Grusswort zum VIII. Ökumenischen Bekenntniskongress der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften

(Hofgeismar vom 4. bis 6. Oktober 2019)

 

Liebe Schwestern und Brüder im gemeinsamen Herrn

Es ist bereits eine schöne Tradition, dass ich Ihnen zu Ihrem Ökumenischen Bekenntniskongress jeweils ein Grusswort aus Rom senden darf. So richte ich auch in diesem Jahr an Sie meine brüderlichen Grüsse und besten Segenswünsche. Sie sind in der Tagungsstätte Hofgeismar versammelt und widmen sich dem keineswegs leichten, aber sehr wichtigen und anspruchsvollen Thema „Quo vadis Europa? Europa als Herausforderung für die Christen“.

Von Europa ist in der heutigen Öffentlichkeit viel die Rede, zumal in diesem Jahr, in dem die Abgeordneten in das Europäische Parlament gewählt worden sind. Über Europa wird viel gesprochen, weil die heutige Migrationskrise Europa in eine Solidaritätskrise geführt hat. Zumeist ist von Europa in einer wirtschaftlichen Perspektive die Rede. Damit sind zweifellos grosse europäische Herausforderungen genannt. Die elementarste Herausforderung, die Europa für uns Christen darstellt, besteht heute aber vor allem in den beunruhigenden Fragen: Steht ein Europa, das sich bloss auf einer gemeinsamen Wirtschaft und auf vereinheitlichten Finanzen aufbaut, nicht auf arg wackligen Füssen? Wird ein Europa mit dem Euro als der gemeinsamen Währung allein überhaupt lebensfähig sein? Oder braucht Europa nicht vielmehr auch eine geistige und geistliche Leitwährung, die es in jener biblischen Gottestradition suchen und finden kann, von der die europäische Kultur massgeblich geprägt worden ist?

Dies sind bedrängende Fragen, die bereits früh der ehemalige Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, mit der klaren Diagnose angesprochen hat: „Europa kann nur bestehen, wenn es klar um seine geistigen Fundamente weiss. Ein Europa ohne geistige Ordnung wird zum Spielball der Mächte.“ Dass ein Europa ohne geistige Orientierung oder in geistiger Umnachtung zum Spielball politischer Mächte werden kann, hat das vergangene Jahrhundert mit seinen antichristlichen und neuheidnischen Diktaturen in blutiger Weise gezeigt. Und dass ein Europa ohne geistige Orientierung zum Spielball ökonomischer Mächte werden kann, ist die brisante Herausforderung, vor der wir heute stehen. Die Frage ist deshalb unaufschiebbar, wie es um die geistigen Fundamente Europas steht.

Um sie haben sich die bedeutenden Gründungsväter eines neuen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg – Konrad Adenauer, Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Jean Monnet - gesorgt. Und um sie müssen sich aufrechte Christen auch und gerade heute kümmern. Diese Sorge drängt sich ja bereits auf, wenn wir in die Geschichte Europas blicken. Dann zeigt sich, dass Europa weder eine geographisch eindeutig bestimmbare Grösse noch eine in ethnischer Hinsicht einheitliche Realität, sondern eine geschichtlich gewachsene Werte- und Schicksalsgemeinschaft ist. Die Frage nach der geschichtlichen Identität Europas hat Papst Benedikt XVI. in seiner luziden Rede vor dem Deutschen Bundestag im September 2011 dadurch beantwortet, dass er auf drei Städte hingewiesen hat: „Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“ Dabei zeigt die Geschichte Europas, dass diese dreifache Wurzel im Christentum zusammengewachsen ist, so dass Europa mit dem Christentum unlösbar verbunden ist.

Uns Christen in Europa kommt deshalb eine besondere Verantwortung zu. Wir sind berufen, als Treuhänder der christlichen Wurzel zu leben und zu wirken, damit sie lebendig bleibt und nicht verdorrt, wie es bei jedem Gewächs geschieht, wenn es nicht mehr in der Wurzel genährt oder wenn die Wurzel gar weggeschnitten wird. Die spezifisch christliche Verantwortung ergibt sich auch von daher, dass Europa jener Kontinent ist, von dem die Spaltung der westlichen Christenheit ausgegangen und in die Welt hinaus getragen worden ist. Und wir dürfen nicht aus unserem Bewusstsein verdrängen, dass die Spaltung und die anschliessenden blutigen Konfessionskriege im 16. und 17. Jahrhundert mit dazu beigetragen haben, dass sich die europäische Neuzeit tendenziell von der christlichen Wurzel losgelöst und ein neues säkulares Fundament des gesellschaftlichen Zusammenlebens gesucht hat.

Das geistige und geistliche Haus Europa können wir Christen heute nur gemeinsam bauen. Es freut mich deshalb und ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, dass Sie sich der grossen Herausforderung, die das heutige Europa uns Christen stellt, in ökumenischer Gemeinschaft annehmen und sich darum bemühen, die christlichen Wurzeln wieder sichtbar werden zu lassen, und zwar vor allem dadurch, dass wir Christen gemeinsam die Gegenwart des lebendigen und Dreieinen Gottes bezeugen. Denn der Mensch in Europa braucht nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein geistliches Obdach, das ihm der christliche Gottesglaube schenkt.

Bei allen Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, sind wir im Glauben gewiss, dass Gott Europa nie aufgibt, dass er aber grosse Verantwortung in unsere christlichen Hände legt. So wünsche ich Ihnen an Ihrem Bekenntniskongress Mut bei der Bearbeitung des wichtigen Themas und Ermutigung für Ihr Glaubensbekenntnis und für ihr persönliches Glaubensleben. Im Gebet bin ich Ihnen verbunden und grüsse Sie aus Rom, einer der drei Wurzelstädte der europäischen Kultur, herzlich