DIALOG ZWISCHEN DER KOMMISSION FÜR DI RELIGIÖSEN BEZIEHUNGEN ZUM JUDENTUM DES HEILIGEN STUHLS
UND DEM GROSSEN RABBINAT IN ISRAEL

 

6. BEGEGNUNG

Rom, 26.-28. Februar 2006; 28.-30. Shevat 5766

 

1. Beim sechsten Treffen der bilateralen Kommission, das in Rom abgehalten wurde, haben wir das Thema der Beziehungen zwischen dem menschlichen Leben und der Technologie behandelt, im Bewußtsein der großen Fortschritte, die in der Medizin gemacht worden sind, ebenso wie der Herausforderungen und der Möglichkeiten, die diese darstellen.

2. Wir bestätigen die Grundsätze unserer jeweiligen religiösen Traditionen, nach denen Gott der Schöpfer und Herr allen Lebens und das menschliche Leben heilig ist, weil, wie die Bibel lehrt, die menschliche Person nach dem Bild Gottes geschaffen wurde (vgl. Gen 1,26–27). Aufgrund der Tatsache, daß das Leben ein göttliches Geschenk ist, das geachtet und bewahrt werden muß, verwerfen wir entschieden die Idee einer Herrschaft des Menschen über das Leben oder des Rechts irgendeines Menschen oder einer Menschengruppe, über seinen Wert oder seine Dauer zu entscheiden. Folglich verwerfen wir das Konzept der aktiven Euthanasie (das sogenannte »mercy killing«) als unzulässige Anmaßung des Menschen, den Todeszeitpunkt der menschlichen Person zu bestimmen, was nur der Macht Gottes zukommt.

3. Wir danken dem Schöpfer dafür, daß er dem Menschen die Fähigkeit geschenkt hat, das Leben zu heilen und zu bewahren, und für die bedeutenden Fortschritte, die in dieser Hinsicht von Wissenschaft, Medizin und Technologie der Gegenwart gemacht worden sind. Nichtsdestoweniger erkennen wir, daß diese positiven Fortschritte größere Verantwortlichkeiten, tiefgreifende ethische Herausforderungen und potentielle Gefahren mit sich bringen.

4. In diesem Zusammenhang heben wir die Lehren unseres überlieferten Erbes hervor, denen zufolge jedes menschliche Wissen und jede menschliche Fähigkeit dazu dienen müssen, das Leben und die Würde des Menschen zu fördern, und sie daher übereinstimmen müssen mit den moralischen Werten, die sich von den oben erwähnten Grundsätzen ableiten. Folglich muß es in Anerkennung der Tatsache, daß nicht alles, was technisch machbar auch ethisch vertretbar ist, Grenzen geben bei der wissenschaftlichen und technologischen Anwendung.

5. Die Achtung und die Fürsorge für das menschliche Leben muß ein universaler moralischer Imperativ sein, den jede Zivilgesellschaft und ihre Gesetze gewährleisten müssen, um auf diese Weise eine Kultur des Lebens zu fördern.

6. Auch in Ablehnung der Anmaßung des Menschen, das göttliche Vorrecht zur Bestimmung des Todeszeitpunktes für sich in Anspruch zu nehmen, unterstreichen wir die Verpflichtung, alles zu tun, was möglich ist, um menschlichem Leiden Erleichterung zu verschaffen.

7. Wir appellieren nachdrücklich an das medizinische Personal und an die Wissenschaftler, sich für alle Fragen einzusetzen, die Leben und Tod betreffen, und sich hierbei von der Weisheit der Religion leiten zu lassen. Daher empfehlen wir, daß in diesen Fragen eine Beratung nicht nur mit den jeweiligen Familien, sondern auch mit den zuständigen religiösen Autoritäten stattfinden soll.

8. Unsere gemeinsame Überzeugung, daß das Leben auf dieser Erde in Wirklichkeit nur ein Teil der menschlichen Existenz ist, muß uns im Gegenteil dazu bringen, die größte Achtung zu bewahren gegenüber der äußeren »Hülle« – der menschlichen Gestalt –, in der die Person in dieser Welt konkrete Wirklichkeit wird. Folglich verwerfen wir gänzlich die Idee, daß die zeitlich begrenzte Natur der menschlichen Existenz auf der Erde uns erlauben könne, diese zu instrumentalisieren. In diesem Zusammenhang verurteilen wir mit Nachdruck jede Art von Blutvergießen, das die Förderung irgendeiner Ideologie zum Ziel hat – besonders dann, wenn dies im Namen der Religion geschieht. Eine solche Handlungsweise ist nichts anderes als eine Entweihung des göttlichen Namens.

9. Daher versuchen wir, Fortschritte zu erzielen für das Gemeinwohl der Menschheit durch die Förderung der Achtung gegenüber Gott, gegenüber der Religion und ihren Symbolen, gegenüber den heiligen Stätten und den Stätten des Gebets. Deren Entweihung muß verworfen und verurteilt werden.

10. Gleichzeitig machen derartige Mißbräuche und die gegenwärtigen Spannungen zwischen den Kulturen es erforderlich, daß wir über unseren bilateralen Dialog hinausgehen, zu dem wir durch besondere Bande verpflichtet sind. Daher glauben wir, daß es unsere Pflicht ist, zu versuchen, die muslimische Welt und ihre Anführer in einen respektvollen Dialog und in eine ebensolche Zusammenarbeit einzubeziehen. Darüber hinaus appellieren wir an die Großen der Welt, die positive Kraft der religiösen Dimension anzuerkennen, die zur Lösung von Konflikten und Spannungen beiträgt, und an sie wenden wir uns mit der Bitte, den interreligiösen Dialog zu unterstützen.

Roma, 28. Februar 2006, 30. Shevat 5766

 

Oberrabbiner Shear Yashuv Cohen (Vorsitzender der jüdischen Delegation)

Oberrabbiner Ratson Arussi 
Oberrabbiner Yossef Azran 
Oberrabbiner David Brodman 
Oberrabbiner David Rosen 
H. Oded Wiener 
S. Exz. Botschafter Shmuel Hadas

Jorge Kardinal Mejía
(Vorsitzender der katholischen Delegation)

Georges Kardinal Cottier, OP S. 
Exz. Msgr. Giacinto-Boulos Marcuzzo 
Msgr. Pier Francesco Fumagalli 
P. Norbert Hofmann SDB