REFERAT BEIM WISSENSCHAFTLICHEN BEIRAT DES JOHANN-ADAM-MÖHLER-INSTITUTS FÜR ÖKUMENIK

DER BEITRAG DES THEOLOGISCHEN DIALOGS DER WAHRHEIT
IN DER ÖKUMENE

Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen im Jahre 2018

 

Paderborn, 3. April 2019

 

1. Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen

Am Beginn des folgenden Überblicks über die theologischen Dialoge und ökumenischen Aktivitäten seitens des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen auf Weltebene ist zunächst die allgemeine Beobachtung zu erwähnen, dass nach Normalisierung und Intensivierung der ökumenischen Beziehungen der Katholischen Kirche zu den anderen historisch gewachsenen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in den Jahrzehnten nach dem ökumenischen Aufbruch in der Katholischen Kirche sich die Themenstellungen vor allem um die Fragen des Kircheseins und des sakramentalen Lebens der Kirche auf dem Fundament der gemeinsamen Taufe bewegen, die die Christen miteinander verbindet. Bei der damit anvisierten Frage nach der wieder zu gewinnenden Einheit der Christen standen bisher vor allem die historischen Kirchen im Vordergrund der Dialoge. Heute jedoch ist die Zeit reif, sich in den ökumenischen Begegnungen und Gesprächen auch den charismatischen, evangelikalen und pentekostalen Gruppierungen und Bewegungen und damit dem am Beginn des 21. Jahrhunderts zweifellos am dynamischsten wachsenden Teil der Christenheit explizit zuzuwenden. Vor allem der Pentekostalismus bildet heute zahlenmässig nach der Römisch-Katholischen Kirche die zweitgrösste christliche Realität. Es handelt sich dabei um ein derart expandierendes Phänomen, dass man von einer derzeitigen Pentekostalisierung des Christentums reden muss oder geneigt sein kann, in ihm eine neue, gleichsam „vierte Form des Christseins“ wahrzunehmen[1], nämlich neben den Orthodoxen und Orientalisch-Orthodoxen Kirchen, der Katholischen Kirche und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften.

Aufgrund der intensiv zunehmenden ökumenischen Bedeutung dieses weltweiten Phänomens hat sich die Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im September 2018 mit dieser Herausforderung unter dem Titel: „Pentekostale, Charismatiker und Evangelikale und die Konsequenzen für das Konzept der Einheit“ eingehend befasst. Im Zentrum der Beratungen der Mitglieder und Konsultoren des Päpstlichen Rates stand dabei ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der verschiedenen Gruppierungen und Bewegungen und eine Analyse ihrer gegenwärtigen Situation. Darauf aufbauend wurde der Frage nach dem diesen Bewegungen zugrundeliegenden Kirchenverständnis und ihrem Konzept der ökumenischen Einheit nachgegangen, genauer der Frage, welche Herausforderungen bei diesen Bewegungen auf dem Weg der ökumenischen Dialoge hin zur vollen sichtbaren Einheit der Kirche aus katholischer Sicht gegeben sind. Schliesslich berieten die Teilnehmer der Vollversammlung auch über mögliche pastorale Handlungsweisen im ökumenischen Umgang mit Evangelikalen, Charismatikern und Pentekostalen. Die Vollversammlung hat ein ganzes Spektrum von Herausforderungen aufgezeigt, die in der zukünftigen ökumenischen Arbeit wahrgenommen werden müssen.

Während der Vollversammlung wurden noch zwei im Päpstlichen Rat erarbeite Projekte präsentiert und besprochen. Beim ersten Projekt handelt es sich um ein Vademecum, eine ökumenische Handreichung, die vor allem für neu ernannte Bischöfe bestimmt ist, da die Verantwortung, die Einheit der Christen zu fördern und wiederherzustellen, in besonderer Weise dem Bischof in seinem Dienst an der Einheit aufgetragen ist.[2] Als zweites Projekt wurde die neue website des Päpstlichen Rates vorgestellt, die notwendig geworden ist. Denn ein Päpstlicher Rat, der dem Dialog verpflichtet ist und im Dienst der Communio zwischen Christen und Kirchen steht, muss selbst auch um eine gute Kommunikation nach aussen besorgt sein.[3]

 

2. Dialog mit den Kirchen des Ostens

a) Die Orientalisch-Orthodoxen Kirchen

Die Orientalisch-Orthodoxen Kirchen mit ihren bedeutenden Traditionen - wie beispielsweise in Ägypten, Armenien und Syrien – sind nicht nur durch eine gemeinsame Glaubensgeschichte gekennzeichnet, sondern auch durch eine gemeinsame Geschichte des Leidens, der Verfolgung und der Vertreibung. Dank der in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgenommenen ökumenischen Beziehungen der Katholischen Kirche mit diesen Kirchen im Osten sind sich Katholiken und die ungefähr 50 Millionen Orientalisch-Orthodoxen Christen heute einander näher, als sie es jemals zuvor im Lauf der Jahrhunderte gewesen sind. Nach 1500 Jahren der Trennung ist in erfreulicher Weise ein solides gemeinsames Fundament im Glauben und im sakramentalen Leben beider Kirchenfamilien sichtbar geworden. Der ökumenische Dialog zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen wird heute von einer multilateralen und drei bilateralen Kommissionen geführt.

Die Gemische Internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen wurde im Jahre 2003 begründet und führt jährlich Vertreter der Katholischen Kirche und von sieben Orientalisch-Orthodoxen Kirchen, die die ersten drei ökumenischen Konzilien anerkennen, zusammen, nämlich die Koptisch-Orthodoxe Kirche von Ägypten, die Patriarchate der Armenisch-Apostolischen Kirche mit dem Sitz in Etschmiadzin und dem Katholikat von Antelias, das Syrisch-Orthodoxe Patriarchat von Antiochia – einschliesslich der Syrisch-Orthodoxen Malankarischen Kirche –, die Orthodoxen Tewahedo Kirchen von Äthiopien und Eritrea und die Orthodox-Syrische Malankarische Kirche. Nach der Verabschiedung des ersten Konsensdokumentes über die Natur und Sendung der Kirche im Jahre 2009 und dem zweiten Dokument über Communio und Communicatio zwischen den Kirchen in den ersten fünf Jahrhunderten im Jahre 2015 arbeitet die Kommission während ihrer dritten Phase zum Thema der Theologie der Sakramente. Vom 29. Januar bis 5. Februar 2018 behandelte die Kommission am Sitz des Katholikats von Etschmiadzin der Armenisch-Apostolischen Kirche unter der Co-Leitung des koptisch-orthodoxen Metropoliten Bishoy von Damiette und des Präsidenten des Päpstlichen Rates die Sakramente der Busse, der Krankensalbung und der Weihe. In der Diskussion konnte ein weitgehender Konsens in der jeweils zugrundeliegenden Sakramententheologie festgestellt werden, auch wenn verschiedene Formen der damit verbundenen Praxis der Feier der Sakramente vorliegen. Eine weitere Versammlung fand vom 28. Januar bis 1. Februar 2019 in Rom statt, bei der das Sakrament der Ehe im Mittelpunkt stand. Dabei handelt es sich um ein Thema, bei dem in der Tradition recht unterschiedliche Theologien und Praxen in den Kirchen im Osten und Westen bestanden, bei denen aber auch eine weitgehende gemeinsame Sicht erarbeitet werden konnte. An dieser Versammlung wurde auf orientalisch-orthodoxer Seite als Nachfolger von Metropolit Bishoy von Damiette, der seit Beginn Co-Vorsitzender der Kommission gewesen und im Jahre 2018 verstorben ist, als neuer Co-Präsident Bischof Kyrillos, koptisch-orthodoxer Weihbischof der Diözese Los Angelos in Kalifornien gewählt. Die Kommission hofft, bei der nächsten Vollversammlung ein Konsensdokument über Theologie und Pastoral der Sakramente beraten und abschliessen zu können.

Seit dem Jahre 1989 führt die Katholische Kirche zwei bilaterale Dialoge mit den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen in Kerala im südlichen Indien, wobei an diesen Dialogen auf katholischer Seite Angehörige des syrisch-malabarischen, des syrisch-malankarischen und des lateinischen Ritus teilnehmen. Die aktuellen Dialogthemen sind Kirchengeschichte, Ekklesiologie und gemeinsames Zeugnis. Der Dialog mit der Syrisch-Orthodoxen Malankarischen Kirche beschäftigt sich zudem mit einem gemeinsamen Projekt über die Pastoral von konfessionsverschiedenen Eheschliessungen in der Folge einer bereits im Jahre 1994 abgeschlossenen Vereinbarung zu dieser pastoralen Frage. Im Dialog mit der Orthodox-Syrischen Malankarischen Kirche  werden verschiedene praktische Projekte behandelt wie die Veröffentlichung von Quellen zur Geschichte der Christen im südlichen Indien, eine gemeinsame Sammlung von Kirchenväterlesungen für jeden Tag im Jahr und Richtlinien für die pastorale Praxis.

Einen weiteren wichtigen bilateralen Dialog führt die Katholische Kirche mit der Assyrischen Kirche des Ostens, die nicht zur Kirchenfamilie der Orientalisch-Orthodoxen Kirchen gezählt wird. Dieser Dialog, der bereits auf die Gemeinsame Christologische Erklärung zwischen Papst Johannes Paul II. und dem Katholikos Patriarch Mar Dinkha IV. aus dem Jahre 1994 zurückblicken kann, hat im Jahre 2017 eine „Gemeinsame Erklärung über das sakramentale Leben“ veröffentlicht. Die sich anschliessende neue Dialogphase unter der Leitung von Mons. Johan Bonny, Bischof von Antwerpen, auf katholischer Seite und von Bischof Mar Awa Royel von Kalifornien auf der Seite der Assyrischen Kirche des Ostens beschäftigt sich seit dem Jahre 2018 mit den Wesenseigenschaften der Kirche im Blick auf das biblische, patristische und liturgische Erbe der Kirche im Osten.

Neben der theologischen Arbeit in den Gemischten Kommissionen wurden auch im Jahre 2018 die gegenseitigen Beziehungen der Katholischen Kirche mit den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen durch verschiedene ökumenische Begegnungen und gegenseitige Gastfreundschaft vertieft und gefördert. Zu denken ist vor allem an das grosse ökumenische Treffen zu Reflexion und Gebet für den Nahen Osten am 7. Juli 2018 in Bari, zu dem Papst Franziskus die Orthodoxen und Orientalisch-Orthodoxen Kirchen in dieser Region eingeladen hat. Von oríentalisch-orthodoxer Seite nahmen an diesem Treffen verschiedene Oberhäupter dieser Kirchen teil, nämlich Papst Tawadros II. von der Koptisch-Orthodoxen Kirche, der Armenisch-Apostolische Katholikos von Kilikien, Aram I., der Syrisch-Orthodoxe Patriarch Ignatius Aphrem II. und auch der Assyrische Katholikos Patriarch Mar Gewargis III. Der gemeinsame Einsatz im Gebet und im solidarischen Nachdenken über den Frieden hat die ökumenische Gemeinschaft zwischen Katholiken und den anderen Christen im Nahen und Mittleren Osten weiter vertieft. Alle Teilnehmer haben ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass solche ökumenische Begegnungen auch in Zukunft stattfinden werden.

Darüber hinaus verdienen weitere ökumenische Begegnungen eine besondere Erwähnung. Der oberste Patriarch und Katholikos aller Armenier, seine Heiligkeit Karekin II., und der Katholikos des Grossen Hauses von Kiliken, seine Heiligkeit Aram I., begegneten am 5. April 2018 Papst Franziskus anlässlich der Segnung einer Statue des heiligen Gregor von Narek im Vatikan, an der auch der Armenisch-Katholische Patriarch Krikor Bedros XX. teilnahm. Der heilige Gregor von Narek lebte im zwölften Jahrhundert in Armenien, er wurde im Jahre 2001 in das Römische Martyrologium aufgenommen und im Jahre 2015 von Papst Franziskus zum Kirchenlehrer als herausragender Zeuge für die Einheit von Glauben und Kirche erhoben. Am 24. Oktober 2018 besuchte Patriarch Karekin II. Papst Franziskus nochmals, und zwar im Rahmen einer Pastoralreise durch Italien. Er war begleitet von Erzbischof Khajag Barsamian, den der Patriarch nach Rom gesandt hat, um die Beziehungen zur Katholischen Kirche zu fördern.

Am 9. November fand ein weiterer bedeutender ökumenischer Besuch in Rom durch das Kirchenoberhaupt der Assyrischen Kirche des Ostens, Katholikos Patriarch Mar Gewargis III. statt. Nach einem gemeinsamen Gebet mit Papst Franziskus um den Frieden unterzeichneten beide Kirchenführer eine wichtige „Gemeinsame Erklärung“ über die Situation und die unverzichtbare Bedeutung der Christen im Mittleren Orient, wobei in besonderer Weise der unschätzbare Wert des Blutzeugnisses auf dem gemeinsamen ökumenischen Weg gerade in der heutigen Zeit hervorgehoben wird.

 

b) Die Orthodoxen Kirchen

Das ökumenische Gespräch in der Gemischten Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen und der Orthodoxen Kirche bewegt sich auf der einen Seite auf der Ebene des theologischen Diskurses und wird auf der anderen Seite von der kirchlichen Lebenswirklichkeit in den verschiedenen Orthodoxen Patriarchaten und autokephalen Kirchen und von ihren Beziehungen zur Katholischen Kirche geprägt. Auch im Jahre 2018 wurden die katholisch-orthodoxen Beziehungen durch zahlreiche kirchliche Begegnungen und Ereignisse gefördert. An erster Stelle sei nochmals an das Treffen zum Friedensgebet für den Nahen Osten am 7. Juli 2018 in Bari erinnert, an dem auf Einladung von Papst Franziskus zusammen mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., der Griechisch-Orthodoxe Patriarch von Alexandrien, Theodoros II., und Vertreter des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats von Jerusalem, des Russisch-Orthodoxen Patriarchats von Moskau und der Orthodoxen Kirche von Zypern teilnahmen.

Darüber hinaus kamen die freundschaftlichen und guten kirchlichen Beziehungen auch durch persönliche Begegnungen mit Papst Franziskus zum Ausdruck, wie bei den Besuchen des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. am 23. bis 26. Mai 2018 und des Metropoliten der tschechischen Lande und der Slowakei Ratislav am 9.-12. Mai 2018 im Vatikan. Zudem fanden wieder die traditionellen alljährlichen gegenseitigen Besuche von Delegationen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Heiligen Stuhl anlässlich der Hochfeste der heiligen Patrone statt, der heiligen Peter und Paul am 29. Juni in Rom und des heiligen Andreas am 30. November in Konstantinopel. Dem Gedenken an die historisch zu nennende Begegnung zwischen Papst Franziskus und dem Russisch-Orthodoxen Patriarchen Kyrill war am 12. Februar 2018 eine Begegnung im Erzbischöflichen Palais in Wien gewidmet, während der der Situation der Christen im Nahen Osten eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Schliesslich sei erwähnt, dass auch zahlreiche andere Zusammenkünfte und Veranstaltungen auf der Ebene der kulturellen Zusammenarbeit und des Studentenaustausches sowohl mit dem Patriarchat von Moskau als auch mit der Orthodoxen Kirche von Griechenland stattfanden.

In der zweiten Hälfte des Jahres stellten die tiefliegenden Spannungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel und dem Russisch-Orthodoxen Patriarchat von Moskau zum Problem der Orthodoxen Kirche in der Ukraine eine besondere Herausforderung für den ökumenischen Dialog dar.[4] Da es sich um eine innerorthodoxe Auseinandersetzung handelt, nimmt die Katholische Kirche eine neutrale Haltung ein. Neutral bedeutet jedoch keineswegs indifferent; vielmehr gilt auch hier die ökumenische Lebensregel, dass dann, wenn ein Glied am Leib Christi leidet, die anderen Glieder mitleiden. In diesem Sinn leiden Katholiken an der schmerzlichen Situation in der Orthodoxie mit und beten für die Wiederherstellung des Friedens und der Einheit. Dies gilt, zumal die innerorthodoxen Auseinandersetzungen über die Frage der Autokephalie der Orthodoxen Kirche in der Ukraine auch grössere negative Auswirkungen auf die Arbeit im Internationalen orthodox-katholischen Dialog haben. Da der Heilige Synod des Patriarchats von Moskau am 14. September 2018 als Reaktion auf die Ernennung von zwei Exarchen für die Ukraine durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel unter anderen Massnahmen das Verbot der Teilnahme von Vertretern des Patriarchats von Moskau an allen durch einen Bischof des Ökumenischen Patriarchats co-präsidierten Kommissionen beschloss, ist davon auch die Internationale Gemischte Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche betroffen. Bereits an der Versammlung des Koordinationskomitees der Gemischten Internationalen Kommission, das vom 13. bis 19. November 2018 im ökumenischen Kloster Bose bei Turin unter dem Vorsitz von Erzbischof Job von Telmessos als Vertreter des Ökumenischen Patriarchats und des Präsidenten des Päpstlichen Rates stattfand, nahm kein Vertreter des Patriarchats von Moskau mehr teil.

Dabei ist daran zu erinnern, dass es nicht das erste Mal war, dass Russisch-Orthodoxe Vertreter als Reaktion auf Initiativen des Ökumenischen Patriarchats einer Versammlung der Gemischten Internationalen Kommission fernblieben. Eine vergleichbare Situation gab es bereits auf der Vollversammlung der Kommission in Ravenna im Jahre 2007, als die Vertreter des Moskauer Patriarchats ihre Mitarbeit aufgekündigt hatten, da eine Delegation der vom Ökumenischen Patriarchen anerkannten und zum ökumenischen Dialog eingeladenen Orthodoxen Kirche von Estland an der Zusammenkunft teilgenommen hatte. Die anderen orthodoxen Teilnehmer konnten sich dabei auf einen Beschluss im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für das Grosse und Heilige Panorthodoxe Konzil berufen, der festgelegt hat, dass die Abwesenheit einer oder mehrerer Orthodoxen Kirchen nicht die gänzliche Aufhebung des Dialogs bedeutet, so dass die Kommission mit ihrer Dialogarbeit fortfahren konnte. Dies trifft auch jetzt zu, auch wenn es schmerzlich ist, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche am Ökumenischen Dialog nicht beteiligt ist und auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass ihre Absenz diesmal länger als im Jahre 2007 dauern dürfte.

In thematischer Hinsicht besprach das Koordinationskomitee im November 2018 das von einer Subkommission vorbereitete Dokument „Primat und Synodalität im Zweiten Jahrtausend und heute“. Dieses Dokument setzt die Arbeit an der Thematik fort, die während der Vollversammlung der Kommission im italienischen Chieti im Jahre 2016 behandelt und mit dem Dokument „Primat und Synodalität im ersten Jahrtausend. Unterwegs zu einem gemeinsamen Verständnis“ der Öffentlichkeit übergeben wurde. Während den Beratungen wurde stets deutlicher, wie schwierig das Unternehmen ist, eine gemeinsame Lektüre der verschiedenen Entwicklungen in der Lehre und Praxis der Kirche auf katholischer und orthodoxer Seite während des Zweiten Jahrtausends und damit während eines Zeitraums zu erreichen, in dem die Christen im Osten wie im Westen zum überwiegenden Teil getrennt voneinander gelebt haben. Denn, wie bereits früh Ives Congar gezeigt hat, hat eine zunehmende gegenseitige Entfremdung der Christen im Westen und im Osten wesentlich zur späteren Trennung in dem Sinne geführt, dass sich die Christenheit vor allem auseinander gelebt und sich nicht mehr verstanden hat[5]. Im neuen Dokument wird versucht, näher auf die Hintergründe und die Art und Weise des in den verschiedenen Kirchen gelebten Verhältnisses von Primat und Synodalität im Zweiten Jahrtausend einzugehen, indem die geschichtlichen Daten mit theologischen Reflexionen beleuchtet werden. Eine Redaktionsgruppe ist gegenwärtig mit der weiteren theologischen Arbeit an diesem Dokument betraut, so dass die berechtigte Hoffnung besteht, dem Koordinationskomitee bei seiner nächsten Zusammenkunft im November 2019 eine überarbeitete Version vorlegen zu können. Die Internationale Gemischte Kommission kann dabei auch auf die reichen Früchte zurückgreifen, die der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus zu derselben Thematik eingebracht hat.[6]

Auf dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ist das Urteil gewiss nicht übertrieben, dass der katholisch-orthodoxe Dialog zum jetzigen Zeitpunkt eine nicht leichte Phase der Aufarbeitung der Geschichte und des theologischen Hintergrundes der Beziehungen zwischen katholischen und orthodoxen Christen durchläuft. Hinzu kommt, dass sich die Erfolgsaussichten auf dadurch verbesserte Beziehungen und eine grössere ökumenische Gemeinsamkeit nur schwer voraussagen lassen. Auf jeden Fall aber wird es darum gehen müssen, die Früchte des ökumenischen Dialogs auf einem gemeinsamen Weg des Lebens, des Gebetes und des Handelns umzusetzen.

 

3. Der Dialog mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Westens

a) Die Anglikanische Gemeinschaft

„Walking Together on the Way: Learning to be Church – Local, Regional, Universal“: so lautet der Titel des neuen Dialogdokumentes der Anglikanisch / Römisch-katholischen Internationalen Kommission (ARCIC), das im Juli 2018 veröffentlicht wurde. Seit ihrer letzten Publikation „Mary: Grace and Hope in Christ“ im Jahre 2005 beschäftigte sich die Dialogkommission im Verlauf der nunmehr abgeschlossenen vierten Phase ihrer Gespräche mit Fragen der Ethik und der kirchlichen Lehre, in besonderer Weise was das Verhältnis zwischen dem ortskirchlichen Lehramt des Bischofs und dem Lehramt auf der universalen Ebene der Kirche, beziehungsweise dem Lehramt auf der Ebene einer weltweiten Gemeinschaft von Kirchen wie bei der Anglikanischen Weltgemeinschaft betrifft. Ausgehend von der „Gemeinsamen Erklärung“ zwischen Papst Benedikt XVI. und dem damaligen Erzbischof von Canterbury Rowan Williams im Jahre 2006 wählte die Kommission als Schwerpunkte ihrer Arbeit die Themen „Kirche als Gemeinschaft vor Ort und auf der universalen Ebene“ und „Rechte Lehre im ethischen Bereich“. In einer weiteren „Gemeinsamen Erklärung“ im Jahre 2016 hatten Papst Franziskus und der gegenwärtige Erzbischof von Canterbury, Justin Welby festgehalten, dass den drängenden kirchentrennenden Fragen der Ordination von Frauen zu Priesterinnen und Bischöfinnen und der menschlichen Sexualität die Frage der Ausübung von Autorität in der Kirche zugrunde liegt, die zuerst angegangen werden muss.

Das neue Dialogdokument beschäftigt sich zunächst mit der Frage der lokalen und universalen Dimension der Kirche, und zwar gemäss dem Befund, wie er in der Heiligen Schrift und in der kirchlichen Tradition vorliegt. Denn beide Bereiche erweisen sich als für das Kirchesein unverzichtbar und haben dabei ihre vielfältigen Ausdrucksformen gefunden. Eine bleibende Aufgabe wird dabei darin gesehen, den Gefahren einer Überzentralisierung des kirchlichen Lebens auf der einen Seite und der Schädigung der Bande der weltweiten kirchlichen Gemeinschaft auf der anderen Seite entgegenzuwirken. Es wird ferner hervorgehoben, dass am dreifachen Amt Jesu Christi als Prophet, Priester und König sowohl alle Gläubigen aufgrund ihrer Taufe als auch die kirchlichen Amtsträger aufgrund ihrer Weihe Anteil und spezifische Bestimmung erhalten. In diesem Zusammenhang spricht das Dokument eigens von einer Unfehlbarkeit („indefectibility“) des Glaubenssinns der Gläubigen („sensus fidei fidelium“). Ein besonderes Gewicht legt der Text zudem auf die Methode des „Receptive Ecumenism“, dessen elementares Anliegen im „Austausch der Gaben“ besteht, wie sie bereits Papst Johannes Paul II. als ökumenischen Weg namhaft gemacht hat[7]. Demnach ist die erste wichtige Frage im ökumenischen Dialog, was die ökumenischen Partner einander schenken können, statt sich sofort zu fragen, was sie voneinander einfordern möchten. In dieser Sinnrichtung sind auch in der dezentralen Gliederung der Anglikanischen Gemeinschaft in der Gestalt von Provinzen wertvolle Anregungen für Verständnis und Praxis der Kirche als Gemeinschaft zu finden.  Statt bereits fertige Antworten zu geben, soll das Augenmerk zudem stärker auf dem Prozesscharakter der Entscheidungsfindung bezüglich Inhalte und Fragestellungen sowie des Fortschritts im ökumenischen Dialog gelegt werden. Über die weitere Fortsetzung des Internationalen Dialogs hat die Kommission unter dem Vorsitz von Mons. Bernard Longley, Erzbischof von Birmingham, auf katholischer Seite und von Erzbischof Sir David Moxon auf anglikanischer Seite auf ihrer Sitzung vom 13. bis 19. Mai 2018 im ökumenischen Kloster Bose bei Turin weitere Beratungen durchgeführt.

Auch die Internationale Anglikanisch-Katholische Kommission für Einheit und Mission (IARCCUM) setzte ihre Bemühungen in der Unterstützung von verschiedenen anglikanischen und katholischen Projekten für die konkrete ökumenische Zusammenarbeit vor Ort weltweit fort.

 

b) Der Methodistische Weltrat

Die Methodistisch / Römisch-katholische Dialogkommission beriet auf ihrer zweiten Sitzung während ihrer neuen Gesprächsphase vom 12. bis 19. Oktober 2018 in Hong Kong über die theologische Bedeutung der Versöhnung für die Einheit der Christen und beleuchtete das Thema unter verschiedenen Aspekten. Das angestrebte Konsensdokument trägt den Arbeitstitel: „God in Christ reconciling – Versöhnung mit Gott in Christus“, und es soll bis zum Jahre 2021 abgeschlossen sein.

 

c) Der Lutherische Weltbund

Der Dialog mit dem Lutherischen Weltbund ist der erste Dialog, den die Katholische Kirche unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils begonnen und der sich in den vergangenen Jahrzehnten als sehr fruchtbar erwiesen hat. Die Lutherische / Römisch-katholische Kommission für die Einheit befindet sich gegenwärtig in der fünften Dialogphase und steht nunmehr kurz vor ihrem Abschluss. Sie hat sich intensiv mit dem Thema „Taufe und wachsende Kirchengemeinschaft“ beschäftigt und beabsichtigt, zu diesem Fragenkomplex in der ersten Jahreshälfte 2019 ein Studiendokument vorzulegen.

In den nächsten Jahren wird sich der lutherisch-katholische Dialog auf die Fortführung der Bearbeitung der Themen „Kirche, Eucharistie und Amt“ konzentrieren, und zwar unter Einbezug von weiteren diesbezüglich erarbeiteten internationalen Dialogergebnissen. Diese Themenstellung ist als Weiterbearbeitung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ aus dem Jahre 1999 zu verstehen, in der in Artikel 43 festgehalten ist, dass es noch „Fragen von unterschiedlichem Gewicht“ gibt. „die weiterer Klärung bedürfen: sie betreffen unter anderem das Verhältnis von Wort Gottes und kirchlicher Lehre, sowie die Lehre von der Kirche, von der Autorität in ihr, von ihrer Einheit, vom Amt und von den Sakramenten, schliesslich von der Beziehung zwischen Rechtfertigung und Sozialethik.“ Wenn es gelingen könnte, bei den wichtigen Themen von Kirche, Eucharistie und Amt einen tieferen Konsens zu erzielen, wäre gewiss ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur sichtbaren Kirchengemeinschaft getan.[8] Es darf deshalb dankbar festgehalten werden, dass regionale Dialoge bereits diesbezüglich hilfreiche Dokumente vorgelegt haben. So hat der Lutherisch / Katholische Dialog in den Vereinigten Staaten von Amerika ihre „Declaration on the way: Church, Eucharist and Ministry“ veröffentlicht[9].

Auch die Lutherisch-Katholische Kommission in Finnland hat unlängst das Ergebnis ihres ökumenischen Dialogs unter dem Titel „Communion in Growth. Declaration on Church, Eucharist and Ministry“ vorgelegt[10]. Dieses Dokument hat eine ökumenische Delegation aus Finnland, die seit Jahrzehnten alle Jahre anlässlich des Festes des heiligen Henrik, des bedeutenden Glaubensboten dieses Landes, nach Rom pilgert, unter der Leitung des damaligen Lutherischen Bischofs von Espoo, Tapio Luoma, und des katholischen Bischofs von Helsinki, Mons. Teemu Sippo, Papst Franziskus in der Privataudienz am 25. Januar 2018 überreicht. Es ist zu hoffen, dass die in diesem Dokument enthaltenen weitgehenden Übereinstimmungen im sakramentalen Verständnis von Kirche und Ordination von den Dialogpartnern weiter in das theologische Gespräch mit den anderen Mitgliedkirchen des Lutherischen Weltbundes eingebracht werden können. Diesem Anliegen hat sich ein erstes Internationales Symposium im „Centro pro Unione“ in Rom anlässlich des Besuchs der ökumenischen Delegation aus Finnland am 23. Januar 2018 gewidmet.

Ohne die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ wäre gewiss ein gemeinsames Reformationsgedanken nicht möglich gewesen, wie es von der Lutherisch / Römisch-katholischen Kommission für die Einheit mit ihrem Bericht „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ vorbereitet worden und wie es als Auftakt zum Reformationsgedenkjahr am 31. Oktober 2016 in der evangelisch-lutherischen Kathedrale im schwedischen Lund im gemeinsamen Gottesdienst, präsidiert von Papst Franziskus und dem damaligen Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Jounan, zusammen mit Vertretern der weltweiten Ökumene gefeiert worden ist. In diesem Zusammenhang darf dankbar festgestellt werden, dass dieses historische Ereignis auch dazu geführt hat, dass sich die beiden christlichen Gemeinden in Lund noch näher aufeinander zu bewegt haben. Da die Römisch-katholische St. Thomaskirche wegen Renovierungsarbeiten vorübergehend geschlossen ist, werden die Pforten der evangelisch-lutherischen Kathedrale am Sonntag für die Feier der katholischen Messe geöffnet. Die evangelische Gemeinde sieht darin nicht nur die Lösung eines praktischen Problems, sondern sie interpretiert diese ökumenische Zusammenarbeit auch als eine willkommene Gelegenheit, das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ in die konkrete Tat umzusetzen, wie die Lutherische Gemeinde in Lund hervorhebt: „Das Treffen, bei dem Bischof Munib Jounan als Präsident des Lutherischen Weltbundes und Papst Franziskus eine gemeinsame Erklärung für weitere ökumenische Zusammenarbeit unterschrieben haben, hat so viele Menschen berührt und wir freuen uns, dass es kein Ereignis der Vergangenheit war, sondern dass es eine echte Kontinuität gibt, die unsere Beziehungen stärkt.“

Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass bedeutende ökumenische Ereignisse weiterwirken und ins konkrete Leben des christlichen Alltags übersetzt werden. Dies gilt freilich nicht nur mit Blick auf den hohen Norden Europas, sondern auch in zahlreichen anderen Erdteilen haben sich die ökumenischen Beziehungen in erfreulicher Weise weiterentwickelt. So hat sich beispielsweise Papst Franziskus bei seinem Apostolischen Besuch in den Baltischen Staaten im September 2018 von der dort gelebten Ökumene sehr beeindruckt gezeigt, als er vom gemeinsamen Gebet und der geschwisterlichen Begegnung berührt sagte: „Was für eine lebendige, echte, gewachsene und reife Ökumene habe ich doch hier angetroffen!“ Unbeschadet von schwierigen Erfahrungen, die es im ökumenischen Miteinander auch immer wieder gibt, verdienen solche Beispiele einer aufblühenden ökumenischen Gemeinschaft besondere Erwähnung.

Das Vorankommen ökumenischer Gemeinschaft setzt gute freundschaftliche Beziehungen voraus. Solche bilateralen Beziehungen des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen zum Lutherischen Weltbund sind auch deutlich geworden bei der Verabschiedung des bisherigen Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes, von Landesbischof Gerhard Ulrich von der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche, und der feierlichen Einführung des neuen Vorsitzenden, von Landesbischof Otfried July von der Landeskirche Württemberg, am 3. Dezember 2018 in Hannover. An dieser Feier hat seitens des Päpstlichen Rates der Sekretär, Bischof Brian Farrell, teilgenommen, um dem scheidenden Vorsitzenden für die wichtigen Beiträge der Lutheraner in Deutschland und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zu danken, die sie in den Internationalen Lutherisch-Katholischen Dialog einbringen.

 

d) Ökumenische Gemeinschaft in der Rechtfertigungslehre

In den ökumenischen Dialogen zwischen der Katholischen Kirche und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nimmt die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die am 31. Oktober 1999 in Augsburg von der Katholischen Kirche und den Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes unterschrieben worden ist, einen besonderen Stellenwert ein, und zwar aus verschiedenen Gründen. Man darf es anlässlich des zwanzigsten Jubiläums der Unterzeichnung dieser Gemeinsamen Erklärung als ökumenischen Meilenstein würdigen, dass bei der wohl zentralsten Frage, die im 16. Jahrhundert zur Reformation und anschliessend zur Kirchenspaltung geführt hat, ein weitgehender Konsens erzielt werden konnte. Diese Erklärung ist zudem das bis heute einzige ökumenische Dokument, das in einer kirchenoffiziellen Weise von den ökumenischen Partnern unterschrieben und damit von den am Dialog beteiligten Kirchen als Lehrinhalt angenommen worden ist. Ein weiterer wichtiger Fortschritt der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist methodologischer Art. Die inzwischen in der Ökumene weithin übernommene Methode des „Differenzierten Konsenses“ hängt eng mit der ihr zugrunde liegenden Konzeption der ökumenischen Einheit zusammen. Da Einheit keine Uniformität bedeuten kann, darf auch der Konsens, der die Einheit ermöglicht, ihr nicht widersprechen. Dies bedeutet, dass der erreichte Konsens die bleibenden legitimen Unterschiede als nicht mehr trennende, sondern versöhnte Verschiedenheiten erkennt und anerkennt. In diesem Sinne wird in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre deutlich, dass es einen Konsens in den Grundfragen dieser Lehre gibt und dass die gleiche Grundwahrheit von den verschiedenen Partnern in verschiedener Weise ausgesagt werden kann. Um dem Missverständnis zu wehren, dass mit einem „Differenzierten Konsens“ bereits ein voller Konsens erreicht wäre, und um den Prozesscharakter der ökumenische Vertiefung des bisher erreichten Konsenses zu betonen, spricht man heute adäquater von einem „Differenzierenden Konsens“.

Diese Faktoren haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in den vergangenen zwanzig Jahren in der Ökumene eine echte Erfolgsgeschichte ermöglichen konnte. Während sich vor und während der Unterzeichnung und auch noch nach diesem Ereignis von weitreichender internationaler Bedeutung und mit ökumenischer Signalwirkung zahlreiche kritische Stimmen und Misstöne – vor allem in Deutschland - haben vernehmen lassen, haben sich in der Zwischenzeit alle grossen historischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Westens diesem Konsens in Grundfragen der Rechtfertigungslehre angeschlossen. Die Gemeinsame Erklärung wurde vom Weltrat der Methodisten auf seiner Vollversammlung in Seoul in Südkorea im Jahre 2006, und vom Weltrat der Reformierten Kirchen in der Lutherstadt Wittenberg im Jahre 2017 unterzeichnet. Ebenfalls im Verlauf des Reformationsgedenkjahres hat der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, im Namen der Anglikanischen Gemeinschaft  im Rahmen eines feierlichen ökumenischen Gottesdienstes in der Westminster Abbey in London seine Zustimmung zur Gemeinsamen Erklärung gegeben.

Die im Jahre 1999 vom Lutherischen Weltbund und vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen unterschriebene Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre hat sich somit von einer bilateralen zu einem multilateralen Dokument mit inzwischen fünf unterzeichnenden ökumenischen Partnern entwickelt. Diese erfreuliche Tatsache hat die fünf Partner veranlasst, sich gegenseitig zu begegnen und zu fragen, was diese Gemeinschaft in der Rechtfertigungslehre bedeutet. Auf Einladung und mit grosszügiger Gastfreundschaft der Katholischen University of Notre Dame in Indiana in den USA haben sich Repräsentanten der genannten fünf christlichen Gemeinschaften vom 26. bis 28. März 2019 getroffen und haben darüber diskutiert, was sie jetzt gemeinsam bekennen, was sie gemeinsam zu tun wünschen und worin die nächsten Schritte bestehen. Es ist vor allem in Aussicht genommen worden, dass sich ein Steering Committee jährlich trifft und in den nächsten drei Jahren eine weitere Zusammenkunft stattfinden soll. Es bleibt zu hoffen, dass der bei der „Notre Dame Consultation“ verheissungsvoll verwirklichte Beginn einer intensiven Zusammenarbeit gute Früchte bringen wird.

 

e) Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa

Eine analoge Entwicklung zeichnet sich auch auf der regionalen Ebene Europas ab und veranlasst den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen seine bisherigen Dialogkriterien auszuweiten. Denn bisher hat er bilaterale Dialoge stets auf der universalen Ebene, vor allem mit den konfessionellen Weltbünden geführt. Da im Weltprotestantismus nur marginale Tendenzen zu mehr Einheit untereinander, sondern grosse Fragmentierungen festzustellen sind, ist jede Entwicklung zu begrüssen und zu fördern, die zu einer grösseren Gemeinschaft unter den Protestanten führt. Dies ist der Fall in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), der lutherische, reformierte, unierte und methodische Gemeinschaften angehören. Mit dieser in der Leuenberger Konkordie begründeten Kirchengemeinschaft hat der Päpstliche Rat nun einen multilateralen Dialog auf der regionalen Ebene aufgenommen. Diese Entscheidung hängt auch damit zusammen, dass sich die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa mit ihrer Studie „Die Kirche Jesu Christi“ im Jahre 1994 zum ersten Mal seit der Reformation auf ein gemeinsames Dokument über die Kirche einigen konnte, und zwar als Beitrag zum ökumenischen Dialog über die Einheit.

Im Sinne eines ersten Schrittes wurde zwischen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen eine Konsultationsreihe zu Fragen der Ekklesiologie durchgeführt. Deren Bericht, der inzwischen veröffentlicht ist[11], hat gezeigt, dass bei den Themen von „Kirche und Kirchengemeinschaft“ grössere Gemeinsamkeiten, als sie bisher wahrgenommen wurden, zu bestehen scheinen. Der Bericht wurde von der Vollversammlung der GEKE vom 13. bis 18. September 2018 in Basel angenommen. Anschliessend wurde in einem feierlichen Gottesdienst im Basler Münster vom geschäftsführenden Präsidenten der GEKE, Pfarrer Gottfried Locher, und dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen die Aufnahme eines offiziellen Dialogs beschlossen, um die bisher aufgezeigten Übereinstimmungen zu vertiefen und auf ihrer Grundlage zu weiteren Annäherungen zu kommen. Den Unterzeichnungspartnern ist es dabei wichtig, das weitere Vorgehen frühzeitig mit den konfessionellen Weltbünden zu koordinieren. Die Aufnahme eines solchen multilateralen ökumenischen Dialogs auf der regionalen Ebene erscheint dem Päpstlichen Rat dann als sinnvoll, wenn vorbereitende Gespräche und Sondierungen in der Form von Lehrgesprächen möglich sind und zu einem konkreten Konsens in Lehrfragen geführt haben. Nach der bisherigen Erfahrung trifft dies bei der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen zu, wobei man freilich davon ausgehen muss, dass dieser ökumenische Dialog auch eine intensive Verständigung zwischen den verschiedenen reformatorischen Denominationen einschliessen muss.

 

f) Der Baptistische Weltbund

In der dritten Phase der Internationalen Gespräche zwischen dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und dem Baptischen Weltbund fand vom 10. bis 16. Dezember 2018 in Rom unter dem Vorsitz von Mons. Arthur Serratelli, Bischof von Peterson, New Jersey, auf katholischer Seite und Reverend Dr. Frank Rees auf baptischer Seite das zweite Treffen mit dem Thema „Context of Common Witness“ statt, das die Möglichkeit und Notwendigkeit eines gemeinsamen Glaubenszeugnisses in den Blick nahm. In der heutigen Welt, die weithin geprägt ist von Globalisierung und Pluralisierung, Säkularismus und einer wachsenden Zahl von religiös indifferenten Menschen behandeln Katholiken und Baptisten in der gegenwärtigen Dialogphase das übergeordnete Thema „Die Dynamik des Evangeliums und das Zeugnis der Kirche“.

 

g) Disciples of Christ und Pfingstler

Während der fünften Phase des Internationalen Dialogs zwischen dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und den Disciples of Christ fand vom 23. bis 27. Juni 2018 in Green Bay, Wisconsin die sechste abschliessende Konsultation statt, bei der das Konsensdokument mit dem Titel „Christians Formed and Transformed by the Eucharist“ abgeschlossen werden konnte. Da in diesem Dokument vor allem die Liturgie der Eucharistie, nicht aber die Frage nach dem Vorsitz bei der Feier der Eucharistie behandelt wird, ist es angezeigt, in den kommenden Konsultationen auch die Amtsfrage mit einzubeziehen.

Am Beginn der siebten Phase des Internationalen Dialogs zwischen Katholiken und führenden Vertretern der so genannt klassischen Pfingstlern fand vom 12. bis 18. Juli 2018 in Springfield, Massachusetts das erste Treffen statt, bei dem der wichtige Themenkomplex „Lex orandi – Lex credendi“ beraten wurde.

 

4. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK)

Wiewohl die Katholische Kirche nicht Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen ist, gibt es doch eine intensive Zusammenarbeit, die vor allem in der im Jahre 1965 errichteten „Joint Working Group“ verwirklicht wird, und zwar vorwiegend im Blick auf Lehrdialoge, ökumenische Bildung und neue Fragen, die das Zusammenleben in den modernen Gesellschaften betreffen. Vor allem auf dem Gebiet der ökumenischen Bildung gibt es eine fruchtbare Zusammenarbeit, die sich darin zeigt, dass ein katholischer Professor, vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen bezahlt, Mitglied des Ökumenischen Instituts in Bossey ist, das mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen verbunden ist. Seit fünfzig Jahren gibt es auch eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen bei der Vorbereitung und Veröffentlichung der Unterlagen für die Gebetswoche der Einheit der Christen. Katholiken wirken ferner als Berater oder Mitglieder in verschiedenen Arbeitsgruppen und Kommissionen des Ökumenischen Rates der Kirchen mit wie beispielsweise in der Kommission für „World Mission and Evangelism“. Die zweifellos wichtigste Kommission ist „Faith and Order“, bei der die Katholische Kirche Mitglied ist und die Fragen des Apostolischen Glaubens, der Kirchenverfassung und soziale und ethische Fragen behandelt werden, die die Kirchen noch immer trennen. Das in der jüngeren Vergangenheit wichtigste Ergebnis der Arbeit in dieser Kommission ist die Studie „Die Kirche. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision“[12], zu der der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen in diesem Jahr seine eingehende Stellungnahme einreichen wird.

Auf dem Hintergrund dieser reichen Zusammenarbeit versteht man leicht, dass Papst Franziskus die Einladung des Ökumenischen Rats der Kirchen, ihn anlässlich der Feier seines 70. Gründungstages zu besuchen, gerne angenommen hat, um ein Zeichen der dankbaren Anerkennung  des bedeutenden Beitrags  des Ökumenischen Rates der Kirche für die moderne Ökumenische Bewegung zu setzen und auch die langjährige und reiche Zusammenarbeit zwischen der Katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen zu verdanken. Dieser Besuch fand am 21. Juni 2018 in Genf statt, er war nach dem Besuch von Papst Paul VI. im Jahre 1969 und von Papst Johannes Paul II. im Jahre 1984 bereits der dritte Besuch eines Papstes, er war als „Ecumenical Pilgrimage“ gedacht und stand unter dem Leitwort „Walking – Praying – Working together.“ Dieser Besuch darf gewiss zu den historischen Ereignissen in der Welt der Ökumene im Berichtsjahr 2018 gezählt werden.

Sowohl im Ökumenischen Gottesdienst als auch bei der Begegnung mit dem Ökumenischen Weltrat der Kirchen legte Papst Franziskus einen starken Akzent auf die Motive des Wandelns und des Gehens, und er ging vor allem auf die Herausforderungen ein, wie das ökumenische Miteinander dazu helfen könnte, Konflikte und Nöte der Menschen weltweit zu lindern und sich für einen gerechten Frieden einzusetzen. Ferner erinnerte er an die zahllosen leidenden Mitchristen in der heutigen Welt, die uns in aller Deutlichkeit die elementare Bedeutung der „Ökumene des Blutes“ vor Augen stellen. In der Überzeugung, dass die Einheit unter den Christen im Gehen wächst und das gemeinsam auf dem Weg Sein bereits bedeutet, die Einheit zu leben, war es Papst Franziskus in Genf ein besonderes Anliegen zu betonen, dass die verschiedenen Christen und kirchlichen Gemeinschaften gemeinsam auf dem Weg zur Einheit hin unterwegs sind und dass sie dabei miteinander gehen, miteinander beten und miteinander arbeiten: „Das ist unser Königsweg heute“. Mit der gleichen Leidenschaft betonte Papst Franziskus auch, dass er als „Pilger auf der Suche nach Einheit und Frieden“ nach Genf gekommen sei: „Diese Strasse hat ein festes Ziel: die Einheit. Die entgegengesetzte Strasse, jene der Spaltung, führt zu Kriegen und Zerstörungen. Es genügt, auf die Geschichte zu schauen. Der Herr bittet uns, beständig den Weg der Gemeinschaft einzuschlagen, der zum Frieden führt. Die <Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen> (Unitatis redintegratio). Der Herr bittet uns um Einheit; die Welt, zerrissen von zu vielen Spaltungen, die vor allem die Schwächsten treffen, ruft nach Einheit.“[13]

 

5. Globales Christliches Forum

Im Ökumenischen Rat der Kirchen nicht vertreten ist die rapide wachsende Gruppe von evangelikalen, pentekostalen und anderen freikirchlichen Bewegungen, bei denen freilich verschiedene Strömungen der Ökumene ablehnend gegenüber stehen. Als Gesprächsforum mit diesen Bewegungen gründete der Ökumenische Rat der Kirchen auf seiner Vollversammlung vor zwanzig Jahren im Dezember 1998 in Harare, Zimbabwe, das „Global Christian Forum“, das in der Zwischenzeit einen bedeutenden Teil dieser Gruppierungen einbindet. Das Hauptanliegen dieses Forum besteht darin, einen Raum zu schaffen, in dem sich die verschiedenen christlichen Gemeinschaften auf Augenhöhe begegnen und miteinander in engeren Kontakt treten können. Seit seiner Gründung liegt die Hauptlast der Initiativen auf den so genannten vier Säulen des Global Christian Forum, nämlich dem Ökumenischen Rat der Kirchen, der Pentecostal World Fellowship, der Evangelical World Alliance und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. In diesem Forum wird dabei die eine Hälfte der Sitze Evangelikalen, Pentekostalen und Freikirchen und die andere Hälfte den Vertretern der historisch gewachsenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, einschliesslich der Katholischen Kirche, zur Verfügung gestellt. Seitdem ist dieses 50 zu 50% - Modell das allen Zusammenkünften des Forum zugrundeliegende Organisationsprinzip.

Die erste globale Veranstaltung des Forum fand im Jahre 2007 in Kenia unter dem Thema „Our Journey with Jesus Christ the Reconciler“ statt, wobei inhaltliche Grundprinzipien wie der gemeinsame Glaube an den Dreieinen Gott zusammen mit christologischen Grundüberzeugungen festgelegt wurden. Die zweite Weltversammlung des Forum trat im Jahre 2011 in Manado, Indonesien, zum Thema „Life together in Jesus Christ: Empowered by the Holy Spirit“ zusammen, wobei zum ersten Mal auch Vertreter von so genannten „Mega-Churches“ teilnahmen. Die bisher letzte derartige Vollversammlung mit mehreren hundert Teilnehmenden aus zahlreichen Ländern fand im April 2018 in Bogotá, Kolumbien statt und beschäftigte sich mit dem Thema „Let mutual love continue (Hebr 13, 1)“. Ferner wurden in den Jahren zwischen den Vollversammlungen Zusammenkünfte zu speziellen Themen wie Diskriminierung und Märtyrertum von Christen sowie zu den Fragen von Proselytismus und Mission abgehalten.

 

6. Ausblick und Dank

Das Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils „Unitatis redintegratio“ hat ausdrücklich festgehalten, dass die Verpflichtung, die verloren gegangene Einheit wieder zu finden und wiederherzustellen, alle Glieder der Kirche angeht: „Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben wie auch bei theologischen und historischen Untersuchungen.“[14] Damit alle Getauften am ökumenischen Bemühen beteiligt werden können, muss die ökumenische Suche nach Einheit verschiedene Gestalten aufweisen.

Die basalste Gestalt der Wahrnehmung des ökumenischen Anliegens ist der Spirituelle Ökumenismus, den das Konzil als die „Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“ bezeichnet hat[15]. Denn mit dem Gebet um die Einheit bringen wir Christen unsere Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass wir Menschen die Einheit nicht selbst machen und auch nicht über ihre Gestalt und ihren Zeitpunkt verfügen, dass wir sie nur als Geschenk vom Heiligen Geist empfangen können. Der Spirituelle Ökumenismus ist freilich darauf angewiesen, von jener Form begleitet zu werden, die man als Praktischen Ökumenismus bezeichnen kann. Er bedeutet, dass man all das gemeinsam tun soll, was man gemeinsam tun kann, da in der Ökumene die Wege zur Einheit ebenso wichtig sind wie das Ziel. Eine weitere wichtige Gestalt ist der Ökumenismus der Liebe, nämlich die Pflege von geschwisterlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Christen in verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften. Nur im Lebensraum des Dialogs der Liebe ist auch der Ökumenismus der Wahrheit möglich, nämlich die theologische Auseinandersetzung mit den kirchentrennenden Streitfragen, die noch unaufgearbeitet zwischen den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften stehen.

Dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ist in besonderer Weise der theologische Dialog der Wahrheit anvertraut. Um glaubwürdig seinen Beitrag zur Einheit erbringen zu können, muss er die anderen Formen des Ökumenismus voraussetzen, begleiten und fördern. Hier scheint der Grund auf, dass Papst Franziskus die Bedeutung des theologischen Dialogs der Wahrheit immer wieder in Relation zu den anderen Gestalten des Ökumenismus bringt und in diesem Sinn auch relativiert, indem er betont, dass die Einheit der Christen „nicht das Ergebnis raffinierter theologischer Diskussionen“ sein wird, „in denen jeder versucht, den anderen von der Stichhaltigkeit der eigenen Ansichten zu überzeugen“, und dann ironisch hinzufügt: „Der Menschensohn wird wiederkommen und uns noch beim Diskutieren finden“[16]. Auf der anderen Seite aber ist der Dialog der Wahrheit unerlässlich, um dem ökumenischen Ziel der Einheit näher zu kommen. Denn es kann keine Einheit an der Wahrheit vorbei geben. Der theologische Dialog in der Ökumene unterscheidet sich deshalb grundsätzlich von einer politischen Verhandlung, die auf einen Kompromiss abzielt. In der Ökumene geht es dem gegenüber immer um Fragen der Wahrheit, und Wahrheit lässt ihrer Natur gemäss keine Kompromisse zu. In diesem Sinn hat Papst Franziskus zusammen mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in ihrer gemeinsamen Erklärung in Jerusalem im Mai 2014 betont, „dass der theologische Dialog nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Theologie anstrebt, auf dem ein Kompromiss erreicht werden kann“, dass es vielmehr darum geht, „das eigene Verständnis der ganzen Wahrheit, die Christus seiner Kirche geschenkt hat, zu vertiefen – eine Wahrheit, in die wir unaufhörlich weiter eindringen, wenn wir den Eingebungen des Heiligen Geistes folgen“[17].

Dieser hilfreichen Weisung weiss sich der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen seit seiner Gründung durch Papst Johannes XXIII. im Jahre 1960 verpflichtet. Er wird dabei von vielen anderen ökumenischen Institutionen unterstützt. Dies gilt in besonderer Weise vom Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn, von dem Anfragen um Mithilfe vonseiten des Päpstlichen Rates stets bereitwillig und grosszügig im positiven Sinn beantwortet werden. Dem Institut und dem Erzbistum Paderborn, das dieses Institut ideell und finanziell trägt, sei deshalb an dieser Stelle ein Wort des herzlichen Danks gesagt. Denn die Ökumene ist darauf angewiesen, dass alle Kräfte in ökumenischer Gemeinschaft demselben Ziel der sichtbaren Einheit der Christen verpflichtet sind.

 

 

[1]  M. Eckholt, Pentekostalismus. Eine neue „Grundform“ des Christseins. Eine theologische Orientierung zum Verhältnis von Spiritualität und Gesellschaft, in: T. Kessler / A.-P. Rethmann (Hrsg.), Pentekostalismus. Die Pfingstbewegung als Anfrage an Theologie und Kirche = Weltkirche und Mission. Band 1 (Regensburg 2012) 202-225, zit. 202.

[2]  Vgl. K. Koch, Die Verantwortung des Bischofs für die Förderung der Einheit der Christen, in: Catholica 72 (2018) 20-34.

[3]  Vgl. www.christianunity.va

[4]  Vgl. J. Oeldemann, Orthodoxe Kirchen in der Ukraine. Zum Spannungsfeld zwischen Konstantinopel und Moskau, in: Stimmen der Zeit 144 (2019) 279-294.

[5]  Vgl. Y. Congar, Zerstrittene Christenheit. Wo trennten sich Ost und West (Wien 1959).

[6]  Im Dienst an der Gemeinschaft. Das Verhältnis von Primat und Synodalität neu denken. Eine Studie des Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus (Paderborn 2018).

[7]  Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 28.

[8]  Vgl. K. Koch,  Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft. Welche Chance hat eine gemeinsame Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt?, in: Catholica 69 (2015) 77-94.

[9]  Committee on Ecumenical and Interreligious Affairs, United States Conference of Catholic Bishops – Evangelical-Lutheran Church in America, Declaration on the Way. Church, Ministry, and Eucharist (Minneapolis 2015).

[10]  Communion in Growth. Declaration on the Church, Eucharist, and Ministry. A Report from the Lutheran-Catholic Dialogue-Commission for Finland (Helsinki 2017). Dieses Dokument liegt jetzt auch in einer deutschen Übersetzung vor: Wachsende Gemeinschaft. Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt. Bericht der Lutherisch-Katholischen Dialog-Kommission für Finnland (Leipzig – Paderborn 2018).

[11]  Ch. Schad / K. –H. Wiesemann (Hrsg.), Bericht über Kirche und Kirchengemeinschaft. Ergebnis einer Konsultationsreihe im Auftrag der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen (Leipzig – Paderborn 2019).

[12]  Die Kirche. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision. Eine Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (Gütersloh – Paderborn 2014).

[13]  Franziskus; Ansprache beim Ökumenischen Gebet im Ökumenischen Zentrum des ÖRK in Genf am 21. Juni 2018.

[14]  Unitatis redintegratio, Nr. 5.

[15]  Unitatis redintegratio, Nr. 8.

[16]  Franziskus, Homilie in der Vesperfeier am Fest der Bekehrung des Apostels Paulus am 25. Januar 2015.

[17] Gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus bei der Privaten Begegnung in der Apostolischen Delegation in Jerusalem am 25. Mai 2014.