HOMILIE IN DER EUCHARISTIEFEIER MIT DEM SCHÜLERKREIS VON JOSEPH RATZINGER – BENEDIKT XVI. IN CASTEL GANDFOLFO AM FEST VON MARIÄ GEBURT AM 8. SEPTEMBER 2018

 

EIN GEBURTSTAG MIT GROSSER VERHEISSUNG

 

Kurt Kardinal Koch

 

Christliche Reserve gegenüber dem Geburtstag

Die Feier von Geburtstagen spielt im Leben und Zusammenleben der Menschen eine bedeutende Rolle. Das Denken an den Geburtstag eines Familienmitglieds oder eines guten Freundes gilt mit Recht als Tatbeweis von Zuneigung und Treue. Auch im öffentlichen Leben haben Geburtstage eine wichtige Bedeutung. Wir pflegen runde Geburtstage von berühmten Persönlichkeiten im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben öffentlich zu begehen. Von daher wird es erstaunen, dass Geburtstage im christlichen Glauben und im Leben der Kirche kaum eine Rolle spielen, und zwar von allem Anfang an und durchaus im Unterschied zu den Bräuchen in der antiken Welt, in der die Geburtstage der Herrscher und Mächtigen, etwa eines Augustus oder Cäsar, mit einem grossen Aufwand an Festlichkeit und Pomp gefeiert worden sind. Demgegenüber kennt das Christentum keine liturgischen Feiern von Geburtstagen, und zwar selbst bei den Heiligen nicht, deren Feiertage in der Liturgie der Kirche am jeweiligen Todestag, gleichsam am zweiten Geburtstag angesetzt sind.

Worin ist diese deutliche Reserve im christlichen Glauben gegenüber der Feier von Geburtstag begründet? Dahinter verbirgt sich keineswegs eine Minderbewertung oder gar manichäische Missachtung des natürlichen Entstehens des menschlichen Lebens. Denn der christliche Glaube versteht den Menschen als gutes Geschöpf des guten Schöpfergottes. Deshalb ist auch für den Christen der Geburtstag ein willkommener Anlass, inne zu halten und dankbar auf das gelebte Leben zurückzublicken. Die christliche Reserve gegenüber der Feier von Geburtstagen hat einen anderen Grund; auf ihn hat Joseph Ratzinger in einer Meditation zum heutigen Fest von Mariä Geburt hingewiesen: „dass es einfach verfrüht sei, den Geburtstag zu feiern, weil zu viel Zweideutigkeit über dem Menschenleben liegt“[1] Der Geburtstag vermag deshalb noch keinen Aufschluss darüber zu geben, ob ein Mensch während seines ganzen Lebens des Tages seiner Geburt froh sein und dankbar gedenken oder ob er eines Tages – wie Jiob – seinen Geburtstag verwünschen wird. Von der Geburt allein kann man noch nicht wissen, ob das Leben eines Menschen wirklich Grund zum Feiern sein wird.

Grund zum Feiern kann ein Menschenleben eigentlich erst im Anblick des Todes sein, in dem sich alle Zweideutigkeit auflöst und wenn es an den Tag kommt, wie es um dieses konkrete Menschenleben wirklich bestellt ist. Damit wird auch der tiefste Grund sichtbar, dass die Kirche seit jeher nicht den natürlichen Geburtstag, sondern den Todestag – und gleichsam als seine Vorwegnahme den Tauftag – als zweiten Geburtstag eines Menschen feiert, genauer die Geburt zum ewigen Leben ohne Zweideutigkeit und Zwiespältigkeit. Denn, um nochmals Joseph Ratzinger das Wort zu geben: „Nur wer im Angesicht des Todes, unter seinem richtenden Ernst, für sein Leben danken kann; nur wessen Leben auch von der anderen Seite des Todes her angenommen werden kann – nur dessen Leben ist feiernswert geworden.“[2]

 

Grosse Ausnahmen von der Regel

Von dieser durchgehenden Regel kennt die Liturgie der Kirche aber signifikante Ausnahmen. Sie feiert die Geburt Jesu Christi an Weihnachten so selbstverständlich, dass es ein Anzeichen von Unglauben oder eines – heute freilich etwas modisch gewordenen – arianischen Kleinglaubens wäre, die Geburt Jesu Christi nicht zu feiern. Denn die Geburt des Gottessohnes kann deshalb ohne jedes Bedenken gefeiert werden, weil über seiner Geburt nicht der geringste Hauch von Zweideutigkeit und Zwiespältigkeit liegt, sondern von allem Anfang an befreiende Eindeutigkeit, wie sie der Erzengel Gabriel in der Begegnung mit Maria verheissen hat: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1, 35). Derjenige, der als Gott Mensch geworden ist und dessen Geburt in der reinsten Liebe Gottes zu uns Menschen begründet ist, kann bereits bei seiner Geburt gefeiert werden. Seine Geburt ist geradezu der Grund, dass auch wir Menschen in unserem Leben etwas zu feiern haben.

Von dieser grossen Ausnahme der Feier der Geburt Jesu Christi her sind noch zwei weitere Ausnahmen zu verstehen. Dies gilt zunächst von der Geburt des Johannes des Täufers. Denn seine heilsgeschichtliche Sendung hat darin bestanden, als Vorläufer Jesu Christi auf seine Geburt hinzuweisen, seine Ankunft in der Welt vorzubereiten und ihr voraus zu gehen. Johannes der Täufer ist geboren worden, um dem kommenden Messias die Fackel des göttlichen Lichts voran zu tragen. Die Geburt Jesu ist insofern der innere Grund für die Geburt des Johannes des Täufers.

Die andere grosse Ausnahme ist die Geburt Mariäs, der Mutter Jesu. Sie ist in der Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen deshalb von grösster Bedeutung, weil ohne sie auch die Geburt Jesu nicht hätte sein können. Die Geburt Mariäs ist gleichsam zum Eintrittstor geworden, durch das Jesus Christus in die Welt hinein getreten ist. Indem Maria dem Sohne Gottes ihren Leib zur Verfügung gestellt hat, ist sie zur Wohnung des Gottessohnes in unserer Welt geworden.

Die Geburt des Johannes des Täufers und die Geburt Mariäs weisen ganz auf die Geburt Jesu Christi voraus. Sie gehören so innerlich und unlösbar mit der Geburt Jesu Christi zusammen, dass es sich nicht eigentlich um drei Ausnahmen von der genannten liturgischen Regel handelt, sondern nur um eine, mit der die anderen mitgefeiert werden. Indem die Geburt des Täufers und die Geburt Mariäs auf die Geburt Jesu Christi hinweisen, bilden sie gleichsam das Triptychon, den dreiteiligen Altar, der im Mittelpunkt des christlichen Lebens steht: Auf der einen Seite befindet sich Johannes der Täufer, der mit seinem ganzen Leben auf Christus hingewiesen hat. Die andere Seite bringt uns Maria nahe, die mit ihrem Sohn Gottes Heil in die Welt gebracht hat. Diese beiden grossen Gestalten des Glaubens zeigen auf die mittlere Tafel hin, auf Jesus Christus, der im Zenit des christlichen Glaubens steht.

 

Maria als Mutter des Glaubens

Der innere Zusammenhang, der zwischen den drei Geburtsfesten besteht, tritt besonders schön zu Tage am Fest der Geburt Mariäs. Denn es richtet unsere ganze Aufmerksamkeit auf die heilsgeschichtliche Sendung Mariäs als Mutter Jesu Christi, worauf der Eröffnungsvers der Heiligen Messe hinweist: „Voll Freude feiern wir das Geburtsfest der Jungfrau Maria, aus ihr ist hervorgegangen die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott.“ Bereits in der liturgischen Ouvertüre der Festmesse wird der elementare Bezug dieses Marienfestes auf Christus, ihren Sohn hervorgehoben. Demselben Ziel dient auch der Stammbaum Jesu, der als Festevangelium ausgewählt worden ist.

Im ersten Zusehen erscheint der Stammbaum Jesu freilich als Davidstammbaum. In diese Richtung weist bereits die Feststellung, dass von Abraham bis David vierzehn Geschlechter verzeichnet sind. Denn die Buchstaben, mit denen man in der hebräischen Sprache die Zahl vierzehn schreibt, sind die gleichen, die das Wort „David“ ergeben. Sieht man allerdings genauer hin, fällt in die Augen, dass in diesem Stammbaum auch fünf Frauen erwähnt werden, nämlich vier Frauen aus der jüdischen Geschichte – Tamar, Rahab, Rut und Betseba -, die gleichsam die fraulichen Knotenpunkte im Stammbaum Jesu bilden, von denen her der Zusammenhang mit der fünften Frau aufleuchtet, nämlich mit Maria. Auf sie führt der Stammbaum bei Matthäus hin und zeigt damit an, dass mit Maria etwas ganz Neues in die Welt eingetreten ist. Dieses Neue wird im Stammbaum Jesu dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die einzelnen Namen stets mit dem Wort „er zeugte“ verbunden sind, während es am Ende des Stammbaumes heisst: „Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Mariens; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wird“ (Mt 1, 16). Indem der Evangelist darauf hinweist, dass Josef zwar der Mann Mariäs gewesen ist, aber Jesus nicht gezeugt hat, bringt er seine Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass mit Maria in der Heilsgeschichte ein neuer Anfang gesetzt ist, und zwar durch ihr Ja des Glaubens.

Am Anfang des Neuen Bundes steht Maria als Mutter der Glaubenden, bei der wir immer wieder in die Schule gehen sollten. Denn Maria ist die exemplarisch Glaubende. Sie hat so gelebt, dass sie für Gott ganz durchsichtig, für Gott bewohnbar und so zur Wohnung Gottes in der Welt geworden ist, und zwar nicht einfach in einem rein äusserlichen Sinn. Maria hat, wie der Heilige Augustinus sensibel betont hat, Jesus dem Herzen nach bereits empfangen, bevor dies dem Leibe nach geschehen konnte, Der Glaube Mariäs ist jener Lebensraum gewesen, in der Gott seinen Zutritt ins Menschsein vollziehen konnte. Dieses „Fiat“ des Glaubens von Maria zu lernen, es in unserem persönlichen Glaubensleben und in der Glaubensgemeinschaft der Kirche immer wieder neu zu buchstabieren und wie Maria zu glauben und zu leben, ist die Einladung des heutigen Festtages. Dann haben wir allen Grund, das Fest der Geburt Mariäs zu feiern, und zwar zusammen mit der Geburt Jesus Christi und von ihr her. Denn nur so feiern wir es richtig.

 

Lesung:        Mich 5, 1-4a
Evangelium: Mt 1, 1-16. 18-23

 

[1]  J. Ratzinger, Gottes Angesicht suchen. Betrachtungen im Kirchenjahr (Meitingen 1978) 44.

 

 

[2]  Ebda.