KOMMENTAR ZUM KATHOLISCH-LUTHERISCHEN STUDIENDOKUMENT
"BAPTISM AND GROWTH IN COMMUNION"*

Prof. Dr. Wolfgang Klausnitzer

 

Anmerkungen

Der offizielle lutherisch-katholische Dialog nicht nur in der Lutheran - Roman Catholic Commission on Unity hatte seit dem Vaticanum II die zwei Hauptthemen Rechtfertigung (als lutherisches Kernthema) und Kirche (als katholisches Anliegen). Die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre am 31. Oktober 1999 in Augsburg (gegen den massiven Einspruch der überwiegenden Mehrheit der deutschsprachigen evangelischen Universitätstheologie) hat einen gewissen Schlusspunkt unter die Behandlung des Rechtfertigungsthemas gesetzt. Damit sind allerdings nicht (wie manchmal der Eindruck vermittelt wird) auch die ekklesiologischen Fragen weitgehend gelöst, sondern die Beschäftigung mit ihnen steht noch aus, wie der Text der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (Anm. 9 und Nr. 43) und auch die weitere Arbeit der Commission on Unity belegen. Nach katholischem Verständnis (vgl. Nr. 18 der Gemeinsamen Erklärung) ist dabei die Rechtfertigungslehre nicht das exklusive Kriterium, um zu ekklesiologischen Ergebnissen zu kommen[1].

Das vorliegende Studiendokument umfasst fünf Kapitel und ein Sondervotum. Die Intention ist offensichtlich, aus der Reflexion auf die gemeinsame Taufe (mit der trinitarischen Formel) ekklesiologische Konsequenzen für Lutheraner und Katholiken zu ziehen. Die Tauftheologie und –praxis anderer christlicher Kirchen ist nicht im Blick. Allerdings könnte zu bedenken sein, dass konkrete Forderungen und Wünsche des Studiendokuments, wenn sie denn umgesetzt würden, selbstverständlich auch Auswirkungen auf andere bilaterale ökumenische Dialoge der Katholischen Kirche, aber auch auf die Einschätzung der Katholischen Kirche durch andere wichtige ökumenische Partner (wie die Orthodoxe Kirchengemeinschaft) haben.

Kap. 1 diskutiert das Zeugnis der Bibel zur Taufe. Kap. 2 beschäftigt sich mit der faktischen Rezeption des biblischen Befundes in der Taufliturgie und –praxis lutherischer und katholischer Gemeinden. Kap. 3 stellt die auf den ersten Blick originelle, aber meiner Ansicht nach nicht genügend begründete These auf, dass auch ekklesiale Gemeinschaften (als Zusammenschluss von Getauften) und nicht nur einzelne getaufte Individuen durch die Taufe „members of the Body of Christ“ seien. Hier sehe ich die Grundschwierigkeit der Studie. Dieser „Body of Christ“ wird mit der Kirche gleichgesetzt (vgl. LG 7). Wenn die Kirche aber in der Tat „eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“, und „in einer nicht unbedeutenden Analogie“ der Inkarnation des göttlichen Logos in eine konkrete menschliche Person (Jesus von Nazaret) „ähnlich“ ist (LG 8,1), dann wird der Mensch, der getauft wird, nicht in eine alle getrennten christlichen Kirchen umfassende (himmlische, transzendente, außerempirische o. ä.) Wirklichkeit eingegliedert, sondern – selbstverständlich analog, aber nach dem gleichen Prinzip der Inkarnation – in eine ganz konkrete, sichtbare Kirche, die sich durch „äußere“ Zeichen und Strukturen definiert. Selbst wenn (platonisch) postuliert werden sollte, dass z. B. eine reine Idee der Kirche (als Orts- oder Universalkirche) – etwa im göttlichen Heilsplan – vor jeder geschichtlichen Verwirklichung und unabhängig von ihr besteht, so ist eine solche Entität uns Menschen (auch nach der Aussage von LG) nur jeweils in ihrer sichtbaren, geschichtlich und gesellschaftlich vermittelten Form zugänglich. Ein Überspringen der existierenden Kirchentrennung durch eine (geradezu monophysitische) „Flucht von der sichtbaren zur unsichtbaren Kirche“ (wie auch immer diese dann vorgestellt wird) hat Karl Barth als den Versuch erklärt, den Skandal bzw. die „Sünde“ der Vielheit der faktischen Kirchen (und der Kirchenspaltung) wegerklären und sie damit kaschieren zu wollen[2]. Aus dem gleichen Grund scheint mir die in dem Studiendokument wiederholt behauptete Einordnung konkreter Kirchen „as members of the Body of Christ“ (wo auch immer dieser „Body of Christ“ real oder geschichtlich verortet werden soll) weder aus den lutherischen Bekenntnisschriften oder den lehramtlichen Aussagen der Katholischen Kirche ableitbar noch theologisch (angesichts der Argumentation des Paulus in 1 Kor; dazu im Folgenden!) plausibel. Kap. 4 vermerkt den Zuwachs an Gemeinschaft (bzw. Gemeinsamkeit) durch die Intensivierung des sakramentalen Lebens (wobei die Frage der unterschiedlichen Zahl der Sakramente in der Katholischen Kirche und in der lutherischen Gemeinschaft nur angedeutet wird) und spricht von dem Wachsen in der „Shared Practice of the Eucharist“ (Nr. 4.3.6). Kap. 5 formuliert „Six Common Commitments“, zu denen u. a. die gegenseitige Anerkennung der beiden Gemeinschaften als „members of the body of Christ“ und die Verpflichtung einer wachsenden „recognition“ als „churches“ (S. 76, Zeile 35f) sowie die Behauptung eines gemeinsamen „basic understanding of the Eucharist“ und deshalb die Verpflichtung „to increase opportunities for Eucharistic sharing“ (S. 76, Zeile 38f) gehören.

 

Im Einzelnen:

Seite 8, Zeile 67f: Durch die Taufe sind Lutheraner und Katholiken „members of the one church of Christ through sacramental incorporation into Christ’s body“. Die „eine“ Kirche des Glaubensbekenntnisses ist aber (leider) real gespalten. Trotzdem ist sie, wie die Apologia Confessionis Augustanae erklärt, keine bloß platonische Idee (Apologia CA VII und VIII, 20: „Neque vero somniamus nos Platonicam civitatem“), da sie „äußerliche Zeichen“ (bzw. Erkennungszeichen) habe. Wie auch immer man das „subsistit“ in LG 8,2 interpretieren will - im Kontext von LG 8,1f behauptet auch die Kirchenkonstitution, dass der „Body of Christ“ nur sichtbar-gesellschaftlich existiert. Die Taufe gliedert (rechtlich und faktisch) in eine konkrete Kirche ein. Die Funktion des (katholischen) Taufpaten ist ja deshalb (nach CIC can. 872-874) die Begleitung (Initiation) des Täuflings in diese konkrete Kirche, so dass ein Nichtkatholik allenfalls Taufzeuge, aber nicht Taufpate sein kann.

Seite 11f, Zeilen 89-94: Der Glaube, von dem dieser Abschnitt spricht, wird in der katholischen Fundamentaltheologie in die zwei Aspekte der „fides qua“ (= Glaubensakt) und „fides quae“ (= Glaubensinhalt) unterschieden. Die „fides qua“ bezieht sich auf die „fides quae“ oder bestreitet sie (im Falle des „impliziten Glaubens“) jedenfalls nicht ausdrücklich. In welche Kirche (als „a community of faith“) (S. 11, Zeile 70) werden die Getauften in der Taufe (die „an expression of faith“ ist) (S. 11, Zeile 91) eingegliedert, wenn sich zwei „faith communities“ (vgl. S. 12, Zeile 93) – wie die Lutheraner und die Katholiken – etwa in ekklesiologischen Fragen von dogmatischem Gewicht wie dem „ius divinum“-Charakter des Petrusdienstes (vgl. die beiden Papstdogmen von 1870) oder der Möglichkeit der Frauenordination (vgl. die Schreiben „Inter insigniores“ von Paul VI. und „Ordinatio sacerdotalis“ Johannes Paul II.) kontradiktorisch voneinander abgrenzen?

Seite 12, Zeile 96-104: Manche frühen Glaubensbekenntnisse der frühen Kirche hatten historisch ihren ursprünglichen Ort in der Taufliturgie. In der Katechumenenunterweisung der Erwachsenentaufe setzt die Taufe die Lehre des Glaubensinhaltes („fides quae“) logisch und zeitlich (vgl. Röm 10,14) voraus.

Seite 12, Zeile 106-123: Der Text setzt „infants“ und „children“ als Synonyma. Kann man wirklich sagen, dass (ältere) „children“ keine „personal sins“ haben können (vgl. S. 12, Zeile 108f)? Wegen der Verteidigung der Kindertaufe gegen die „Täufer“ durch Martin Luther ließe sich vielleicht darauf hinweisen, dass der katholische Gedanke, dass kirchliche Entscheidungen nach Ostern, die keinen ausdrücklichen Anhalt in einem eigenen Wort Jesu haben, trotzdem als geistgeleitet (vgl. Apg 15,28) verbindliches kirchliches Recht schaffen können, dem Reformator nicht fremd ist.

Seite 19, Zeile 422-428: Das Ausgangsproblem des 1. Korintherbriefes ist für Paulus die Existenz verschiedener Parteien (die sich jeweils auf menschliche Theologen und Lehrautoritäten berufen) innerhalb der einen christlichen Gemeinde in Korinth (1 Kor 1-3), die auf diese Weise vergisst, dass ihr einziger zentrierender Grund Christus ist (1 Kor 1,13: „Ist denn Christus zerteilt?“). In der bekannten Stelle 1 Kor 12, 12-27 (noch einmal konzentriert in 1 Kor 12,12-14) verweist Paulus die Getauften auf die notwendige sichtbare Verwirklichung der „elementare(n) Hoffnung, eine menschliche (Hervorhebung W. K.) Sozietät zu finden, die das Leben des einzelnen zusammen mit dem der anderen fördert“ (Thomas Söding), in der „ekklesia“ in Korinth. Das einzelne getaufte Individuum erhält sein Selbstverständnis und seine christliche Würde in einem charismatischen (d. h. von dem Bestreben auf die sichtbare Einung bzw. die auch sichtbare „Auferbauung“ der Gemeinschaft hin geprägten) Wechsel- und Zusammenspiel vieler und vielfältiger, sich gegenseitig tragender Funktionen. Karl Barth war der Ansicht, dass Paulus mit dieser Argumentation der Legitimität einer Entwicklung zu einer Vielzahl von Kirchen nebeneinander schon in der Wurzel widerspricht[3].

Seite 19, Zeile 437-445: Die Paulusschule meint in Kol und in Eph „in einer katholischen Ekklesiologie“ (Jürgen Roloff) nicht eine Ortskirche, sondern die Gesamtkirche. Diese Kirche hat von Christus geschaffene Amtsstrukturen (Eph 4,11f), bemüht sich um die „Einheit im Glauben“ (Eph 4,13; vgl. 4,5), überwindet den Antagonismus von Juden und Heiden (Eph 2,14f) – den schon Paulus durch den Kreuzestod Jesu als überwunden proklamiert hat – und versammelt auf diese Weise die ganze Menschheit (nicht spirituell oder ideell, sondern in einer sichtbaren Form) in Christus (Kol 1,20).

Seite 20, Zeile 455-470, besonders 455f: „Baptism is incorporation into the body of Christ, and the Eucharist is the celebration of this communion in Christ.“ Dieser Satz ist missverständlich, weil auch an dieser Stelle nicht eindeutig ist, was „body of Christ“ konkret bedeuten soll. Wenn mit der Aussage gemeint sein soll, dass ein (heilsindividualistischer) Kommunionempfang für jeden christlich Getauften unterschiedslos und allgemein ohne vorherige Kirchengemeinschaft möglich sein soll, ist er in einem katholischen Verständnis (und wohl auch nach der Intention der Leuenberger Konkordie) falsch. Die Taufe ist in der Tat „a fundamental requirement for participation in the Eucharist“ (Zeile 457), d. h. sie ist eine notwendige Voraussetzung, aber sie ist durchaus nicht hinreichend. Der Text erwähnt Ausschlussgründe in den Paulusbriefen (Zeile 465-470). Ein altkirchlicher, katholischer (noch in UR 8 artikulierter) und orthodoxer Ausschlussgrund ist auch die fehlende Kirchengemeinschaft. In 1 Kor 10,16f kritisiert Paulus (im Sinne des Gesamtduktus von 1 Kor 1-3) eine Eucharistiefeier, die die im Kommunionempfang ausgedrückte Einheit der Vielen nicht in einer sichtbaren und verbindlich gemeinsam handelnden Gemeinschaft nach dem Ende der Messe verifiziert. Belege für die von Paulus inspirierte entsprechende Praxis der frühen Kirche finden sich bei Werner Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin 1954 (vgl. auch Karl Rahner – Heinrich Fries, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit, Freiburg 21985, 139f). Übrigens hat selbst Luther im Marburger Religionsgespräch (1529) eine Abendmahlsgemeinschaft ohne vorherige Kirchengemeinschaft (aufgrund einer gemeinsamen Lehre) ausgeschlossen. Weil dieser von der Eucharistiefeier ausgehende Sozialimpuls in der Gemeinde von Korinth unberücksichtigt bleibt, geschieht dort nach der Meinung des Paulus „keine Feier des Herrenmahls mehr“ (1 Kor 11,20).

Kap. 3 ist für mich, wie oben gesagt, am problematischsten. Wenn die Taufe „a free action“ (S. 11, Zeile 61) und „both personal and ecclesial“ (S. 11, Zeile 66) ist – und „personal“ eine „personal decision of faith, a personal confession of sins, and a personal reception of forgiveness“ meint (S. 11, Zeile 66f) -, im Sinne einer „incorporation into the body of Christ“, in welchem Sinne können dann nicht nur Individuen, sondern auch Kollektive, d. h. „faith communities“, „members of the body of Christ“ sein (S. 41, Zeile 28)? Immer wieder zeigt der Text, dass in der Ökumene in den verschiedenen Kirchen gleiche Wörter unterschiedliche Bedeutungen haben. Die lutherische „local church“ (= die Pfarrgemeinde) und die katholische „local church“ (= die Dözese) sind nicht identisch konstituiert. Das wird in Seite 43, Zeile 101-113, ignoriert (oder vernachlässigt). Beide Ortskirchen seien „a worshipping community in which the Gospel is proclaimed and the sacraments are administered according to the Gospel“ (S. 43, Zeile 104f). Das ist zwar in etwa Confessio Augustana Art. 7. Aber welche Sakramente genau werden jeweils „evangeliumsgemäß“ verwaltet?

Seite 44, Zeile 136-147: Vielleicht hätte den Autoren der Studie auffallen können, dass „Body of Christ“ in einer ekklesiologischen Perspektive im NT ausschließlich (aber unterschiedlich) in drei Texten des Paulus und weiter nur in Kol und Eph (also in der Paulusschule) vorkommt. Dieser Befund ist nicht unerheblich für die ekklesiologische Relevanz des Begriffs. Neben diesem wichtigen und in der Geschichte der westlichen Ekklesiologie (die auch das Studiendokument skizziert) maßgeblichen Begriff („Body of Christ“), der allerdings (so der traditionelle Vorwurf der orthodoxen Theologie an die westliche Ekklesiologie unter Verweis auf die Stellung der Kirche im Glaubensbekenntnis im Kontext der Pneumatologie bzw. der Aussagen zum Heiligen Geist) nicht immer die Gefahr eines gewissen Christozentrismus (vgl. die Titel der beiden Kirchenkonstitutionen der zwei vatikanischen Konzilien) vermeidet, gibt es auch andere biblische Bilder, die jeweils zur Lösung heutiger theologischer Fragen hilfreich sein könnten. Der ebenfalls paulinische Begriff „Volk Gottes“, den LG Kap. 2 neben den Begriff „Leib Christi“ stellt, eröffnet Perspektiven etwa für das Gespräch mit dem Judentum. Im Kontext des 1. Korintherbriefes verwendet Paulus den Begriff „Leib Christi“, um die zerstrittene „ekklesia“ von Korinth auf die Konsequenzen des gemeinsamen Kommunionempfanges für ein gemeinsames gesellschaftliches Zusammenleben (im Sinne von: „Wenn ihr schon vom einen Brot eßt und aus dem einem Kelch trinkt, dann lebt auch als Gemeinschaft so, wie es dieser sakramentale Akt zum Ausdruck gebracht hat und damit fordert“) (1 Kor 10) und auf das Zusammenwirken der vielen Einzelnen in einem gemeinsamen und sichtbaren Verband (1 Ko 12) hinzuweisen. Die Paulusschule (Kol und Eph) erinnert daran, dass Christus nach dem Willen Gottes die gesamte Menschheit (ja den Kosmos) in einer sichtbaren Universalgemeinschaft sammelt. Im Sinne dieses Gedankens der durch Christus vermittelten Einheit (zuerst in der Kirche und dann in der Menschheit) ist der faktische Widerspruch des Menschen zu diesem Plan Gottes in der Spaltung der Kirche Sünde.

Seite 48, Zeile 305-318: Unter Umständen ist es an dieser Stelle hilfreich, an die Hermeneutik lehramtlicher Aussagen zu erinnern, die die Kongregation für die Glaubenslehre in der Erklärung „Mysterium Ecclesiae“ zur katholischen Lehre über die Kirche und ihre Verteidigung gegen einige Irrtümer von heute (15. Februar 1975), Nr. 5, vorgelegt hat. Die Kongregation spricht von Dogmen. Aber das Gesagte gilt auch mutatis mutandis und analog von anderen lehramtlichen Aussagen (z. B. in der Enzyklika „Mystici Corporis“ 1943, aber auch in der Dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“). Traditionelle lehramtliche Entscheide (z. B. zur Kirche als sichtbaren Rechtsgestalt) werden zumal auf Konzilien nicht schlicht verworfen oder beiseitegelegt, sondern allenfalls durch Verweis auf ihren ursprünglichen Kontext und durch vertiefte biblische, patristische und theologiegeschichtliche Forschungen neu kontextualisiert und/oder ergänzt. John Henry Newman hat in diesem Sinn die Papstdogmen des Vaticanum I als ergänzungsbedürftig (aber nicht als falsch) interpretiert und rezipiert, wie dies dann in LG Kap. 3 tatsächlich realisiert wurde. Eine rechtlich bestimmte Konzeption der Kirche hat also immer noch ihr (lehramtliches) Recht.

Seite 48, Zeile 320-322: Nach LG 16 und GS 22 ist es sogar für Angehörige anderer Religionen und selbst Atheisten möglich, „nicht ohne die göttliche Gnade“ – wenn sie „ein rechtes Leben zu führen sich bemühen“ – das ewige Heil zu erlangen. Wenn man die Argumentation des Studiendokuments auf die Spitze treiben wollte, könnte man die Frage stellen, welche Mitgliedsansprüche ihre jeweilige Religion im „body of Christ“ anmelden könnte. Wie bekannt ist, haben einige Theologen (in einem Missverständnis einiger Thesen Karl Rahners) versucht, unter Berufung auf die erwähnten Konzilstexte zur Heilsmöglichkeit von Nichtchristen die Konsequenz zu ziehen, dass die jeweiligen Religionen dieser Menschen (unter Umständen sogar „ordentliche“) „Heilswege“ seien.

Seite 52f, 460-474: In Antwort auf die für ihn unzulängliche Bestimmung der Kennzeichen der Einheit der Kirche und damit ihrer äußerlichen Sichtbarkeit in Confessio Augustana Art. 7 („satis est“) hat Robert Bellarmin drei „vincula“ der kirchlichen Einheit aufgelistet: das „vinculum symbolicum“ (das Glaubensbekenntnis), das „vinculum liturgicum“ (die Verwaltung der Sakramente) und das „vinculum sociale vel hierarchicum“ (die kirchliche Leitung durch das Bischofsamt unter Einschluss des Papstamtes). Diese drei „vincula“ sind nicht zu trennen vom Bischofsamt, d. h. seinen drei „munera“, die in LG Kap. 3 beschrieben werden. Die drei „vincula“ sind rezipiert im Vaticanum II (LG 14,2; UR 2,4), im CIC can. 205 und im Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 815.830). Eine christliche Gemeinschaft, die diese drei „vincula“ besitzt, gilt als Kirche. Andere Gemeinschaften, die diese „Bande“ teilweise oder unvollständig verwirklichen, sind kirchliche Gemeinschaften (vgl. pars pro toto von den Stellungnahmen der Glaubenskongregation: Erklärung „Dominus Iesus“, Kap. 4; Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre der Kirche [2007]).

Nr. 3.5.5 (= Seite 55-57): Die Identifizierung der „wahren“ Kirche Christi durch die Betrachtung der geistgeleiteten („Früchte des Geistes“) bzw. des heiligmäßigen Lebens ihrer Glieder („via empirica“) ist biblisch gut begründet (das Studiendokument verweist exemplarisch auf entsprechende Wortmeldungen im Umfeld des Aposteltreffens in Apg 15) und seit dem 19. Jahrhundert auch apologetisch/fundamentaltheologisch eingesetzt worden. John Hick hat versucht, mit einer adaptierten Form der „via empirica“ die Glaubwürdigkeit der Pluralismushypothese in der Theologie der Religionen zu beweisen. Aber die „via empirica“ ist in der traditionellen Apologetik/Fundamentaltheologie nur ein Weg neben anderen, um die „wahre“ Kirche zu finden.

Seite 65, Zeile 228-234: Die historische Basis für die Aussage „the tensions between Jewish Christians and Gentile communities were much deeper than the controversies between Lutherans and Catholics“ ist sehr schmal. Zunächst ist festzuhalten, dass die ersten Christen allesamt Juden waren. Die Protagonisten der Auseinandersetzung in Antiochia (Gal 2,11-21) und des Aposteltreffens (Apg 15) waren Judenchristen. Der Streitpunkt war die Geltung der Verbindlichkeit der jüdischen Tora und die Heidenmission. Für die Außenstehenden war die christliche Gemeinde in Antiochia eine Gemeinschaft aus Juden und Heiden (Apg 11,26). Trotz der Versuche, des Juden und Apostels Paulus, Juden und Heiden in der einen christlichen (aber auf einem jüdischen Fundament gründenden) Gemeinschaft zusammenzuhalten (Röm 9-11), gelang es in der Folgezeit eben nicht mehr, judenchristliche und später zunehmend exklusiv heidenchristliche Gemeinden aufeinander zu beziehen, wie z. B. die Ketzerliste des Epiphanius von Salamis belegt. Weiter gibt es im NT oder in anderen frühen Quellen sehr wenige Informationen über die demographische Zusammensetzung und die kirchliche Struktur der ersten christlichen Gemeinden, die (verständlich auch angesichts der Situation der Naherwartung der Parusie in der Frühzeit) insgesamt eine „Kirche im Werden“ repräsentieren. Vergleiche mit späteren christlichen Sonderkirchen oder Konfessionen verbieten sich deshalb in der Regel und sind ausgesprochen missverständlich.

 Seite 69, Zeile 414-422, ist gut gemeint, assoziiert aber eine Sichtweise, die eine Realität vortäuscht, die (leider) nicht besteht. Es gibt keine „ökumenische“ (oder bilateral-konfessionelle) Taufe (so wichtig es sein kann, auch durch Predigt oder Symbolhandlungen wie z. B. die Anwesenheit eines Amtsträgers der anderen Kirche die gesamtchristliche Dimension der Taufe ins Bewusstsein zu rufen). Relevant ist CIC can. 111 § 1f.

Seite 71, Zeile 484-487: „Bishops in many countries announce that if everyone who is baptized shares the Catholic Eucharist faith and are able to say 'Amen' to the Eucharistic prayer, then they may licitly receive Holy Communion. Any faithful Christian who approaches the altar properly disposed will not be refused communion.“ Einflussreich geworden ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Christoph Kardinal Schönborn, dass jeder Christ, der in der Lage ist, zum Hochgebet der katholischen Messe (mit den dort explizit oder implizit ausgedrückten Lehrstücken zur Einheit mit Papst und Ortsbischöfen bzw. dem Bischofskollegium, zu einem sakramentalen Priestertum, zum Gebet für die Verstorbenen, zu der Fürbitte der Heiligen usw.) die Zustimmung („Amen“) zu geben, auch den Leib (und das Blut) Christi (ebenfalls mit einem „Amen“) real empfangen kann. Allerdings beinhaltet diese Zustimmung zum Glauben der Katholischen Kirche auch die katholische Glaubensüberzeugung (die das Studiendokument erwähnt: Zeile 480f), dass die eucharistische Communio Ausdruck der kirchlichen Communio ist (und umgekehrt). Josef Freitag (Gemeinsam am Tisch des Herrn?, in: Cath[M] 74 [2020] 81-92) hat das vor kurzem noch einmal umfassend resümiert. Bei allen im Kirchenrecht und in verschiedenen lehramtlichen Schreiben formulierten Ausnahmeregelungen für Einzelne in bestimmten Situationen bleibt doch festzuhalten, dass nach katholischem Verständnis das Ziel der Ökumene die offizielle gemeinsame Feier der Eucharistie ist. Die gemeinsame Eucharistiefeier zwischen Katholiken und Lutheranern setzt deshalb voraus, dass eine Kirchengemeinschaft in der Lehre und in der kirchlichen Struktur besteht.

Seite 78, Zeile 102f: „The body of Christ ist not only a communion of saints but also a communion of ecclesial communities in communion with Christ and with one another.“ Die Bekenntnisformel „communio sanctorum“ (Gemeinschaft der „sancti“, der Heiligen) wurde in der Theologie manchmal auch als Gemeinschaft an den „sancta“ (an den Heilsmitteln) interpretiert. Damit war aber bisher nie gemeint, dass kirchliche (institutionell verfasste) Gemeinschaften Glieder des Leibes Christi (in welcher Bedeutung?) sind. Was soll mit dieser Behauptung gefordert werden? Eine gegenseitige Anerkennung der Kirchen (so wie sie jetzt sind) aufgrund der Taufe ihrer Gläubigen, das Modell der Leuenberger Konkordie oder das Modell der einen Kirche (in der Vielgestalt ihrer Ortskirchen, die aber alle etwa die drei Bellarminschen „vincula“ besitzen)?

Seite 79, Zeilen 150-159: Zunächst einmal ist zu fragen, welchen argumentativen Wert im Studiendokument die Episode von Papst Franziskus in der lutherischen Kirche in Rom haben soll. An Folgendes ist vielleicht zu erinnern:

  • Die Aussagen dieses Gesprächs, das Papst Franziskus hier führt, können sich nicht auf die Unfehlbarkeit des außerordentlichen päpstlichen Lehramtes berufen. Alle Kriterien einer unfehlbaren Aussage fehlen.
  • Papst Franziskus spricht hier als Seelsorger, der die Frage eines evangelischen Ehepartners, konkret der Ehegattin, in einer konfessionsverbindenden Ehe (auf ihre Situation hin) beantwortet.
  • Eine allgemeine Regel (die etwa das Kirchenrecht ändern würde) will und kann er nicht geben.
  • Er verweist die Fragestellerin auf das Gebet (mit Christus), auf biblische Texte (Eph 4 spricht im Kontext des ganzen Briefes implizit von der einen Universalkirche), auf die (geistliche) Unterscheidung der Geister und damit auf ihre Gewissensentscheidung.
  • Eine solche Gewissensentscheidung ist von Paulus (1 Kor 8,7-12; Röm 14,13-23) und auch vom Vaticanum II gedeckt (GS 16). Allerdings hat die katholische Theologie (seit Thomas von Aquin) stets darauf hingewiesen, dass bei aller persönlichen Verbindlichkeit einer konkreten Gewissensentscheidung (conscientia) jeweils auch die moralische Verpflichtung besteht, sich aufgrund der in jedem Menschen grundgelegten Fähigkeit der Unterscheidung von gut und böse (synderesis bzw. synteresis) über die objektiven Fakten (z. B. die katholischen Voraussetzungen und Konsequenzen eines Kommunionempfanges, wie etwa die Deutung eines solchen Handelns in den Augen der katholischen Mitfeiernden der Eucharistie) kundig zu machen.

Seite 82 – zum Sondervotum:

Prof. Washburn weist auf die Hermeneutik lehramtlicher Texte hin, auf die auch die Glaubenskongregation in der Erklärung „Mysterium Ecclesiae“ (Nr. 5) aufmerksam gemacht hat. Die Kontinuität der kirchlichen Lehre hat ebenfalls wiederholt Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zumal in seiner Deutung des Vaticanum II hervorgehoben. Theologische Aussagen und selbst altehrwürdige Theologumena können in der Theologiegeschichte als irrtumsbeladen, obsolet oder wenig hilfreich ausgesondert werden. Konziliare oder von anderen Instanzen des kirchlichen Lehramtes approbierte Lehren haben nach katholischem Verständnis einen bleibenden Wahrheitswert, auch wenn sie vielleicht wegen der Zeitgebundenheit ihrer jeweiligen Sprache oder in einem veränderten Kontext sachgemäß und ihrer Intention nach interpretiert werden müssen. Sie sind deswegen nicht falsch, aber vielleicht einseitig und offen für ein besseres Verständnis und eine größere katholische Wahrheit (vgl. DV 5; 8,3). Wenn in dem Studiendokument jetzt aus der Taufe lutherischer Christen gefolgert wird, dass auch die kirchlichen Gemeinschaften, in denen sie leben, „members of the Body of Christ“ („in the sense that they are simply within or a part of the one Church of Christ“) seien, wäre es die Aufgabe der katholischen Mitwirkenden in dem Studiendokument (wenn sie diese These teilen) zu zeigen, wie eine solche Behauptung mit der traditionellen Lehre, die in dem Sondervotum umschrieben wird, vermittelt werden kann. Meiner Ansicht nach ist diese Aufgabe in dem Studiendokument (noch) nicht gelöst.

 

[*] Die Seitenangaben weichen ab wegen der Neuformatierung des Dokuments "Baptism and Growth in Communion" in der Endfassung.

[1] Bischof Karl Lehmann, Einig im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft? Erfahrungen und Lehren im Blick auf die gegenwärtige Situation. Eröffnungsreferat bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz und Dokumente zur Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigungslehre (21. September 1998) (Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 19), hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1998, 7-34, 26: „Die Katholiken scheuen nicht die Betonung des einzigartigen Heilshandeln Gottes, sondern fürchten in der extremen Zustimmung auf die Rechtfertigungslehre als Kriterium aller theologischen Aussagen und aller kirchlicher Erscheinungen, besonders auch im Blick auf die Kirche, die Sakramente sowie die Ämter und Dienste, deren fragwürdige spirituell-theologische Entleerung und extreme Relativierung.“
[2] Karl Barth, Die Kirche und die Kirchen (TEH 27), München 1935, 9f.
[3] Vgl. Anm. 2!