterschiede zwischen uns scheinen weiter zu bestehen, da Reformierte ihrerseits die Rechtfertigung als vollständig und unwiderruflich ansehen, basierend auf ihrem Vertrauen in die Treue Gottes zu seinem Bund, während die Katholiken ihrerseits Rechtfertigung eng mit heiligmachender Gnade verbinden, die sie als verloren verstehen, wenn Gläubige in schwere Sünde verfallen. Der künftige Dialog hin zu einer größeren Übereinstimmung in der Lehre und einer vollständigen Gemeinschaft zwischen uns sollte die Themen der göttlichen Erwählung und der Möglichkeit, in schwere Sünde zu verfallen und diese zu überwinden, aufgreifen.

78. Wir entdeckten ein sehr essentielles Einvernehmen dahingehend, dass Rechtfertigung und Heiligung durch den Heiligen Geist durch Wort und Sakrament bewirkt werden. Dies ermöglichte es uns, unser Thema Rechtfertigung und Heiligung mit einem wichtigen Fortschritt zu verbinden, der in zwei früheren Dialogphasen erzielt wurde, nämlich mit unserer Übereinstimmung, dass sowohl die Verkündigung des Wortes als auch die Feier der Sakramente die Kirche konstituieren. Durch Wort und Sakrament verleiht der Heilige Geist die Gnade des Glaubens, welche sowohl der Rechtfertigung als auch der Heiligung zugrunde liegt. Unsere Konvergenz kann hier einen Beitrag zur gesamten ökumenischen Bewegung leisten, indem sie die Überzeugung nuanciert, dass Menschen „allein durch Glauben“[124] erlöst werden. Dieser Ausdruck sollte nicht die Tatsache verschleiern, dass der Geist von Mitteln wie hörbaren gesprochenen Worten und sichtbaren Riten Gebrauch macht, um die Gerechtigkeit zu vermitteln, die durch Gnade im Glauben entsteht. Erhebliche Unterschiede zwischen uns bestehen weiterhin hinsichtlich des Verständnisses der Heilswirksamkeit von Wort und Sakrament und hinsichtlich der Anzahl der Sakramente. Darüber hinaus muss das charismatische Zusammenspiel zwischen der prophetischen Stimme der gesamten Gemeinschaft der Kirche und der formal verorteten Stimme der Autorität innerhalb der Kirche die Natur der Gemeinschaft als prophetisches, priesterliches und königliches Volk widerspiegeln, das als solches vom in der Taufe empfangenen Geist gesalbt und in der Eucharistie genährt wird. Wir haben uns nicht mit der Frage befasst, welche genauen Dienstämter und -strukturen von Wort und Sakrament gefordert werden. Dies könnten Themen für einen künftigen Dialog sein.

79. Schließlich stellten wir volle Übereinstimmung dahingehend fest, dass die theologische Lehre und Wirklichkeit von Rechtfertigung durch Glauben und von Heiligung, die christliche Gemeinschaft dazu veranlassen, im Namen von Gerechtigkeit zu handeln. Das Gebot der Gerechtigkeit ergibt sich notwendigerweise aus der Rechtfertigung und aus der Berufung der ganzen Kirche zur Heiligkeit. Wir reflektierten insbesondere darüber, wie die Feier der Eucharistie oder des Abendmahls auf die Notwendigkeit hinweist, dass die Gemeinde sich an die Bedürftigen wendet. Hier stellten wir fest, dass Gerechtigkeit eng mit Nächstenliebe und Barmherzigkeit verbunden ist, sowohl in der Schrift als auch in den Stimmen der kirchlichen Tradition. Unterschiede bestehen weiterhin darin, wo jede Gemeinschaft formelle Autorität lokalisiert. Der Prozess und die Strukturen, wie Entscheidungen gefällt werden, müssen noch eingehender untersucht werden, obwohl dieses Thema bereits im Bericht über die dritte Dialogphase zwischen unseren Gemeinschaften, Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes, eine wichtige anfängliche Behandlung erfahren hat. Glücklicherweise zeigte unser gegenwärtiger Bericht, dass es keine Spannung geben muss zwischen dem Dialog über traditionell spaltende theologische Fragen, z.B. das Wesen der Rechtfertigung, und der Zusammenarbeit beim Einsatz für Gerechtigkeit. Zu unserer Freude stellten wir fest, dass gerade unsere theologische Übereinstimmung eine Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Förderung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung bilden kann.

80. Zum Abschluss dieser vierten Phase des Dialogs zwischen der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und der katholischen Kirche ermutigen wir als Mitglieder der bilateralen internationalen Dialogkommission unsere beiden Gemeinschaften einstimmig, den Weg des Dialogs fortzusetzen. Jeder der drei vorhergehenden Paragraphen hebt eine Reihe von Themen hervor, die nach Ausweis dieser Dialogphase weiter erörtert werden sollten. Weitere Themen, denen mehr Aufmerksamkeit zu schenken uns dieser Bericht einlädt, sind die Eucharistie, ordiniertes Amt und die Ausübung von Autorität. Wir glauben, dass ein vielversprechendes Thema für den Dialog, das zur Aufdeckung größerer ekklesiologischer Konvergenz zwischen uns führen könnte, ein Fokus auf das Wesen der Kirche als prophetisches, priesterliches und königliches Volk Gottes sein könnte, ein Thema, das sowohl von Calvin und der reformierten Tradition sowie vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich vorgeschlagen wird. Sollte eine neue bilaterale Kommission ernannt werden, könnte ihre erste Überlegung darin bestehen, angesichts der obigen Paragraphen zu entscheiden, welches besondere Anliegen in unseren jeweiligen Kirchen am dringlichsten zur Diskussion zu stehen scheint.

81. Wir möchten abschließend einige konkrete Schritte vorschlagen, die die Rezeption dieses Berichts verbessern können.

  • Der Bericht sollte den verschiedenen ökumenischen Stellen in unseren Gemeinschaften auf regionaler, nationaler und lokaler Ebene zur Verfügung gestellt werden. Das Internet könnte für eine kostengünstige und beschleunigte Kommunikation genutzt werden, um das Wachstum hin zu einer größeren Einheit zwischen unseren Kirchen zu fördern.
  •  Es könnte eine Zusammenarbeit beim Vorbereiten von Katechesen zu Rechtfertigung und Heiligung entwickelt werden, über die wir einen signifikanten Konsens teilen.
  • Auf regionaler und lokaler Ebene könnten Anstrengungen unternommen werden zwecks Vereinbarung, gemeinsame Taufzertifikate zu entwickeln und zu verwenden, wobei der Tatsache Rechnung getragen würde, dass unsere Kirchen die Taufe voll anerkennen, wenn sie gemäß dem Auftrag Jesu in Mt 28,19 gespendet wird.
  • Die Diskussionen über eine reformierte Affiliation mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre könnten fortgesetzt werden und, wenn möglich, zu einer solchen Affiliation führen, die nicht nur für unsere beiden Kirchen, sondern für die gesamte ökumenische Gemeinschaft als Ganze wichtig wäre.
  • Insbesondere im Hinblick auf Kapitel 3 des vorliegenden Berichts könnten neue Initiativen zur Förderung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Umwelt zwischen unseren Gemeinschaften auf verschiedenen geografischen Ebenen gefördert werden.

 

 

*  Original Englisch: Justification and Sacramentality: The Christian Community as an Agent for Justice. Report of the Fourth Phase of Catholic-Reformed International Dialogue, in: ISPCU Nr. 150 (2017/II) 71-92. Deutsche Übersetzung von Annemarie Mayer, in: Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. 5, 1090–1132, © 2021 by Bonifatius-Verlag, Paderborn / Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig, ISBN 978-3-89710-903-2 (Bonifatius) / 978-3-374-06995-8 (EVA). Die vorliegende Übersetzung verwendet die revidierte Einheitsübersetzung 2016. Die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils sind in der Übersetzung von Denzinger-Hünermann oder, falls dort nicht vorhanden, in der des Herder-Kommentars Bd. 1 angegeben.



[1] Auf Ersuchen der Kongregation für die Glaubenslehre ist an dieser Stelle in der englischen Originalfassung eine Anmerkung eingefügt, dass sich die Bezeichnung „Katholische Kirche“ (groß geschrieben) in diesem Bericht auf die Gemeinschaft bezieht, die auch als römisch-katholische Kirche bekannt ist, während das Wort „katholisch“ klein geschrieben die gesamte Kirche meint, wie sie im Glaubensbekenntnis Erwähnung findet. Anm. der Übersetzerin: Im Deutschen macht diese im Englischen durchaus gängige Unterscheidung wenig Sinn, zumal im Text des Berichts selbst kein einziges Mal im obigen Sinn auf die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ des Glaubensbekenntnisses verwiesen wird, sondern „katholisch“ durchweg als Gemeinschafts- oder Konfessionsbezeichnung verwendet wird. Die vorliegende Übersetzung verwendet die revidierte Einheitsübersetzung 2016 und stützt sich, wo möglich, auf gedruckte Übersetzungen kirchenoffizieller Texte (mit Ausnahme der auf der Website der Vatikans einfacher zugänglichen päpstlichen Verlautbarungen und einiger nationaler Dialoge). Leider steht auf Deutsch für die Reformierten Bekenntnisschriften keine so leicht zugängliche Ausgabe zur Verfügung wie Book of Confessions, Louisville, KY, Geneva Press, 1996. Die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils sind in der Übersetzung von Denzinger-Hünermann oder, falls dort nicht vorhanden, in der des Herder Kommentars Bd. 1 angegeben.

[2] Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes 7, in: Dokumente wachsender Übereinstimmung (DwÜ) 4, Paderborn/Leipzig, Bonifatius/Evangelische Verlagsanstalt, 2012, 998-1097.

[3] Ibid. 17.

[4] Vgl. Páraic Réamonn, “Introduction,” Reformed World 52/1 (2002), 1-4.

[5] Michael Weinrich und John P. Burgess (Hg.), What is Justification about? Reformed Contributions to an Ecumenical Theme, Grand Rapids, Eerdmans, 2009.

[6] Vgl. GE 43. Für den Gesamttext vgl. DwÜ 3, 419-441.

[7] Während des von Papst Benedikt anlässlich des 50. Jahrestages der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils einberufenen „Jahres des Glaubens“ ergänzte die erste Enzyklika von Papst Franziskus, Lumen fidei (2013), nicht nur die Enzykliken von Papst Benedikt über Nächstenliebe und Hoffnung, sondern stand auch gut im Einklang mit dem Thema Rechtfertigung durch Glauben. In seinem apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (2013) forderte Franziskus eine erneuerte Verkündigung des Evangeliums im Kontext der vielen sozialen Herausforderungen, denen sich die heutige Welt gegenübersieht, und widmete das gesamte vierte Kapitel dieses Dokuments der „sozialen Dimension der Evangelisierung“ (176-258). Er schreibt, „alle Christen, auch die Hirten, sind berufen, sich um den Aufbau einer besseren Welt zu kümmern“, eine Aufgabe, bei der die katholische Kirche „ihre eigenen Bemühungen insbesondere mit dem [vereint], was die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in theoretisch-reflexiver ebenso wie in praktischer Hinsicht im sozialen Bereich leisten“ (183). http://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html (konsultiert am 20.02.16). Der vollständige Text von Lumen fidei findet sich unter http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20130629_enciclica-lumen-fidei.html.

[8] Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche 68; 73-75, in: DwÜ 2, 623-673.

[9] Ibid. 77-79.

[10] Ibid. 77.

[11] Ibid. 78.

[12] Ibid. 77.

[13] Ibid. 79.

[14] Ibid. 79.

[15] Anmerkung der Übersetzerin: Im Englischen steht eigentlich „sanctification“ – „Heiligung“, nicht „sanctity“.

[16] Ibid. 79.

[17] Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion 3.11.1, übers. und bearb. v. Otto Weber, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener Verlag, 1997 (= 1955).

[18] Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai 1934 2, in: Georg Plasger, Matthias Freudenberg (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften: eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, 239-245 sowie The Confession of 1967, Sektion C der Presbyterianischen Kirche (USA).

[19] Zweites Helvetisches Bekenntnis 15, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen, Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1949, 175-248.

[20] Zweites Helvetisches Bekenntnis 15.

[21] Niederländisches Bekenntnis (Confessio Belgica) 24, in: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, hg. v. Paul Jacobs, Neukirchen, Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1949, 153-174.

[22] Heidelberger Katechismus 90, hg. v. Otto Weber, Güterloh, Güterloher Verlagshaus Mohn, 1978.

[23] Ibid. 114.

[24] Vgl. Westminster-Bekenntnis 11.5, in: Thomas Schirrmacher, Der evangelische Glaube kompakt, Hamburg/Bonn, RVB/VKW, 2004.

[25] Dekret über die Rechtfertigung 3 (DH 1523). Für diesen und alle nachfolgenden Verweise auf katholische lehramtliche Quellen, vgl. Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morumKompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. durch Peter Hünermann, Freiburg i.Br., Herder, 1. Aufl., neue Ausg., 2014 (abgekürzt DH).

[26] Ibid. 4 (DH 1524).

[27] Ibid., Kapitel 5 und 6. Der Katechismus der katholischen Kirche interpretiert die Bedeutung dieses „Zusammenwirkens“ folgendermaßen: “Die Rechtfertigung begründet ein Zusammenwirken zwischen der Gnade Gottes und der Freiheit des Menschen. Sie äußert sich dadurch, daß der Mensch dem Wort Gottes, das ihn zur Umkehr auffordert, gläubig zustimmt und in der Liebe mit der Anregung des Heiligen Geistes zusammenwirkt, der unserer Zustimmung zuvorkommt und sie trägt.“ Katechismus der katholischen Kirche 1993, München, R. Oldenbourg Verlag, 1993.

[28] Alle Zitate in diesem Abschnitt stammen aus dem Dekret über die Rechtfertigung 7 (DH 1528-31).

[29] Ibid. 8 (DH 1532).

[30] Ibid. 10 (DH 1535).

[31] Ibid. 12-13 (DH 1540-41).

[32] Ibid. 16 (DH 1546).

[33] Vgl. Vaticanum II, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes 10 und 45 (DH 4310, 4345); vgl. auch 22, 32 und 38 (DH 4322, 4332, und 4338).

[34] Vaticanum I, Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius 3 (DH 3008).

[35] Synode von Orange II, can. 7 (DH 377); Vaticanum I, Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius 3 (DH 3010).

[36] Vaticanum II, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum 5 (DH 4205). Vgl. auch das nachsynodale apostolische Schreiben über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche Verbum domini (30. September 2010) von Papst Benedikt XVI., insbesondere zu ‚der Gott, der spricht‘ (6-16), ‚unsere Antwort im Glauben an den Gott, der spricht‘ (22-25) und den ganzen zweiten Teil über das Wort Gottes in der Kirche, Verbum in ecclesia (50-89) http://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/apost_exhortations/documents/hf_ben-xvi_exh_20100930_verbum-domini.html (konsultiert am 20.02.2016).

[37] Cf. Vaticanum II, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium 9 (DH 4122-24).

[38] GE 25.

[39] Ibid. 26.

[40] Ibid. 24.

[41] Ibid. 20.

[42] Ibid. 36.

[43] Ibid. 15.

[44] Dekret über die Sakramente, Vorwort (DH 1600). Während Trient von einer „Vermehrung“ an Rechtfertigung spricht, ist die gängigere katholische Ausdrucksweise für Fortschritt in der Nachfolge Christ die vom Wachsen im Glauben. Wer Christus nachfolgt, „muß nach seinen eigenen Gaben und Gnaden auf dem Weg eines lebendigen Glaubens, der die Hoffnung weckt und durch Liebe wirksam ist, entschlossen vorangehen. … Damit aber die Liebe wie ein guter Same in der Seele wachse und Frucht bringe, muß jeder Gläubige das Wort Gottes bereitwillig hören und seinen Willen mit Hilfe seiner Gnade in der Tat erfüllen …” Lumen gentium 41, 42 (DH 4166).

[45] GE 36.

[46] Vgl. G.C. Berkouwer, Studies in Dogmatics: Sin, Grand Rapids, Eerdmans, 1971; James Hogg, The Private Memoirs and Confessions of a Justified Sinner, hg. v. John Wain, New York, Penguin Books, 1983.

[47] Zweites Helvetisches Bekenntnis, 16.

[48] Augustinus, In Evangelium Ioannis Tractatus 3, 10: “coronat autem in nobis Deus dona misericordiae suae” ed. R. Willems (CCSL 36, 25, 25f.), Turnhout, Brepols 21990; vgl. Zweites Helvetisches Bekenntnis, 16.

[49] Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche 113.

[50] Die Kirche als Gemeinschaft gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes 193.

[51] Lutherisch-katholischer Dialog, Vom Konflikt zur Gemeinschaft 33. Der gesamte Text kann konsultiert werden unter https://www.lutheranworld.org/sites/default/files/LWB_Vom_Konflikt_zur_Gemeinschaft.pdf.

[52] Comité mixte catholique-protestant en France, Consensus œcuménique et différence fondamentale 11, Paris, 1987: “La divergence . . . ne concerne pas le fait de l’instrumentalité de l’Eglise dans la transmission du salut, mais la nature de cette instrumentalité: l’Église est-elle sanctifiée de manière à devenir elle-même sujet sanctifiant?”

[53] Gemeinsame Erklärung, Anhang 2C, zitiert die “Konkordienformel, Solida Declaratio” II.64f., in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 897, 37ff.

[54] Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche 86.

[55] Die Diskussion über Taufe, Eucharistie und Amt 1982-1990. Stellungnahmen, Auswirkungen, Weiterarbeit, Frankfurt am Main und Paderborn, Lembeck und Bonifatius, 1990, 142. Auf den Konvergenztext der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung Taufe, Eucharistie und Amt (Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung 111) in DwÜ 1, 545-585 selbst wird im Folgenden als “Lima-Papier” verwiesen.

[56] Eine gute multilaterale Darstellung der Bedeutung und Wichtigkeit der Taufe findet sich in: Gemeinsam den einen Glauben bekennen Eine ökumenische Auslegung des apostolischen Glaubens, wie er im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) bekannt wird, Studiendokument der Kommission für Glauben u. Kirchenverfassung 153, Genf, ÖRK, rev. Ausg., 1991, 90-96.

[57] Die jüngsten katholisch-reformierten nationalen Dialoge in den Vereinigten Staaten und in Schottland haben ähnliche Bedenken bei beiden Traditionen ans Licht gebracht hinsichtlich der pastoralen Anforderungen an diejenigen, die die Taufe für ihre Kinder anfragen, obwohl sie nicht einmal im weitesten Sinne aktive Mitglieder der Kirche sind, sowie hinsichtlich der dringenden Notwendigkeit einer kontextbezogenen Tauferziehung. Für den US-Dialogbericht mit dem Titel These Living Waters, vgl. http://www.usccb.org/beliefs-and-teachings/ecumenical-and-interreligious/ecumenical/reformed/upload/These-Living-Waters.pdf (konsultiert am 11.09.2015). Der schottische Text trägt den Titel Baptism: Catholic and Reformed und ist verfügbar unter http://www.churchofscotland.org.uk/__ data/assets/pdf_ file/0010/3115/Baptism _document.pdf (konsultiert am 11.09.2015).

[58] Vgl. Röm 6,3-11; Kol 2,12; Lima-Papier 2. Das Lima-Papier erinnert auch an andere biblische Umschreibungen der Taufe: Abwaschen der Sünde (1 Kor 6,11); neue Geburt (Joh 3,5); Erleuchtung durch Christus (Eph 5,14); Anlegen Christi als neues Gewand (Gal 3,27); Erneuerung durch den Geist (Tit 3,5); Erfahrung der Rettung vor der Flut (1 Petr 3,20–21); Exodus aus der Knechtschaft (1 Kor 10,1-2) und Befreiung zu einem neuen Menschsein, in dem Barrieren der Trennung, ob Geschlecht, Rasse oder sozialer Status, überwunden sind (Gal 3,27-28; 1 ​​Kor 12, 3).

[59] GE 25.

[60] GE 28. Hier ist die Anmerkung wichtig, dass Reformierte nicht sagen würden, es sei im engeren Sinne der Heilige Geist, der rechtfertigt. Für Reformierte rechtfertigt Gott der Vater den Sünder aufgrund der Erlösung durch den Sohn (vgl. z.B. Röm 8,31-32), eine Erlösung, die Rechtfertigung und Heiligung umfasst. Aber da diese Gaben uns nur dann nützen, wenn der Geist uns mit Christus verbindet, damit er und diese Gaben die unsrigen werden, ist es nicht ganz falsch zu sagen, dass der Heilige Geist eine Rolle bei unserer Rechtfertigung spielt.

[61] Vgl. Abschnitt 5, 70-73 von These Living Waters, verfügbar auf der oben in Fußnote 57 angegebenen Internetseite.

 

[62] Paragraphen 24-25 des Berichts der ersten Phase des internationalen katholisch-reformierten Dialogs Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt hält einige wichtige Konvergenzen zwischen uns zum Verhältnis von Schrift und Tradition fest. Eine solche Konvergenz ist die Frucht vieler bilateraler Dialoge; vgl. W. Kasper, Die Früchte ernten: Grundlagen christlichen Glaubens im ökumenischen Dialog 102, Paderborn, Bonifatius, 2011, 201-202.

[63] Heidelberger Katechismus 74.

[64] Ibid. 69

[65] Ibid. 72.

[66] Ibid. 74.

[67] Ibid. 70.

[68] Vaticanum II, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium 6 (DH 4006).

[69] Lumen gentium 7 (DH 4112).

[70] Katechismus der katholischen Kirche 977.

[71] Ibid. 1257. Der Katechismus spricht weiter von „Bluttaufe“ in Bezug auf diejenigen, die für den Glauben gemartert wurden (1258) und „Begierdetaufe“ in Bezug auf Katechumenen, die sterben, bevor sie die Gelegenheit haben, das Abendmahl zu empfangen (1259). Das Sakrament der Taufe wird in den Paragraphen 1213-1284 des Katechismus behandelt. Vieles, was hier über die Taufe geschrieben wird, stammt oft wörtlich aus den Paragraphen 1265-1271.

[72] Lumen gentium 11 (DH 4127).

[73] Unitatis redintegratio 22 (Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 1, 238); vgl. auch 3 (DH 4188).

[74] Calvin, Unterricht in der christlichen Religion 4.14.3.

[75] Genfer Katechismus 5, in: Georg Plasger, Matthias Freudenberg (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften: eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, 57-106.

[76] Westminster-Bekenntnis 27.3.

[77] Westminster-Bekenntnis 27.2.

[78] Vgl. Unterricht in der christlichen Religion IV.1.1.4.

[79] Konzil von Trient, Dekret über die Sakramente, Vorwort (DH 1600).

[80] Vaticanum II, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium 59 (dt. Übers. Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil Bd. 1, 30).

[81] Vaticanum II, Dekret über den Dienst und das Leben der Presbyter Presbyterorum ordinis 4 (dt. Übers. Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil Bd. 1, 539; 542).

[82] Ein Großteil des Materials in diesem Paragraphen stammt aus Katechismus der katholischen Kirche 1115-1123.

[83] Katechismus der katholischen Kirche 1127.

[84] Vgl. Katechismus der katholischen Kirche 1128: „Dies ist der Sinn der Aussage der Kirche [Vgl. K. v. Trient: DS 1608], daß die Sakramente ex opere operato [wörtlich: „aufgrund der vollzogenen Handlung"] wirken. Das heißt, sie wirken kraft des ein für allemal vollbrachten Heilswerkes Christi. Daraus folgt: „Das Sakrament wird nicht durch die Gerechtigkeit des Menschen, der [das Sakrament] spendet oder empfängt, sondern durch die Kraft Gottes vollzogen" (Thomas v. A., S. th. 3,68,8). Sobald ein Sakrament der Absicht der Kirche gemäß gefeiert wird, wirkt in ihm und durch es die Macht Christi und seines Geistes, unabhängig von der persönlichen Heiligkeit des Spenders. Die Früchte der Sakramente sind auch von der inneren Verfassung ihres Empfängers abhängig.“

[85] Unterricht in der christlichen Religion IV.14.17.

[86] Cf. Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt 98 (1977); Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche 140 (1990)

[87] Unterricht in der christlichen Religion IV.14.20, vgl. auch IV.14.22; 18.20.

[88] Unterricht in der christlichen Religion IV.19.

[89] Konzil von Trient, Dekret über die Sakramente (DH 1601 und 1603).

[90] Mit dieser Idee verbunden ist Thomas von Aquins Ausdruck “potissima sacramenta” (Summa theologiae III, q. 62, a. 5; vgl. auch Summa contra gentiles IV,72). Vgl. Yves Congar, Die Idee der sacramenta majora, in: Concilium (D) 4 (1968) 9-15.

[91] Das Zweite Helvetische Bekenntnis, beispielsweise, hält in Kapitel 19 „Die Sakramente der Kirche Christi” fest: „Es gibt Menschen, die sieben Sakramente des neuen Bundesvolkes zählen. Hiervon anerkennen wir die Buße, die Einsetzung der Diener (allerdings nicht jene päpstliche, sondern die apostolische) und die Ehe als nützliche Einsetzungen Gottes, aber nicht als Sakramente.“

[92] Eine Reihe ökumenischer Dialoge unter reformierter und katholischer Beteiligung hat gezeigt, dass ein vielversprechender Ansatz zur Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten über die Anzahl der Sakramente darin besteht, zwischen einer breiteren und einer engeren Verwendung des Begriffs „Sakrament“ zu unterscheiden (vgl. Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg [Hg.], Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Band I: Rechtfertigung, Sakramente und Amt in Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg i.Br./Göttingen, Herder/Vandenhoeck & Ruprecht, 1985, 77-88, I.1.2) oder zwischen zwei „Sakramenten“ und fünf „Sakramenten“ oder „(kirchlichen) Handlungen “ (vgl. Groupe des Dombes, Der Heilige Geist, die Kirche und die Sakramente 32 [frz. Original Le Saint-Esprit, l'Eglise et les sacrements], 1979).

[93] Diese Entwicklung wurde im 19. Jahrhundert von Johann Adam Möhler (1796-1838) und Matthias Joseph Scheeben (1835-1888) vorweggenommen. Yves Congar und Karl Rahner, die beide im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils eine einflussreiche Rolle spielten, fühlten sich besonders ersterem gegenüber intellektuell verpflichtet.

[94] Lumen gentium 1 (DH 4101).

[95] Vgl. z.B. Karl Barth, Die Menschlichkeit Gottes (Theologische Studien 48), Zollikon-Zürich, Evangelischer Verlag, 1956, 25: „Die Kirche ist das besondere Menschenvolk, die Gemeinde, nach Calvins Ausdruck die Kompagnie, die durch ein bißchen armselige, aber unüberwindliche, weil durch den Heiligen Geist begründete Erkenntnis des in Jesus Christus offenbaren gnädigen Gottes konstruiert und zu seinem Zeugen in der Welt bestimmt und berufen ist.“

[96] Heidelberger Katechismus 31.

[97] Ibid. 32.

[98]Lumen gentium 25-28 (DH 4149-53).

[99] Ibid. 34-36 (DH 4160-62).

[100] Ibid. 10-13 (DH 4125-32).

[101] Lumen gentium 12 lehrt, „durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und erhalten wird, hängt das Volk Gottes unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wahrhaft das Wort Gottes empfängt, dem einmal den Heiligen übergebenen Glauben unwiderruflich an, dringt mit rechtem Urteil immer tiefer in ihn ein und wendet ihn im Leben voller an“ (DH 4130).

[102] Eine solche Mitwirkung umfasst alle Getauften, einschließlich derer, die im katholischen Sprachgebrauch Laien genannt werden. Lumen gentium 31 hält fest: „Aufgabe der Laien ist es, kraft der ihnen eigenen Berufung das Reich Gottes zu suchen, indem sie die zeitlichen Dinge besorgen und Gott gemäß ordnen. Sie leben in der Welt u, nämlich in all den einzelnen Verpflichtungen und Tätigkeiten der Welt und in den normalen Verhältnissen des familiären und gesellschaftlichen Lebens, mit denen ihr Dasein gleichsam verwoben ist. Dort werden sie von Gott dazu berufen, daß sie, indem sie ihre eigene Aufgabe erfüllen, vom Geist des Evangeliums geführt, nach Art des Sauerteigs zur Heiligung der Welt gleichsam von innen her beitragen und so vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens hervorleuchtend durch Glaube, Hoffnung und Liebe, Christus anderen kundmachen. Sie geht also in besonderer Weise an, alle zeitlichen Dinge, mit denen sie eng verbunden sind, so zu erleuchten und zu ordnen, daß sie immer Christus gemäß geschehen, gedeihen und zu Lobe des Schöpfers und Erlösers gereichen.“ (DH 4157).

[103] Das Substantiv dikaiosyn­ē kann entweder als „Gerechtigkeit“ oder als „Rechtschaffenheit“ übersetzt werden. Im Neuen Testament kann es einfach die Qualität des aufrechten Verhaltens ausdrücken, wie im Vers „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen” (Mt 5,20). Ein zentrales Thema der paulinischen Theologie ist es jedoch, dieses Wort in seiner Reflexion über das Verhältnis zwischen Glaube und Gesetzeswerken zu verwenden: „Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied” (Röm 3,21-22). Das Substantiv „Rechtfertigung“ in den heutigen Landessprachen bezieht sich entweder auf Gottes Aktivität, Sünder mit sich selbst zu versöhnen, oder auf die Erfahrung, mit Gott versöhnt zu sein. Paulus benutzt dieses Verb (dikaiûn), um Gottes gnädiges Heilshandeln in Christus auszudrücken: „Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn” (Röm 5,1).

[104] Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes 190.

[105] Ibid. 191.

[106] Vgl. das hebräische Wort zedakah, dessen Grundbedeutung „Gerechtigkeit“ ist.

[107] Vgl. Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik II.1: Die Lehre von Gott, Zollikon-Zürich, Evangelischer Verlag, 3. Aufl., 1948, 435 (§ 30. Die Vollkommenheiten des göttlichen Liebens, 2. Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit): „Gottes Gerechtigkeit, die Treue, in der er sich selbst treu ist, offenbart sich als Hilfe und Erlösung, als rettendes göttliches Eintreten für die Menschen an den Armen, Elenden, Hilflosen als solchen und nur an ihnen […].“

[108] Vgl. Papst Franziskus, Evangelii gaudium 197-201; Laudato si’ 17-19.

[109] Lumen gentium 39 (DH 4165).

[110] Ibid, 42 (dt. Übers. Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil Bd. 1, 150).

[111] “The Statement on Human Rights” der Reformiert-Katholischen Konsultation in den USA zu “Ethics and the Search for Christian Unity,” (1980), zugänglich unter: http://www.usccb.org/beliefs-and-teachings/ecumenical-and-interreligious/ecumenical/reformed/upload/Ethics-and-the-Search-for-Christian-Unity.pdf (konsultiert am 01.08.2020).

[112] Evangelii gaudium 180.

[113] Das Belhar-Bekenntnis 3 (September 1986), in: Reformiertes Bekennen heute: Bekenntnistexte der Gegenwart von Belhar bis Kappel, hg. v. Marco Hofheinz/ Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer/ Frederieke van Oorschoot, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2015, 18-25; 23. Das Bekenntnis wurde 1986 angenommen durch die Synode der Holländisch Reformierten Missionskirche in Südafrika. 1994 vereinigten sich die Holländisch Reformierte Missionskirche und die Holländisch Reformierte Kirche in Afrika zur Reformierten Unionskirche im Südlichen Afrika (URCSA). Eine englische Version in inklusiver Sprache besorgte das Büro für Theologie und Gottesdienst der Presbyterianischen Kirche (USA). Für den gesamten Text vgl. außerdem https://www.reformiert-info.de/daten/File/Upload/doc-98-2.pdf .

[114] Spe salvi 35, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20071130_spe-salvi.html.

[115] Die 7. Runde des reformiert-katholischen Dialogs in den Vereinigten Staaten (2003-2010) verwendete viel Zeit darauf, Konvergenzen und Divergenzen in der eucharistischen Theologie und Praxis zu untersuchen. Diese Arbeit hilft dabei, die anhaltenden Beschränkungen unseres eucharistischen Austauschs zu beleuchten und Themenbereiche für den künftigen Dialog vorzuschlagen. Siehe den Abschlussbericht des Dialogs This Bread of Life, v.a. Abschnitt 3c “Presence of Christ” und Abschnitt 3d “Offering and Sacrifice” sowie Abschnitt 4 “Pastoral Implications” http://www.pcusa.org/site_media/media/uploads/worship/pdfs/this-bread-of-life.pdf.

[116] Benedict XVI, Caritas in veritate 5. http://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate.html.

[117] Vgl. Kenneth W. Stevenson, Eucharist and Offering, New York, Pueblo, 1986, 15.

[118] Justin, Erste Apologie 67,2, übers. v. Jörg Ulrich (Kommentar zu frühchristlichen Apologeten Bd. 4/5), Freiburg i.Br./Basel/Wien, Herder, 2018, 513.

[119] Vgl. v.a. Tertullian, Ad uxorem II,4: CSEL 70, 117 und II,8: CSEL 70, 124.

[120] Vgl. Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes 82-101.

[121] Vgl. die Abschnitte 142-144 des Berichts über die zweite Phase unseres Dialogs Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche und insbesondere die Kapitel 2 und 3 des Berichts über die dritte Phase unseres Dialogs, Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes zu Fallstudien gemeinsamen Handelns im Namen von Gerechtigkeit sowie über Strukturen und Prozesse der Unterscheidung.

[122] Vgl. Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes 190-193.

[123] Ibid. 197.

[124] Es scheint, dass die Worte „Glaube allein“ im Neuen Testament nur in Jakobus 2,4 vorkommen, wo behauptet wird, dass man nicht allein durch Glauben ohne Werke erlöst wird. Die Betonung des erlösenden Glaubens durch die paulinische Tradition findet guten Ausdruck in Epheser 2,8 („Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt“).