METROPOLIT DAMASKINOS PAPANDREOU ALS ÖKUMENISCHER BRÜCKENBAUER ZWISCHEN OST UND WEST

Grusswort bei der Gedenkveranstaltung „Wegbereiter der Koinonia der Kirchen in der einen Kirche Jesu Christi“ anlässlich des 10. Todestages von Metropolit Damaskinos Papandreou am 5. November 2021.

 

Kurt Cardinal Koch

 

 

Liebe Frau Professorin Barbara Hallensleben
Lieber Herr Dr. Stefanos Athanasiou
Liebe Mitglieder im Studienzentrum für die Ostkirchen der Universität Fribourg
Liebe Schwestern und Brüder

 

Der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg danke ich herzlich für die Einladung, anlässlich des zehnten Todestages des verehrten Metropoliten Damaskinos Papandreou mit einem Grusswort präsent zu sein. Es sei mir gestattet, am Jahrestag der „Entschlafung“, wie das Sterben eines Menschen in der orthodoxen Theologie bezeichnet wird, von Metropolit Damaskinos Papandreou mit persönlichen Erinnerungen zu beginnen. Denn mein Lebensweg hat sich mit dem Seinen immer wieder gekreuzt.

Bereits als Student und Assistent an der Theologischen Fakultät durfte ich Metropolit Damaskinos begegnen und ihn kennen lernen, als er dort als Gastprofessor gewirkt hat. Als ich an derselben Fakultät Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft geworden bin, sind wir uns als Kollegen noch näher bekannt geworden. Ihm verdanke ich bis heute, dass er dazu beigetragen hat, in mir die Freude an der Orthodoxen Tradition und Theologie zu wecken und den Grundstein von deren Verstehen zu legen.

Die Beziehung ist nochmals intensiviert worden, als mir mit der Bischofsweihe am 6. Januar 1996 die pastorale Verantwortung für das Bistum Basel und in der Schweizer Bischofskonferenz das Ressort der Ökumenischen Beziehungen anvertraut worden sind. Vor allem im Präsidium der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz sind wir uns immer wieder begegnet und haben uns über verschiedene ökumenische Fragen, Chancen und Herausforderungen ausgetauscht. Mit dem Präsidium der AGCK-CH hat Metropolit Damaskinos auch einen Besuch im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel organisiert und begleitet, den ich in bester Erinnerung behalten habe. Dieser Besuch ist für mich gleichsam auch der Auftakt für die stets wachsenden Beziehungen mit seiner Allheiligkeit, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. gewesen, in dessen Herz dieselbe Leidenschaft für das ökumenische Anliegen und damit für die sichtbare Einheit der Kirche wie in Metropolit Damaskinos lebt.

In der Begegnung mit dem Metropoliten ist stets zu spüren gewesen, wie sehr ihm der Dialog mit den anderen Religionen ebenso am Herzen gelegen hat wie eine positive Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens in Europa, wobei er in besonderer Weise nach dem Beitrag der griechisch-orthodoxen Kirche und Theologie für eine positive Zukunft dieses Kontinents gefragt hat. Vor allem ist immer wieder deutlich geworden, wie sehr er an der Wunde der Spaltung der Kirche Jesu Christi gelitten und seinen Geist und seine Energie in die ökumenische Verständigung zwischen der Orthodoxie und anderen christlichen Kirchen, besonders auch der Katholischen Kirche investiert hat.

Diesem Anliegen sind auch seine umfangreichen Bemühungen um die innerorthodoxe Einheit verpflichtet gewesen, die sich sowohl bei der Organisation der ihm anvertrauten Kirchenprovinz, der Orthodoxen Metropolie der Schweiz, als auch und in besonderer Weise bei der Gründung des Instituts für höhere Studien in orthodoxer Theologie gezeigt haben, mit der zum Ausdruck gekommen ist, welche grosse Bedeutung er der Erziehung und Bildung beigemessen hat. Einen besonderen Schwerpunkt hat in seinem Lebenswerk zweifellos seine leidenschaftliche Arbeit bei der Vorbereitung des Heiligen und Grossen Konzils der Orthodoxen Kirche gebildet. Dies trifft in einer solchen Intensität zu, dass man sagen muss, dass er sich als Sekretär für die Vorbereitung des Konzils dieses Bemühen gleichsam zur Lebensaufgabe gemacht hat. Immer wieder haben wir uns in unseren persönlichen Gesprächen über den Fortgang der Vorbereitungen unterhalten, obwohl ich damals nicht ahnen konnte, welche grosse Ehre mir zuteil werden sollte, als ich von Patriarch Bartholomaios als Beobachter am Heiligen und Grossen Konzil auf Kreta im Jahre 2016 eingeladen worden bin. Aber auch Metropolit Damaskinos hat zu seiner Lebenszeit wohl kaum ahnen können, unter welchen schwierigen Bedingungen, nämlich mit der Abwesenheit von vier orthodoxen Kirchen, das Konzil stattfinden sollte.

In allen diesen Begegnungen durfte ich Metropolit Damaskinos immer besser kennen und schätzen lernen, und diese Begegnungen haben uns näher miteinander verbunden, wofür ich dankbar bleibe. Als er mir im Jahre des Grossen Jubiläums 2000 bei meinem Besuch in Chambésy seine Aufsatzsammlung „Dialog als Leitmotiv. Die Orthodoxie an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend“ geschenkt hat, hat er sie mit der liebenswürdigen Widmung versehen: „Meinem lieben Bruder und Freund in dankbarer Verbundenheit“. An dieses kostbare Geschenk erinnere ich mich deshalb gerne, weil es zeigt, welche grosse Bedeutung Freundschaft im Leben des Metropoliten gespielt hat und dass sie gleichsam das innere Geheimnis seiner ökumenischen Offenheit gewesen ist. Denn der Dialog der Wahrheit und der Dialog der Freundschaft gehören unlösbar zusammen. Der Dialog der Wahrheit, nämlich die theologische Aufarbeitung jener Differenzen, die Ursachen der nach wie vor bestehenden Kirchentrennung gewesen sind, ist notwendig, da das Ziel der Einheit nur in der gemeinsamen Erkenntnis und Anerkenntnis der Wahrheit des Apostolischen Glaubens erreicht werden kann. Doch ein solcher Dialog der Wahrheit kann nur gedeihen und fruchtbar werden im Dialog der Liebe, der Geschwisterlichkeit und der Freundschaft.

Ein besonders eindrückliches Beispiel des unverbrüchlichen Bandes zwischen dem Dialog der Wahrheit und dem Dialog der Freundschaft ist der Briefwechsel, den Metropolit Damaskinos mit dem damaligen Präfekten der Römischen Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Joseph Ratzinger, an der Schwelle ins Dritte Jahrtausend geführt hat und in dem sie sich ebenfalls gegenseitig als „Bruder und Freund“ angeredet haben.[1] Dabei ist es um theologisch sehr schwierige Fragen gegangen, die nach wie vor in der Mitte des orthodox-katholischen Dialogs stehen, nämlich die Frage, ob man im Blick auf die Orthodoxe und die Katholische Kirche den Plural „Kirchen“ verwenden dürfe und ob sich in der Folge die beiden Kirchen als Schwesterkirchen anerkennen können oder ob man letztlich nur von einer Kirche in Ost und West sprechen und den Plural „Kirchen“ nur auf die verschiedenen Lokalkirchen, beispielsweise zwischen Konstantinopel und Rom, anwenden dürfe.

Hinter der auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Frage verbirgt sich freilich eine viel tiefer liegende Problematik im Kirchenverständnis, die viel weiter reicht als allein die Frage des Primats des Bischofs von Rom. Von orthodoxer Seite geht es dabei um die Frage, ob in einer kritischen Weise der Katholischen Kirche, die den Primat des Bischofs von Rom als konstitutiv für die Einheit der Kirche betrachtet, eine „Änderung der episkopalen Struktur der Kirche“, wie sie in der frühen Kirche gegeben war, festgestellt werden müsse. Und auf katholischer Seite ist die ebenso kritische Frage zu stellen, ob die in der Orthodoxie vorhandene Problematik der Autokephalie nicht doch auf die „Notwendigkeit eines Organs der Einheit“ auch auf der universalen Ebene verweise.

Beeindruckend in diesem Briefwechsel ist, mit welcher Offenheit diese Fragen gestellt werden, genauer mit der Bereitschaft aufeinander zu hören, voneinander zu lernen und selbstkritisch Fehlentwicklungen in den eigenen Kirchen zuzugestehen. Dies trifft in einem solchen Ausmass zu, dass Kardinal Joseph Ratzinger, an dessen Vorlesungen an der Theologischen Fakultät Bonn der junge Basil Papandreou als Student teilgenommen hat, in seiner Laudatio anlässlich des 60. Geburtstags von Metropolit Damaskinos am 23. Februar 1996 in Genf sagen konnte, dass in den verschiedenen Gesprächen nun auch er Schüler und der Metropolit Lehrer sei.

Solche Lernbereitschaft ist nur möglich, wenn auch schwierige theologische Dialoge im Geist christlicher Freundschaft geführt werden. Die lange freundschaftliche Verbundenheit zwischen Metropolit Damaskinos und Kardinal Joseph Ratzinger, die auch nicht aufgehört hat, als letzterer zum Papst gewählt worden ist, hat zu der beiden gemeinsamen Überzeugung geführt, dass zwischen Orthodoxer und Katholischer Kirche „viel weniger Lehrfragen stehen als Verwundungen des Gedächtnisses, die uns einander entfremden“, und dass in der Folge die zwischen katholischer und orthodoxer Ekklesiologie bestehenden Unterschiede im Sinne von „verschiedenartigen legitimen Entfaltungen ein und desselben apostolischen Glaubens im Osten und im Westen“ aufzufassen sind und „nicht als Trennungen in der Tradition des Glaubens selbst“. Oder in den Worten des Metropoliten Damaskinos: „Der Osten und der Westen können sich nur dann begegnen und zueinander finden, wenn sie sich an ihre ursprüngliche Verwandtschaft in einer gemeinsamen Vergangenheit erinnern. Der erste Schritt dazu ist, dass sie sich wieder bewusst werden müssen, dass der Osten und der Westen trotz ihrer Eigenheiten organisch zur einen Christenheit gehören.“[2]

In seinem ganzen Lebenswerk hat Metropolit Damaskinos wesentlich dazu beigetragen, dass der Westen Einblick in den Osten erhält und der Osten den Westen besser kennen lernt. In diesem Geist freundschaftlicher Verbundenheit wollen wir den Dialog der Wahrheit und der Liebe vor allem in der Internationalen Gemischten Kommission unter der Co-Präsidentschaft von seiner Eminenz, Erzbischof Job von Telmessos, weiterführen - in bleibender Dankbarkeit für die wegweisenden Impulse, die Metropolit Damaskinos Papandreou, der Erste Metropolit der Schweiz und ökumenischer Brückenbauer zwischen Ost und West uns mit auf den Weg gegeben hat. In der Gewissheit, dass er in den ewigen Frieden Gottes hinein entschlafen ist und der Wiederkunft des Herrn entgegengeht, bewahre ich ihm gerne ein ehrendes und dankbares Andenken.

 

 

 

[1]  Vom „Dialog der Liebe“ zum „Theologischen Dialog“. Briefwechsel mit Metropolit Damaskinos, in: J. Ratzinger, Kirche – Zeichen unter den Völkern = Gesammelte Schriften. Band 8/2 (Freiburg i. Br. 2010) 781-801.

[2]  Zitat in: M. Brun, Damaskinos Papandreou. Erster Metropolit der Schweiz 1969-2003 (Athen 2011) 109.