CHRISTLICHE FREUDE, DIE IN DER GEWISSHEIT DES GLAUBENS GRÜNDET

 

(Kloster Loccum, Deutschland, 13. März 2023)

 

Das achte Kapitel des Briefes des Apostel Paulus an die Römer handelt vom Leben des Christen im Heiligen Geist, es nährt die Hoffnung auf die Erlösung der Welt und mündet in die Bestärkung der Gewissheit der Glaubenden, die im Lobpreis Gottes zum Ausdruck gebracht wird. Der dritte Teil dieses Kapitels (8, 31-39) hört sich an wie ein einziger Aufruf zur Freude am Glauben an den lebendigen Gott, der mit uns und für uns ist.

 

Einladung zur Freude in einer freudlosen Welt?

Der Aufruf zur Freude wird heute freilich in einer Welt laut, in der nicht viel von Freude zu spüren ist. Die Freude wird von den schrillen Tönen des Krieges in der Ukraine übertönt und von seinen schrecklichen Folgen für so viele leidende Menschen verdunkelt. Die heutige Welt ist geschüttelt von elementaren Krisen humanistischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Natur. Auch im Blick auf das Leben der Kirchen in unseren Breitengraden zeigen sich die Töne der Freude eher dumpf und düster, wenn wir beispielsweise an die Verbrechen des Missbrauchs denken, die auch in unseren Kirchen stattfinden, oder wenn wir an so viele Menschen denken, die die Kirchen verlassen. Auch im Blick auf die ökumenische Wiedergewinnung der Einheit der Christen ist heute oft mehr von Problemen als von freudigen Anlässen die Rede.

Wie kann man in dieser Situation zur Freude aufrufen, wie es der Römerbrief mit grosser Leidenschaft tut? Um auf diese uns bedrängende Frage hilfreiche Antwort zu finden, sind wir gut beraten, genau hinzuhören, worin Paulus Anlass und Grund zur Freude sieht. Paulus ist sich sehr wohl dessen bewusst, dass er seinen Aufruf zur Freude keineswegs in eine heile Welt hinein vollzieht, so dass es sich nicht um einen blinden Aufruf handelt. Paulus nennt vielmehr die Hindernisse für die Freude ganz offen beim Namen: „Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert“. Und um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, welche Bedrängnisse und Herausforderungen auch auf den glaubenden Jünger Jesu zukommen, bekennt Paulus seine eigene tiefste Gewissheit: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Paulus bringt damit seine tiefste Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass die christliche Freude ihren Grund nicht einfach in der jeweiligen Situation hat, in der wir uns gesellschaftlich, kirchlich und persönlich vorfinden, sondern einzig und allein in der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus nahe ist und uns verheisst, dass sie für und mit uns ist. Und diese Liebe Gottes besteht darin, dass Gott uns alles schenkt.

 

Freude am Geschenkten

Den entscheidenden Beweis dafür hat nach Paulus Gott selbst dadurch erbracht, dass er seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle am Kreuz hingegeben hat. Denn das Kreuz Jesu ist Verkündigung des unvorstellbaren Wunders der Liebe Gottes. Das Kreuz Jesu ist das deutlichste und wirksame Zeichen dafür, dass Gott sich nicht einfach mit verbalen Liebeserklärungen an uns Menschen begnügt, sondern selbst einen hohen Preis für seine Liebe bezahlt hat, indem er in Liebe sein Herzblut für uns Menschen investiert und uns endgültig angenommen hat. Gottes Liebe besteht gerade darin, dass er sich lieber von der Sünde von uns Menschen ans Kreuz schlagen lässt, als dass er Menschen mit Gewalt zu etwas zwingen möchte. Denn am Kreuz Jesu hat Gott der Gewalt der Menschen sein Leiden entgegengestellt und der Macht des Bösen gegenüber als Grenze seine barmherzige Liebe aufgerichtet.

Wenn Gott uns das Kostbarste, was er uns geben konnte, geschenkt hat, nämlich seinen einzigen und eingeborenen Sohn, dann deshalb, damit wir wahrhaft erkennen können, dass alles, was uns gegeben ist und widerfährt, sein Geschenk ist: „sola gratia“ und somit gratis. Auch die Einheit unter uns Christen, die wir suchen, ist in erster Linie von Gott geschenkt: Nur als seine Gabe wird sie auch zu unserer Aufgabe. Darin liegt der tiefste Grund der christlichen Freude, die wir uns von Paulus in der heutigen Lesung zusprechen lassen dürfen und sollen. Dieser tiefste Grund besteht allein in Gott, von dessen Liebe uns nichts scheiden kann. Oder um es mit der heiligen Theresa von Avila zu sagen: „Dios basta“ – „Gott genügt“.

Damit ist freilich die grosse Herausforderung verbunden, dass die wichtigste Sendung von uns Christen darin besteht, den Menschen Gott zu geben. Denn ein Christ, der den Menschen Vieles und vielleicht sogar Alles gibt, ihnen aber Gott vorenthält, gibt ihnen zu wenig. Diese Herausforderung stellt sich zumal in der heutigen Welt, in der Gott oft als fremd und überflüssig empfunden wird und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit gleichsam auf die Ersatzbank gesetzt wird, und in der wir unter einer gewissen Schwerhörigkeit oder gar Taubheit gegenüber Gott leiden.

Im Licht der Botschaft des Apostels Paulus kann es deshalb keine grössere Priorität als diejenige geben, Gott wiederum in die Mitte des glaubenden und kirchlichen Lebens zu stellen und den Menschen von heute den Zugang zu Gott, seiner Lebendigkeit und Wahrheit wieder neu zu öffnen. Uns auf dieses eine Notwendige zurückzubesinnen, ist der Aufruf der Österlichen Busszeit, die uns auf die Mitte unseres Glaubens zurückführen will.

 

Den Glauben in ökumenischer Gemeinschaft bezeugen

Diese grosse Herausforderung heute können wir nur in ökumenischer Gemeinschaft glaubwürdig wahrnehmen, wie dies Papst Benedikt XVI. anlässlich seines Besuchs im Augustinerkloster Erfurt im Jahre 2011 zum Ausdruck gebracht hat. Er hat dabei Bezug genommen auf die leidenschaftliche Gottsuche im Leben und Wirken des Reformators Martin Luther: „Was ihn umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft seines Lebens und seines ganzen Wirkens gewesen ist.“ In der Nachfolge Luthers muss der erste ökumenische Dienst auch in der heutigen Zeit sein, in den säkularisierten Gesellschaften heute „gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht“. In den Augen von Papst Benedikt XVI. besteht die grösste gemeinsame Herausforderung an die Ökumene in der Zentralität der Gottesfrage.

Hinzu kommt, dass wir Christen nicht einfach an irgendeinen Gott im Sinne eines höchsten Wesens jenseits der Welt glauben, sondern uns zu einem Gott bekennen, der mit uns Menschen in Beziehung stehen und für uns da sein will, der deshalb nicht stumm ist, sondern spricht, der zu seinem Volk Israel gesprochen und sich in endgültiger Weise in seinem Sohn Jesus von Nazareth offenbart und sein wahres Gesicht gezeigt hat. Zum christlichen Grundzeugnis für den lebendigen Gott gehört deshalb auch „ganz zentral das Zeugnis für Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, der mit uns gelebt hat, für uns gelitten hat und für uns gestorben ist und in der Auferstehung die Tür des Todes aufgerissen hat“[1]. Jesus Christus in seiner ganzen Grösse und Schönheit wieder neu sehen zu lernen und den Christusglauben zu erneuern bildet eine wichtige Herausforderung, die nur in ökumenischer Gemeinschaft wahrgenommen werden kann.

Priorität der Gottesfrage und Christozentrik sind die entscheidenden Herausforderungen an die Ökumene heute. Sie standen denn auch im Mittelpunkt des Reformationsgedenkens im Jahre 2017, wie das Gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Titel sehr schön gezeigt hat: „Erinnerung heilen -  Jesus Christus bezeugen“[2]. Wie damals das Reformationsgedenken als Christusfest gemeinsam begangen worden ist, so muss sich auch heute Ökumene immer wieder als Christusökumene vollziehen. Anders kann es sich nicht verhalten, wenn das ökumenische Bemühen nicht einfach ein kirchenpolitisches Programm, sondern wirklich eine Frage des Glaubens ist. Denn die innerste Mitte allen ökumenischen Bemühens besteht in der Anerkennung und Bezeugung des apostolischen Glaubens, der jedem Glied des Leibes Christi bei der Taufe übergeben und anvertraut worden ist.

Je mehr wir uns gemeinsam auf Jesus Christus besinnen, wie es Paulus uns ans Herz gelegt hat und wie es die Reformatoren mit ihrem entschiedenen „Solus Christus“ in Erinnerung gerufen haben, umso mehr werden wir auch zueinander und unsere Einheit im Glauben finden. Dies ist der tiefste Sinn von „Unitatis redintegratio“. Sie meint nicht Rückkehr der einen Kirche zur anderen, sondern gemeinsame Umkehr zu Jesus Christus und damit zu jener Einheit, die uns im Glauben an ihn bereits geschenkt ist, die aber darauf angewiesen ist, eine sichtbare Gestalt zu finden und in glaubwürdiger Weise gelebt zu werden.

 

Sich des Glaubens an Jesus Christus ökumenisch vergewissern

Zu einem gemeinsamen Christusbekenntnis sind wir zumal im Blick auf ein grosses Jubiläum im Jahre 2025 eingeladen. Wir werden dann des Ersten Ökumenischen Konzils gedenken, das vor 1700 Jahren in Nicaea gefeiert worden ist und das Jesus Christus als Sohn Gottes, „der wesensgleich mit dem Vater“ ist, bekannt hat. Dieses Konzil hat in jenem Zeitraum stattgefunden, in dem die Christenheit noch nicht von den vielen späteren Spaltungen verwundet gewesen ist. Sein Christusbekenntnis verbindet deshalb auch heute alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und ist deshalb in seiner ökumenischen Bedeutung nicht zu überschätzen. Hoffen und beten wir deshalb darum, dass das 1700-Jahr-Gedenken des Konzils von Nicaea im Jahre 2025 als eine günstige Gelegenheit wahrgenommen wird, dass sich alle Christen und Kirchen der christologischen Wahrheit des konziliaren Bekenntnisses in ökumenischer Gemeinschaft erneut vergewissern.

Zu diesem Zeugnis sind wir alle berufen. Der bedeutende Kardinal John H. Newman hat in einer berühmten Studie dargelegt[3], dass es während der grossen christologischen Krise im 4. / 5. Jahrhundert nicht die Bischöfe, sondern die Gläubigen gewesen sind, die den wahren Glauben bewahrt haben. Während die Mehrheit der damaligen Bischöfe der arianischen Irrlehre verfallen sind, hat die grosse Mehrheit der Gläubigen am überlieferten Glauben des Konzils von Nicaea festgehalten und die davon abweichende Irrlehre nicht angenommen.

Auch heute ist die Glaubenssituation nicht frei von der arianischen Versuchung, die leugnet, dass Jesus Christus wesensgleich mit dem Vater ist. Von daher ist es ein Gebot der Stunde, unseren gemeinsamen Glauben an Jesus Christus erneut zu bekennen und in ihm die Einheit auch untereinander wieder zu finden. Dies ist aber nur möglich, wenn wir uns in jene Liebe Jesu Christi vertiefen, von der uns niemand scheiden kann, weil er für uns eintritt und mit uns ist.

Wenn wir mit Paulus diese Gewissheit des Glaubens teilen, dann wird auch in uns Christen heute jene tiefe Freude geweckt, zu der der Apostel uns einlädt und die uns in den Dunkelheiten der heutigen Welt und Kirche das Licht des Glaubens und damit die Zuversicht schenkt: „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“ Auf diesem Fundament des Glaubens können wir leben und, wenn es an der Zeit ist, sterben. Und allein auf diesem Fundament werden wir jene Einheit unter uns Christen finden, die uns nur im Glauben an Jesus Christus geschenkt ist.

 

[1]  Benedikt XVI., Ansprache im Ökumenischen Gottesdienst in der Kirche des Augustinerklosters Erfurt am 23. September 2011.
[2]  Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017 = Gemeinsame Texte. Nr. 24 (Hannover  Bonn 2016).
[3]  J.H. Newman, On consulting faithful in maters of doctrine (1859).